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REVUE IM AUSLAND

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In Nummer 1/4 — 1949 der „Frankfurter Hefte“ diskutieren Franz Josef Schöning h, Herausgeber des „Hochlands“, und Walter Dirks die Problematik einer christlichen Zeitschrift im Deutschland von heute. Schöningh fordert für die zeitverpflichtete katholische Zeitschrift Freiheit vom Barteigeist, von Selbstzufriedenheit und Pharisäismus. „Auch eine katholische Zeitschrift muß noch nach jener Wahrheit suchen, di ihr Voraussetzung ist.“ Die Überwindung des Nihilismus, des größten und schrecklichsten Phänomens in Westeuropa, kann nur mit neuen Methoden und einem neuen Geist der Apologetik erfolgen.

Wahre Katholizität beißt: Heraus aus dem Ghetto — ein Geist dier Eroberung, „der echten katholischen Unbefangenheit“. Kritik in, an der Kirche, „an Vertretern der Kirdhe“ kann hier, nichtig verstanden, „unter Umständen die echoe KatholAzität der Zeitschrift beweisen.“ Wesentlich ist: der freie Blick auf die Tatsachen und in die Zukunft. „Mir scheint der Realismus der einzig erträgliche Ismus zu sein.“

Die katholisch Zeitschrift, legt Schöningh dar, hat in Ansehung der konkreten Verhältnisse — Deutschland ist Missionsland geworden — eine außerordentlich wichtige Aufgabe: „Erziehung zu nüchternem Realismus und Weckung der Kräfte, die der Lösung der gewaltigen Missionsaufgabe gewachsen sind“… W. Dirks zeigt demgegenüber inen zweiten neuen publizistischen Typ am Beispiel der „Frankfurter Hefte“ auf: „Eine Zeitschrift von Christen gemacht“ unter Mitarbeit von Christen, Juden und Heiden. Menschen, die auf dem Wege sind, getragen vom Bewußtsein, „daß wir in der Klemme sitzen“, und, „daß wir nicht weiter wissen“ und uns dies zuerst einmal ganz ehrlich eingestehen müssen. So wollen die „Frankfurter Hefte“ ein Neue , „etwas Bescheidenes“ sein: „Eine Zeitschrift, von Christen gemacht, die hilft, gemeinsam mit anderen den Weg zu suchen und — wir hoffen es — zu finden“.

Diese Diskussion zwischen den Vertretern der beiden führenden deutschen christlichen Zeitschriften zeigt Erfreuliches, eine große Ehrlichkeit und Sauberkeit des Stre- bens und die nüchterne Einsicht in jene großen Schwierigkeiten der katholischen Publizistik von heute, die zugleich ein Chance enthält wie nie zuvor.

Die „Neue Rundschau“, 13. Heft, Amsterdam 1949, bringt einen bedeutsamen Aufsatz des bekannten Philosophiehistorikers Fritz Heinemann (früher Frankfurt, jetzt Oxford): „Auf der Suche nach Sinn in einer zerbrochenen Wel t.“ Wir leben in einer „Epoche der Sinn-, Wert- und Sachzerstö- rung“. Heinemann untersucht nun die Reflexe dieser Situation in den modernen Natur- und Geisteswissenschaften und zumal die Möglichkeiten eines Auswegs, einer fundamentalen Änderung, wobei er die These vertritt, „daß das Überwinden oder Nichtüberwinden des Nihilismus geradezu einen Maßstab für das Gelingen oder Scheitern der Philosophien unserer Tage darbietet“. Die „Existenzphilosophie“ — Heinemann prägte selbst diesen Begriff in seinem 1929 erschienenen Werk „Neue Wege der Philosophie“ — bietet hiefür die besten Exempel. „Wie steht es mit der Überwindung des Nihilismus durch die Existenzphilosophie?“ Die Resultate, zu denen unser Autor bei nüchterner Untersuchung ihrer führenden Denker kommt, sind hoch beachtenswert: sie werfen ein Licht auf jene Denker, die gerade heute in Deutschland, ja in ganz Westeuropa im Rampenlicht der geistig interessierten Öffentlichkeit stehen.

Hat Jaspers den Nihilismus überwunden? Hcinemamn antwortet zunächst mit einer Gegenfrage. „Kann eine Philosphie, die, in der Kette deutscher politischer, moralischer und intellektueller Zusammenbrüche von 1918 bis 1948 geboren, in großartiger Ehrlichkeit diesen Zusammenbruch nicht nur zugibt, sondern das Scheitern als einen Ausdruck der menschlichen Grundsituation und zugleich als einen Weg zur Wahrheit des Seins begreift, kann eine solche Philosophie, die das Zeitalter des Zusammenbruchs in Gedanken faßt, des Nihilismus Herr werden?“ Jaspers, „der schwebende Philosoph“, ist am „Nihilismus als einer spezifischen Gestalt menschlichen Existierens psychopathologisch viel zu sehr interessiert…, um sie ablehnen zu können“. Noch 1948 wiederholt Jaspers: „Im Nihilismus wird ausge-

sprachen, was dem redlichen Menschen unumgänglich ist. In der Realität des Weltseins ist die Verzweiflung an der Grenze unvermeidlich.“ „Der offene Nihilismus ist unwiderlegbar, wie umgekehrt kein Glaube beweisbar ist.“ Daneben kennt Jaspers freilich noch ein anderes: Die Auslegung der Existenz als Unbedingtheit in Situation und Handlung — und diese Einsicht scheint auch sein eigenes tapferes Verhalten in den letzten Jahrzehnten zu bestätigen. Indes: Jaspers bleibt zwielichtig, ambivalent, schwankend, in der Schwebe. Wie steht es mit Heidegger? Da dieser ein Buch, „Vom Wesen des Nihilismus“, angekündigt hat, will Heinemann zu ihm diesmal nur kurz und mit Vorbehalt Stellung nehmen:

„Für Heidegger wird … das sdilechchininige Nichts das eigentliche Absolute, und er spricht den ungeheuerlichein Satz aus: Ex nihilo omne ens qua ens fit, als ob das Nichts der eigentliche Schöpfer dar Dinge sei. Man kann sich des Eindrucks schwer erwehren, daß hier das Nichts die Stelle Gottes eimaimmt. Es ist nichtig, daß Heideggers Philosophie mehr agnostisch als atheistisch ist. Er leugnet nicht ausdrücklich die Existenz Gottes, bezeichnet ihn jedoch als abwesend. Aber während ein ,verborgener Gott“ (Deus absconditus) noch Gott ist, ist ein abwesender Gott kaum noch Gott; denn wenn auch sein Nichtsein nicht behauptet wird, so wird doch auch sein Sein nicht gesetzt.“

Wie steht es mit Sartre?

„Er wird von künftigen Generationen wahrscheinlich im wesentlichen nur als ein Ausdruck des französischen und europäischen Zusammenbruchs studiert werden. Er spiegelt eine scheiternde, zerbrechende, ja absurde und sinnlose Welt, in der er dann aber doch wieder — ein seltsamer Widerspruch — die seelischen Phänomene in ihrem Sinngehalt erklären will. Er repräsentiart eine Epoche Europas, in der Paul Valery sagen konnte: ,L’Europe est finie.’“

Auf Grund seiner Überprüfung der Gegenwartssituation kommt Heinemann zu dem Schluß: „Die größte Gefahr liegt heute in der Leugnung und Zerstörung aller geistigen und seelischen Werte. Die Überwindung des Wertnihilismus und das Finden einer neuen Wertordnung ist ein Problem, von dessen Lösung Leben oder Tod der Völker dieser Erde abhängt. Wir können darum mit dem Worte Plotins schließen: Der größte Kampf steht uns noch bevor.“

Im Februarheft der „Schweizer Rundschau“ referiert C. H. Hillekamps über den Kommunismus in Südamerika. Die sozialen Zustände in Südamerika (vergleiche „Revue im Ausland“, Nr. 5 — 1949, Anmerkung der Redaktion) erwiesen sich als günstiger Nährboden für die kommunistische Agitation.

„Die Lage der Landarbeiter in den seit dem ersten Weltkrieg und der Weltwirtschaftskrise 1930/1933 entstehenden Industrien war denkbar schlecht, das Latifund-ienwesen hatte in den meisten Ländern die Entstehung eines Landproletariats zur Folge, und in den Bergwerken Perus und Boliviens wie unter den Zuckerarbeicem Nordargentinlens uihd Nordbrasiliens Herrschten Zustände, die an Sklaverei und Kolonialzeit erinnerten.“

Daß unter diesen vorgegebenen Verhältnissen die marxistischen Parteien, die in Südamerika weit mehr „Weltanschauungsparteien“ sind als die bürgerlichen, dennoch immer mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, beruht letzten Endes auf dem ausgeprägten Personalismus des Südamerikaners, der sich gegen jeden Systemzwang und jede ideologische Gleichschaltung zur Wehr setzt. Dieser Tatsache haben am ersten die Kommunisten Rechnung getragen. Sie wählten sich in Brasilien in Luiz Carlos P r e s t e s, dem „Caballero de la Esperanza“, dem „Ritter der Hoffnung“, eine eigenwillige starke Persönlichkeit, der es auch gelang, bei den Präsidentenwahlen 1945 rund eine halbe Million aller Wählerstimmen auf sich zu vereinigen. Ähnlich gelang es ihnen, in Chile, in dem früheren sozialistischen Oberst Marmaduke Grove „eine typische Caudillo-Erscheinung“ für sich zu gewinnen. Grove wurde 1930 sogar vorübergehend Staatspräsident. Jetzt steht im Vordergrund des politischen und geistigen Kampfes die interessante Erscheinung des Senators Pablo Neruda, eines der bedeutendsten Dichter Südamerikas, dessen erbitterter Kampf mit dem antikommunistischen Präsidenten Videla starken Widerhall in weiten südamerikanischen Intellektuellenkreisen gerade auch jener Länder gefunden hat, die offiziell streng antikommunistisch geschaltet sind. Seit Jahren hat nämlich, und gerade in den Ländern mit den stärksten kommunistischen Parteien (Brasilien: 200.000 eingeschriebene Mitglieder, das kleine Chile: 25.000), „die Bekämpfung des Kommunismus durch die bestehende staatliche Gewalt die schärfsten Formen angenommen“. In Brasilien wurde die KP erstmalig 1935 aufgelöst, 1945, nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion, wieder zugelassen, 1948, nach den Streiks und bewaffneten Konflikten der letzten Jahre erneut verboten. Inzwischen geht die innere Auseinandersetzung jedoch heftig weiter, man rechnet bereits mit einer neuen Partei, die unter anderem Namen und mit leichtverändertem Programm versuchen wird, die alten Vertreter der Kommunisten „unter der neuen Etikette wieder in die Parlamente zu bringen“. Brasilien hat alle diplomatischen Beziehungen zur UdSSR abgebrochen.

„Chile ging noch weiter, es unterhält keinerlei Beziehungen mehr zu sämtlichen Staaten des Ostblocks und begründete diese Maßnahme mit der Unterstützung chilenischer Streiks und Sabotage- akte durch jugoslawische Diplomaten. Hier ging es vor allem um eine Störung der lebens- und namentlich kriegswichtigen Produktion Chiles (Salpeter, Kupfer, Kohle) sowie eine spätere Ausdehnung dieser Störungen auf die Minengebiete Perus und Boliviens …, mit dem Ziel, kriegswichtige Lieferungen dieser Staaten an die USA im Falle eines nordamerikanischrussischen Konflikts zu unterbinden.“

Dies also die großen weltpolitischen Hintergründe der kommunktisdren Tätigkeit in Südamerika. — Die geringste Bedeutung erlangte der Kommunismus in Argentinien, „wo es General Peron gelang, „bei aller Anfechtbarkeit gewisser Methoden“ die tatsächliche Lage der Arbeiterschaft zu verbessern und ihr, „was ungleich wichtiger kt…, ein neues Lebensgefühl und Selbstbewußtsein“ zu geben. — Als Gesamtergebnis der bisherigen Entwicklung in Südamerika läßt sich folgendes festhalten: Die kommunistischen Parteien haben nur dort Erfolg, „wo die sozialen Zustände nach Abhilfe rufen und das kommunistische Gedankengut sich mit der Person von Männern mit großer Massenwirkung, wie Prastės, Grove oder Pablo Neruda, verschmelzen kann.“

„Esprit et vie“, die hervorragende Zeitschrift der Benediktinerabtei Maredsous eröffnet ihre letzte Nummer mit einem Auszug aus Bemano s’ unveröffentlichtem brasilianischen Tagebuch 1939/40 unter dem Titel „Die Katholiken und der moderne Staat“. Eine Betrachtung des großen Einsamen über die französischen Verhältnisse, die aber auch andere Zonen des orbis christianus angeht, voll Zorn und Liebe, Erbitterung und Werbung — ein echter Bernanos! — Vor einem halben Jahrhundert hat man die Katholiken in der Öffentlichkeit, vor dem Forum des Geistes und der Wissenschaft, noch nicht ernst genommen. Sie galten als vergilbte Vertreter einer versunkenen Vergangenheit und wagten sich selbst, erfüllt von Minderwertigkeitskomplexen, nicht recht heraus. Wie sehr hat sich seither di Szenerie gewandelt: die Katholiken sind gewandte und berühmte Schriftsteller, Wissenschaftler, Dichter und Journalisten geworden. Ein Idealzustand? „Die Katholiken sprechen und schreiben viel, sie schreiben und sprechen enorm viel, ja, es steht sehr zu fürchten, daß sie nur zuviel sprechen und schreiben.“ Heute ist cs — nach den Vorbildern der großen katholischen Renaissance von 1910 ein leichtes, eine gute, ja, eine glänzende katholische Feder zu führen. Bernanos betrachtet dies Tatsache nahezu als ein Unglück. Denn die Katholiken haben es trotz alledem noch nicht gelernt, die demütige Sprache der Tatsachen zu sprechen. Auf Grund ihres literarischen und politischen Auftretens erscheint ihr Lehre als eine „Ideologie“, vor der jedoch niemand Furcht hat, am wenigsten der moderne Staat. („Es ist nur die heilige Lieb des Christus, vor der die Welt Angst hat, nicht vor Euch und vor eueren ,Ideen “). Diese hochkultivierten Christen stören sein Kreise nicht. Das Gerede von der katholischen „Lösung des sozialen Problems“ tut dem Staat nicht weh. „Der moderne Staat ist wesenhaft antichristlich, er muß aber nur so lange antiklerikal bleiben, als er Zeit braucht, um die wohlwollende Neutralität der Christen zu gewinnen.“ Diese, ja mehr noch, oft ihre Liebe, die er gar nicht verlangt, schenken sie ihm und seinen Untaten heute in reichem Maße. In dieser unlauteren Versöhnung sieht Bernanos eine neue große Gefahr der Erstickung einer Christeil- heit, die schweigt und sich als Kollaborateur tödlich kompromittiert. „Der moderne Staat kann nicht mehr darauf verzichten, euch — ihr Christen — durch seine Verbindung mit sich zu kompromittieren ..

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