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Was ist Werbung?

Werbung
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Das Wesen der Werbung präzis und umfassend in wenigen Worten zu umschreiben, haben mehrere maßgebende Werbewissenschaftler versucht. Folgende Definitionen wären möglich:

Werbung ist eine „Beeinflussungsmethode, die zum selbstgewählten Aufnehmen, Erfüllen und Weiterpflanzen des von der Werbung dargebotenen Zwecks veranlassen will.“ Sie ist eine „organisierte Anwendung von Mitteln zur Massenbeeinflussung von Menschen, die sich einen dargebotenen Zweck in freiem Entschluß zu eigen machen.“ Eine amerikansche Definition lautet: „Die als die durch eine sich zu erkennen gebende Person oder Unternehmung bezahlte Darbietung eines Vorschlags, die dazu bestimmt ist, die Meinung oder das Handeln der Angesprochenen zu beeinflussen.“

Das Ergebnis einer Umfrage in einer amerikanischen Werbezeitschrift lautet: „Eine in bezug auf eine Idee, eine Dienstleistung oder eine Ware vorgenommene Ausstreuung von Nachrichten, welche die Angesprochenen landein lassen soll, wie es der Werbende wünscht.“

Die Werbung kann mehrere Funktionen erfüllen, wenn sie Meinungen tu schaffen oder zu beeinflussen versucht. Einige wesentliche sind Absatz-ind Verkaufserieichterung, Umsatzund VerbrauchssteJigerung, Sicherung des Unternehmens, aber auch Repräsentation, Unterriohtung und Vertrauensgewinn. Wesentlich ist, daß es ihr gelingt, eine ständige Nachfrage zu erreichen, was sie auf der anderen Seite dazu zwingt, ihre psychologische Einwirkung nie völlig aufzugeben.

Bis die Werbung ihr eigentliches Ziel, nämlich einen Kauf auszulösen, erreichen kann, hat sie einen langen Weg schrittweiser Beeinflussung zu durchlaufen. Die Werbewirkung selbst läßt sich in Sinnes- Aufmerksamkeits- Gefühls- und Gedächtniswirkung auflösen. Dafür gibt es die berühmte AIDA-Regel (Attention, Interest, Desire, Action): Aufmerksamkeit, Interesse und Wünsche erregen, um den Kauf herbeizuführen.

Kaufgründe können sowohl vom Verstand als auch vom Gefühl her geleitet werden, aber sicher geht die Werbung wohl nur dann, wenn sie auf die einfachsten menschlichen Triebe anspricht. Zu ihnen gehört auch der Gewohnheitskomplex, da der Gewohnheitsfaktor die Stärke eines Triebs annehmen kann. Die zum Teil jedem modernen Empfinden für gute, auf irgendeine Weise künstlerisch zu wertende Werbung hohnsprechende Praxis in Inseraten, Plakaten, Prospekten, Methoden des Ansprechens findet damit ihre Erklärung, sofern sie bewußt gehandhabt wird. Für verschiedene Produkte, die schon unseren Großeltern ein Begriff waren, wird daher heute nicht viel anders geworben als vor fünfzig Jahren. Auf der anderen Seite ist durchaus nicht sicher, ob eine allen ästhetischen, modernen Gefühlen gerecht werdende Werbung ihren Sinn auch wirklich erfüllt, wenn sie sich an Menschen wendet, die ihrer Mentalität und ihren Anschauungen nach gar nicht in unserer Zeit, sondern um dreißig oder mehr Jahre zurück leben. Wo solche Relationen m verschiedene Werbemaßnahmen bewußt einbezogen werden, kann sich ein Bild ergeben, das uns antiquiert erscheint und doch das einzig richtige ist. In dieser Hinsicht bilden unsere Plakatsäulen einen ausgezeichneten Anschauungsunterricht.

Der moderne Mensch wird nicht nur auf eine Weise verwaltet, die oft hart an die Grenze des' Verlusts seiner Handlungs- und Meinungsfreiheit heranreicht, sondern er ist auch mehr, denn je ein Opfer der „Wissenschaft“ geworden. Die Werbewissenschaft interessiert sich für und packt jeden von uns. Die Gefahr und das Bestürzende besteht darin, daß wir den auf uns ausgeübten Zwang nur noch in seltenen Fällen als solchen verspüren — oder meist nur dann, wenn uns die Methoden der Werbungtreibenden mißfallen.

Eine Kritik moderner Werbung in all ihren vielen Entartungserscheinungen hätte sich vor allem mit ihrer Sprache zu beschäftigen, die zumeist auf halbe Analphabeten abgestimmt ist. Ein außerordentlich bemerkenswerter Aufsatz von George Steiner („D e r Rückzug vom Wort“, „Merkur“, Nr. 172) stellt fest, daß sich Verständigung in der modernen industriellen Demokratie und deren halbgebildetem Massenpublikum nur noch in einer verarmten und korrumpierten Sprache wirksam erreichen ließe. „Heute belehren uns Reklamefachleute ..., daß das vollkommene Inserat weder Worte mit mehr als zwei Silben noch Nebensätze enthalten solle ... Heute gilt die Sprache der Massenmedien und der Reklame bereits in politischen Debatten als durchschnittlich gebildeter Stil.“ Kein Zweifel also, daß die Werbung auch in diesem Sinn negativ auf die Allgemeinheit mehr und mehr einwirkt, was ebenso für ihre „Bild“s- Sprache gilt, ihre optischen Aus-rufungszeichen, die viele Anleihen bei der zeitgenössischen Kunst machen, um sie auf diesem Weg auf eine mehr oder weniger korrumpierende Art ins Volk zu tragen. Max Benses Schlagwort von der „Plakatwelt“ erweist sich in bedrückender Weise als wahr.

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