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Messe uber der und uber die Welt

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Legt er diese seine Erwägungen Im Auswahlband „mit kalter Objektivität“ dar, feind einem vagen Instinkt oder gefühlsseliger Ekstase, so zieht er die Konsequenzen im „Lobgesang des Alls“ in Art hymnischer Meditation. Diese Art „Poesie“ schwebt aber nicht im luftleeren Raum, sondern besteht auf dem Fundament seiner Überlegungen der Vernunft, die selbst wieder nicht Überlegungen bleiben, sondern in einer Meditation lebendig anverwandelt werden. So zelebriert Teilhard dann eine Messe über der und über die Welt: in der Opferung legt er sich selbst, sein Arbeiten, seine Freuden und Leiden auf den Altar, dazu den ganzen Entwicklungsstrom des Kosmos mit seinen Aufstiegen und Katastrophen, mit der Geschichte der Menschheit; in der Wandlung nimmt Gott diese Gesamtkreatur an und verwandelt sie in der Inkarnation Seines Sohnes, um sie dann in der Kommunion so verwandelt zur letzten verklärten Liebesvereinigung zu steigern.

Würde man diese poetische Sprache allein hören, müßte man auf eine exaltierte Phantastik schließen. Doch sie ist nur Ausdruck seines radikalen Glaubens, der sein Denken formt. Man greife nun zum 3. Band seiner „Werke“, die der Walter-Verlag erscheinen läßt, zu

„Das Auftreten des Menschen“, und man hat wieder den nüchternen Wissenschaftler vor sich, der den Spuren des fossilen Menschen in Asien und Afrika nachgeht, sie genau beschreibt und ihre Entstehung und Entwicklung untersucht. Besonders wertvoll in diesem Band ist der letzte Aufsatz „Die Besonderheiten der menschlichen Art“. Mit selten klarer Präzision entwickelt Teilhard hier seine für ihn rein wissenschaftliche Theorie. Was sonst in allgemeinen Besehreibungen, um der Allgemeinverständlichkeit willen, ausgeführt wird, präzisiert er hier in logischen Strukturen, ohne deswegen einem unverständlichen Fadh-jargon zu verfallen. Nirgends bisher bekommt man so klare Vorstellung von dem, was er meint und will, wie hier. Er überschreitet auch nirgends die Grenzen des natürlich Einsichtigen, auch nicht, wo er die Zukunft des Menschen entwirft. Er setzt sich mit anderen Ansichten naturwissenschaftlicher oder philosophischer Fachkollegen auseinander und zeigt, ohne den Glauben zu bemühen, die Vertretbarkeit seiner Hypothesen als vernunftbegründet auf. Das heißt nicht, daß man nun unbedingt seine Ansichten teilen muß, doch zwingen sie zu Überlegungen, die den Positivisten, Nihilisten, Materialisten und wie sie heißen mögen, zu schaffen machen werden. Hier offenbart er sich als positiver (nicht positivistischer) Denker. Die Literatur über ihn, die nahezu ununterbrochen vermehrt wird, zeugt von der faszinierenden Wirkung, die von ihm ausgeht, und von der lebendigen Diskussion zwischen Wissen und Glauben, die er ins Rollen gebracht hat. Eines der besten Bücher über ihn, das seines berühmten Mitbruders Henri de Luboc, „La Pensee religieuse du P. Pierre Teilhard de Chardin“, ist leider noch nicht übersetzt worden. Der Bonner Fundamentaltheologe Heimo Dolch versucht in seiner Antrittsvorlesung, die nun als „Teilhard de Chardin im Disput“ gedruckt wurde, die Diskussion um dessen Werk zu analysieren und die verschiedenen Meinungen zu ordnen, um etwas Klarheit in ihre Vielgestalt zu bringen und damit manche Mißverständnisse zu klären.

Teilhards Wirkung ging nach Dolch nicht von seinem eigentlich wissenschaftlichen Werk aus, sondern von dem einmaligen Erlebnis, unter dem er seine Forschungen deutet, für das er Zeugnis ablegt, so wie ja auch die Entwicklungstheorie selbst über den wissenschaftlichen Bereich hinaus heute unausgesprochen erlebnishafter „Gedankenhintergrund“ geworden ist. Auf diesem Gedankenhintergrund des Weltgeschehens entwirft nun Teilhard das ihm entsprechende Heilsgeschehen wie zu ihrer Zeit die mittelalterliche Scholastik: „Thomas v. A. kündet mit den Mitteln der aristotelischen Philosophie den gegenwärtigen, wirkenden, aber sakramental verborgenen Heiland; Teilhard kündet mit den Mitteln der modernen Wissenschaft den jetzt schon wirkenden, aber erst in der Endvollendung sichtbar werdenden Herrn des Kosmos.“

Den unausgesprochen erlebnishaft vermittelten Gedankenhintergrund, den Teilhard und wir alle von der Entwicklungstheorie bereits mitbringen, schlüsselt nun ein Buch detailliert auf, das ganz besonders zu begrüßen ist, das von dem Mediziner Armin Müller. Neben Veröffentlichungen zu seinem Fach haben ihn auch solche zu Philosophie und Naturwissenschaft bereits bekannt gemacht. Für viele, vor allem für Wissenschaftler, ist die naturwissenschaftliche Basis, auf der Teilhard sein spekulatives Gebäude aufrichtet, zu gering. Armin Müller erweitert nun diese Basis und trägt ein imponierendes Material zusammen: sowohl an Ideen der Zeit als auch an Forschungsergebnissen.

Was die Spezialforschung heute zum Thema Materie, Leben, Geist, vor allem der Übergänge zwischen ihnen, ob sie und inwieweit sie möglich sind, ihr Pro und Kontra, zu sagen hat, bringt der Autor in ungemein interessanten und für einen weiteren Leserkreis verständlichen Ausführungen, so daß das lebendige Bild eben jenes Gedankenhintergrundes reflektiert ins Bewußtsein tritt. Teilhard nun stellt sich diesen Weltanschauungen seiner Zeit und versucht zu zeigen, daß sie keineswegs in Atheismus und Nihilismus führen müssen, sondern auch vom Glauben bewältigt werden können. Besonders aufschlußreich und dankenswert ist jenes Kapitel, in dem Armin Müller nachweist, daß ein einseitig logisch-wissenschaftlicher Verstand der Natur nie gerecht werden kann, daß er heute selbst an seine Grenzen gekommen ist, daß die Natur weitaus mehr als ästhetisches Spiel, denn als pure finale Zweckmäßigkeit (gelenkter Zufall, wie Teilhard sagt) und daher Teilhards „künstlerisches“ Konzept gar nicht so unbegründet erscheint.

Ein Problem gibt es immer wieder bei Teilhard: Wie steht es mit dem Bösen und der Schuld? Da ist es nun Delfgaaw, der neben einem faßlichen Uberblick zur Lehre Teilhards und ihren philosophischen Aspekten dieses Problem aufgreift und sehr richtig darauf hinweist, daß es hier gar nicht um den moralisch-ethischen Aspekt des Übels geht, sondern um den seinsmäßigen. Er bagatellisiert keineswegs das Böse, nur schrieb er keine moraltheologischen Lehrbücher, sondern befaßte sich mit dem Seinsbestand der Tatsachen. In dieser Sicht ist das Übel eben ein Defekt, jeweils verschieden, in der jeweiligen Sphäre: Zone des materiellen Zerfalls, Zone des Leidens und Zone der Sünde. Außerdem ordnet Gottes Macht auch das Übel in seine Pläne, die es nicht stören kann: Gott schreibt gerade auch auf krummen Zeilen.

Nach allem pro und kontra Gehörtem, vor allem von Seiten der Naturwissenschaftler, deren Ergebnisse beziehungsweise Nicht-Ergebnisse Armin Müller zusammengetragen hat, wiyd es Sache der Ehrlichkeit sein, Teilhard gegenüber Vorsicht im Urteil walten zu lassen. Es besteht einfach noch keine eindeu tige Grundlage für eindeutige Urteile. Manches kann überhaupt erst die Zukunft selbst entscheiden. Wozu also einen neuen Fall Galilei provozieren? Weder gegen noch für Teilhard hat das einen Sinn. Wer hält heute noch wörtlich an Darwin fest? Und doch hat er wesentliche Impulse gegeben. So meint Lubac, daß Teilhard wohl noch in manchem korrigiert werden wird, sein Anliegen aber, auch in einer Evolution Gottes schöpferisches Walten zu erkennen, auf der heutigen Basis Denken und Glauben zu vereinen, wird fruchtbar bleiben. Eines dürfte sicher sein: Er ist dem Mythos, der die Sünde unserer Zeit darstellt, ent gegengetreten, dem Mythos vom Ameisenhaufen, vom Termitenstaat, vom allmächtigen Staat, der als Paradies der Zukunft gefeiert wird. „Die heutige Sünde ist der Mythos vom Ameisenhaufen; es gibt nichts Schlimmeres als jene Wissenschaft, die dem Menschen die Macht über die Natur gibt und ihm die Möglichkeit zur Liebe nimmt“ (Prof. Michai-lov, Jugoslawien). Gerade Teilhard de Chardin zeigt uns Heutigen wieder die Möglichkeit zur Liebe, verankert in einem unbeirrbaren Glauben und in einer sieghaften Hoffnung.

Pierre Teilhard de Chardin: Lobgesang des Alls, Die Messe über die Welt, Christus in der Materie, Die geistige Potenz der Materie. 92 Seiten, 8.50 sFr.

Auswahl aus dem Werk, mit einem Nachwort von Karl Schmitz-Moormann. 308 Seiten, 9.80 sFr.

Das Auftreten des Menschen. 3. Band der „Werke“. 364 Seiten, 24 sFr.

Alle: Walter-Verlag, Ölten und Freiburg i. B., 1964.

Heimo Dolch: Teilhard de Chardin im Disput. Verlag J. P. Bachem in Köln 1964, 75 Seiten, 4.20 DM.

Armin Müller: Das naturphilosophische Werk Teilhard de Chardins. Seine naturwissenschaftlichen Grundlagen und seine Bedeutung für eine natürliche Offenbarung. Verlag Karl Alber, Freiburg i. B., München, 1964, 328 Seiten, 26.80 DM.

Bernhard Delfgaaw: Teilhard de Chardin und das Evolutionsproblem. Verlag C. H. Beck, München 1964, 132 Seiten, 8.80 DM.

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