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Durch das Medium der Sprache

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FRAGMENTE. AUFSÄTZE. APHORISMEN. Zu einer Pneumatologie des Wortes. Von Ferdinand Ebner. Ebners Schriften I. Herausgegeben von Franz S e y r. Kösel-Verlag, München, 1963. 1087 Seiten. Preis 45 DM.

Noch bevor Martin Heidegger seine vielbeachtete Frage nach dem „Sinn von Sein“ stellte, hatte Ferdinand Ebner, der unbekannte Volksschullehrer aus Niederösterreich, die keineswegs weniger fundamentale Frage nach dem „Sein von Sinn“ gestellt. Er hatte erkannt, daß die Frage nach dem Sein, um das es ihm ebenso zu tun war wie Martin Heidegger, nur im Zusammenhang mit der Frage nach dem Sinn als solchem wirklich „sinnvoll“ gestellt werden kann. Unterbleibt diese Frage nach dem Sinn selbst, dann muß in der Seinshage notwendigerweise ein „Sein“ zum Vorschein kommen, das sich vom „Nichts“ nicht mehr unterscheiden läßt und dessen „Sinn“ für den Menschen paradoxerweise darin besteht, im Grunde eben keinen Sinn zu haben! Freilich gibt es innerhalb des herkömmlichen Denkens, das von Aristoteles bis Hegel im Sein nichts anderes erblickt hatte als ein „objektives“ Sein, das Sein der Gegenstände in der eigentlichen Bedeutung des Wortes, keine Möglichkeit mehr, das Sein selbst anders zu bestimmen, denn als „Nichts“ — hatte doch das Festhalten dieser gegenständlichen Perspektive, verbunden mit der Einsicht Kants, daß gerade die gegenständlichen Bestimmtheiten eben nicht den Objekten an sich zukommen, bereits im deutschen Idealismus zu der — freilich noch uneingestan-denen — Auflösung des Seinsbegriffes geführt. Mit dem bewußten Nachvollzug jener „Nichts-Werdung“ des Seins selbst, der letzten Konsequenz des traditionellen Denkens, ist das Ende dieses Denkens nun aber zu einem endgültigen, unwiderruflichen geworden.

Wenn also heute — mehr als vierzig Jahre nach dem Erscheinen von Ferdinand Ebners Hauptwerk „Das Wort und die geistigen Realitäten, Pneumatologische Fragmente“ (Innsbruck, 1921) und mehr als dreißig Jahre nach seinem Tode — am 17. Oktober 1931, in Gablitz bei Wien — endlich eine repräsentative Ebner-Ausgabe erscheint, so wird man ihr gerade in unseren Tagen wohl die größtmögliche Aufnahmebereitschaft prophezeien dürfen. Denn Ferdinand Ebner hat tatsächlich die Erkenntnis des einzig möglichen Ausweges aus der sich erst heute in vollem Umfang offenbarenden Ausweglosigkeit alles bisherigen Denkens vorweggenommen. Es war ihm — eben durch die Einbeziehung der letzten existentiellen Voraussetzungen der Sinnkategorie in die ontologische Untersuchung selbst — de facto gelungen, eine neue Dimension des Seins aufzudecken. Es war ihm (von Hinweisen schon bei Augustinus, bei Fichte, Feuerbach und anderen abgesehen) wohl als erstem gelungen, neben dem „Gegenstand-Sein“, neben der Beziehung des Ich zu den Objekten der Welt, das — dieses Ich in seiner eigentlichen Sinnhaftigkeit erst konstituierende — „Person-Sein“, die persönliche Beziehung des Menschen zu einem Geistigen außerhalb seiner selbst, zu einem „Du“, zu entdecken und den Nachweis zu erbringen, daß diese persönliche Beziehung — im Grunde die auf dem religiösen Glauben beruhende Beziehung des Menschen zu Gott, zum persönlichen Gott des Christentums als dem „Ur-Du“ — letztlich die Voraussetzung aller, auch der gegenständlichen, Erkenntnis darstellte. Denn Erkenntnis ist nur innerhalb des Horizontes der Sprache möglich, Sprache aber, das Wort — auf das auch alle jene vertrauen, die ihm ihre wortfeindlichen Theorien anvertrauen — intendiert, mindestens ebenso primär wie das in ihm Ausgesagte, den Adressaten der Aussage selbst, eben die „zweite Person“ (die ihrer Rangordnung nach freilich die „erste“ ist), das „Du“. So betrachtet ist die Sprache nicht nur das „Haus des Seins“, sondern auch das Medium alles Sinns.

Nun erschöpft sich aber Ferdinand Ebners Bedeutung keineswegs in seiner eminenten philosophischen Leistung. Diese stellt gleichsam nur einen Nebenertrag seines schriftstellerischen Werkes dar — weshalb er sich auch niemals einer dem Laien notwendigerweise unverständlich bleibenden Fachsprache bedient. Seine Formulierungen, die vielfach von einer den Rahmen trockenen Philosophierens sprengenden visionären Sprachgewalt zeugen, sind für jeden geistig Aufgeschlossenen unmittelbar verständlich. (Man denke in diesem Zusammenhang etwa an Ausdrücke wie „Icheinsamkeit“, „Dulosigkeit“, Kultur als „Traum vom Geiste“, als „stilisiertes Sterben“ und anderes mehr.) Denn weder die Philosophie noch die Kunst oder die Kultur in der weitesten Bedeutung des Wortes, nicht einmal die Religion im Sinne von rein abstrakter Dogmatik, liegen ihm am Herzen. Sein eigentliches Anliegen ist der wirkliche, konkrete Mensch: der einzelne; denn nur dieser ist Mensch in der wesentlichsten Bedeutung des Wortes, und nur er vermag auch die Frage nach dem Sinn des Lebens zu stellen — so zu stellen, daß er an ihrer Nichtbeantwortung zugrunde geht.

Das Erscheinen des schriftstellerischen Werkes Ferdinand Ebners bedeutet daher mehr als die Ausfüllung einer phiLasophie-

und geistesgeschichtlichen Lücke, und die Verdienste des Herausgebers, Professor Dr. Franz Seyr, dessen Initiative diese editorische Tat in erster Linie zu danken ist, sind wohl kaum zu überschätzen, zumal schon der vorliegende erste Band dieser Ausgabe — die im ganzen drei, jeweils rund tausend Seiten starke, in geschmackvolles blaues Leinen gebundene Dünndruckbände umfassen wird — neben den bisher nur teilweise zugänglichen Auszügen „Aus dem Tagebuch 1916/17“, dem seit langem vergriffenen Hauptwerk, den — ebenfalls nur in wissenschaftlichen Bibliotheken greifbaren — 1920 bis 1928 in Ludwig Fickers Zeitschrift „Der Brenner“ erschienenen Aufsätzen (der letzte dieser Aufsätze „Zum Problem der Sprache und des Wortes“ in bisher unveröffentlichter, ungekürzter Form), neben dem „Fragment aus dem Jahre 1916 mit einem Nachwort (1931)“ und den „Aphorismen

1931“ auch bisher zur Gänze unveröffentlichte Schriften enthält. So die überaus interessante musikwissenschaftliche Analyse | „losef Hauers Apokalyptische Phantasie“, ein „Nachwort zur Mitarbeit am Brenner“ und die fertiggestellten Kapitel eines Werkes mit dem Titel „Versuch eines Ausblicks in die Zukunft“, das Ferdinand Ebner als zusammenfassende Darstellung sämtlicher Perspektiven seines Denkens geplant hatte, das er aber, als ihm sein schweres körperliches Leiden jede größere Arbeit unmöglich machte, unvollendet liegen lassen mußte, bis er den Gedanken, dieses Werk fertigzustellen — in absoluter Ergebenheit in den Willen Gottes — endgültig aufgab.

Ein Geleitwort von Ludwig Ficker, ein I Nachwort des Herausgebers und ein f Anmerkungsapparat vervollständigen dieses wertvolle Buch.

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