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Das Risiko der Demokratie

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FREIHEIT UND UNFREIHEIT IM ATOMZEIT ALTER. Von Ludwig Freund. Gutersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Gütersloh. 398 Seiten. Preis 28 DM.

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FREIHEIT UND UNFREIHEIT IM ATOMZEIT ALTER. Von Ludwig Freund. Gutersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Gütersloh. 398 Seiten. Preis 28 DM.

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Das Atomzeitalter hat nicht nur durch neue Energiequellen ungeahnte Entwicklungsmöglichkeiten, sondern auch umwälzende Kriegsmethoden gebracht. Beides geht einher mit einer „Entmenschung“ und „Entgei-stigung“, die der Verfasser, der nach Chicago emigrierte Professor Doktor Ludwig Freund, in allen Einzelheiten zergliedert, gleichzeitig eine bewußte Rückkehr zu Geist und Glauben fordernd. Scharf geht Freund mit der vielfach entarteten Demokratie des Westens ins Gericht, er deckt die Gefahren auf, die durch den Übergang der Regierungsmacht auf die nicht genügend gebildeten Gewerkschaftsfunktionäre entstehen, welche die gesetzlich berufenen Fachbeamten zu Statisten herabdrücken. Es wäre möglich, lesen wir, daß ganz wenige Automationsspezialisten vermöge ihrer Schlüsselstellung die politische Gewalt an sich reißen. Wenn die Demokratien dann auch noch die Rüstungen vernachlässigen, „dann sind diese Demokraten in der heutigen Lage reif zum Untergang ... Das lähmende Risiko in einer Demokratie besteht darin, daß man des flüchtigen äußeren Erfolges willen die Menschen beruhigt, statt sie aufzurufen, oder daß man geistig bequem, wenn auch moralisch noch so begründet, in Vergangenem wühlt, anstatt sich den schwierigen, aus ganz neuen Gefahrenquellen strömenden Problemen der Gegenwart zu stellen.“ Diese klar dargelegte Statik der Demokratie gerät natürlich in Gegensatz zur Dynamik des diktatorischen Kommunismus, wie überhaupt alle Betrachtungen Freunds in der Gegenüberstellung des fahrlässigen Sichgehenlassens des Westens, im besonderen — wie behauptet wird — der Vereinigten Staaten von Nordamerika, und des stürmisch vorwärtsdrängenden Ostens — der Sowjetunion — gipfeln: „Kriegsgefahr als Folge revolutionärer oder direkter Kriegsdrohung läßt sich nur eindämmen durch Stärke und Geschlossenheit der westlichen Allianz, nicht durch den smarten Geschäftstrick, dem Gegner sein Glaubensbekenntnis ausreden zu wollen.“

Ob es nun in solcher Lage noch eine Freiheit im Atomzeitalter gibt, das erscheint als die Hauptfrage, die Freund seinen Lesern stellt. Er macht es sich nicht leicht, nicht weniger als fast 600 Fußnoten weisen auf die herangezogene, hauptsächlich deutsche und amerikanische Literatur hin, und alle nur denkbaren Auslegungen des Begriffes Freiheit werden scharfsinnig untersucht, neben den klassischen Vertretern auch die Kulturphilosophen Spengler und Toynbee, doch auch Phantasten wie Russell. Letzterem werden „eine Anzahl von Denkfehlern“ nachgewiesen. Freund selbst rückt entschieden von allem ge-schichtslosen Denken, von daraus sich ergebenden Utopien, Phantasien, Rezepten und Patentlösungen ab, wie sie die derzeitige politische Zeitkritik bevölkern.

Wieweit sich im Atomzeitalter die Freiheit behaupten kann, wird an der Betrachtung der Macht, die „heute genauso wie gestern und ehedem entscheidet“, des Völkerrechtes, das „vom guten Willen der Staafcs-autorität abhängig ist“, des Gleichgewichtes, dem „die Überlegenheit zur Abschreckung des potentiellen Aggressors“ vorzuziehen sei, der UNO, die sich durch militärisches Eingreifen in einen Bürgerkrieg (Kongo) gegen das Völkerrecht vergangen hat, schließlich der Diplomatie, die als „unselbständig und zweitrangig“ klassifiziert wird, zu beantworten versucht. Der Autor will nichts anderes, als „die Dinge dieser Zeit in möglichst sachlicher Ordnung und Perspektive zu erfassen und die echte Sorge um die Zukunft und Verteidigung der ums verbliebenen Werte der westlichen Kultur ausdrücken“. Die Worte der Abrüstungsanhänger nennt er „gefährlichste Parolen von Nichtkennern der kommunistischen Dynamik“. Freunds Untersuchungen haben den Vorzug,- daß sie .universell, vergleichend und sachlich sind, sie warnen,ohne sich auf bestimmte Lösungen festzulegen, sie enden mit dem Eingeständnis: „Hier also steht der nüchterne Wissenschafter vor den Toren der Metaphysik, hinter die zu führen er sich nicht erkühnt.“

Das Fehlen eines Namens- und Literaturverzeichnisses erschwert das Studium des lesenswerten Buches, das über ähnliche Arbeiten weit hinausragt. Eine kleine historische Berichtigung sei gestattet: Es hat nämlich gegen Napoleon I. keineswegs „England allein den Kampf nie aufgegeben“ (S. 293), am Kontinent war es Österreich allein, das nicht nachgegeben hat

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