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Zum fünften Jahrestag von 9/11.

Die längste Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg orientierte sich das politische Denken und Handeln der westlichen Welt in seinen Grundzügen an einem Koordinatensystem, das sich mit einem Wort Viktor Frankls beschreiben ließe: "Seit Auschwitz wissen wir, wozu Menschen fähig sind; seit Hiroshima wissen wir, was auf dem Spiel steht." Dieser Satz kann als geistige Signatur einer ganzen Epoche gelesen werden: Die darin sich ausdrückende Überzeugung steht an der Wiege des europäischen Einigungsprojekts, sie bestimmte das transatlantische Verhältnis, die Zeit des Kalten Krieges im Spannungsfeld zwischen Annäherungs-und Abschreckungspolitik. In diesem Punkt hätte dem sonst so umstrittenen Frankl kaum jemand widersprechen mögen - "Auschwitz" und "Hiroshima" standen mahnend-leuchtend an der Wand.

Spätestens seit dem 11. September 2001 muten diese Schriftzeichen seltsam blass an. Nicht die Vorstellung einer Wiederkehr rassistisch motivierten Genozids schreckt uns, auch das Szenario eines "konventionellen" Atomkriegs erscheint obsolet - als zentrale Bedrohung gilt uns heute vielmehr die Hydra des internationalen Terrors islamistischer Prägung. Beide, "Auschwitz" und "Hiroshima", bleiben im kollektiven Gedächtnis eingebrannt, müssen es bleiben! Aber sie markieren nicht die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts - wenngleich das, wofür sie als Chiffren stehen, auch in der Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Terror präsent ist: der Antisemitismus, amalgamiert mit Antizionismus und-amerikanismus in der islamischen Welt, wie er sich etwa - in Reaktion auf die Mohammed-Karikaturen - in Holocaust-Cartoons einer iranischen Zeitung manifestiert hat; und das ultimative Horrorszenario von Atom-oder auch biologischen und chemischen Waffen in der Hand von Terroristen oder diese stützenden Regimes.

Müßig ist es zu diskutieren, ob der 11. September 2001 nun eine Zeitenwende anzeigt oder nicht: In Daten verdichten sich immer nur Entwicklungen, die sich weit zurückverfolgen lassen; und bei allen Brüchen gibt es immer auch Kontinuitäten, nach allen Zäsuren lässt sich ein Prozess der "Normalisierung" feststellen. Aber dass sich in den fünf Jahren seit 9/11 die Befindlichkeit in Europa, in den USA, aber auch global geändert hat, steht wohl außer Zweifel - von der Geopolitik bis zum alltäglichen Leben.

George W. Bush hat richtig erkannt, dass die Anschläge von New York und Washington "Amerika" galten - mithin, so muss man sagen, der westlichen Welt, ihrem liberalen, demokratisch und marktwirtschaftlich geprägten Lebensmodell. Aber auf diesen Angriff hin den "Krieg gegen den Terror" zu erklären, war vom Prinzip her falsch und in den konkreten Auswirkungen verheerend. Gewiss, das schreibt sich leicht an europäischen Bildschirmen; Europa hat in all seiner Rat-und Hilflosigkeit nicht viel Grund zur Selbstgerechtigkeit. Dennoch musste eigentlich von Anfang an klar sein, dass dieses Phänomen des fundamentalistischen Terrors - entgegen den von der Bush-Administration wiederholt bemühten Analogien - nicht besiegt werden kann wie Hitler-Deutschland, nicht niedergerüstet wie die Sowjetunion. Deswegen ist auch das Bild vom "Islam-Faschismus" schief - eben weil es solche Analogie suggeriert. Allerdings haben vor allem die Eskalationen im Zuge des "Karikaturenstreits" uns schmerzhaft vor Augen geführt, dass wir es hier sehr wohl mit einer totalitären Massenbewegung zu tun haben, nicht nur mit dem Fanatismus Einzelner.

Hier aber muss der Kampf geführt werden - um die Herzen und Hirne der Massen. Sie müssen - auch von den Eliten ihrer Länder - überzeugt werden, dass sich Islam und "westliches Lebensmodell" nicht zwingend ausschließen. Der Weg zur Aussöhnung mit der Moderne wird freilich, ähnlich dem des Christentums seit der Aufklärung, ein langer und schmerzvoller sein.

Der "Kampf gegen den Terror" entscheidet sich aber auch auf einer ganz anderen Ebene: Insoweit wir an unserer Lebensweise festhalten, uns das Reisen, Shoppen, Flirten, Lachen nicht verdrießen lassen, haben wir schon ein Stück weit gewonnen.

rudolf.mitloehner@furche.at

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