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Ungleiche Wesen

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MENSCH UND TIER. Ein Beitrag zur vergleichenden Psychologie von F. J. J. Buytendijk. Rowohlt, Hamburg, 136 Seiten. Preis DM 1.90.

Welcher Natur denn eigentlich der Unterschied zwischen Mensch und Tier sei, das ist eine auch heute noch heiß umstrittene Frage, die nicht nur den philosophisch interessierten Menschen in Spannung hält, sondern auch in weiteren Kreisen mit den gröberen Waffen populärwissenschaftlicher Leidenschaft diskutiert wird. Daß ein Unterschied besteht, wird dabei ja kaum geleugnet; was hingegen zur Debatte steht, ist vielmehr die Frage, ob dieser Unterschied lediglich ein solcher des Grades ist, der also durch Mehrung des qualitativ Gleichen letztlich doch über- brückt werden kann, oder ob es nicht ein prinzipieller Wesensunterschied ist, so daß mit dem Menschen ein radikal Neues, in seiner einmaligen Ganzheit auf das Tierische nicht Reduzierbares gegeben ist. Wenn diese Alternatve seit dem 19. Jahrhundert von sehr vielen Biologen zugunsten eines graduellen Unterschiedes gelöst wurde, so geschah das vor allem unter dem Einfluß des-Zauberwortes „Evolution”, die ja fließende Uebergänge fordert. Daß dabei das apriorisch evolu- tionistisęhe Schema wie ein selektives Sieb gewirkt hat, das den. Blick einseitig auf Vergleichbares, Aehn- liches und Gleiches lenkte, von den Verschiedenheiten aber völlig abstrahieren ließ, so daß sie als unwesentlich von der Beobachtung ausgeschlossen und weithin übersehen wurden, das bringt erst heute eine kritische Besinnung auf die Entwicklungsfrage und auf den Geltungsbereich des sogenannten „biogenetischen Grundgesetzes” vielen Biologen zum Bewußtsein. Die beiden vorliegenden Bücher geben eine ausgezeichnete Einführung in diesen vielschichtigen Fragenkomplex. G. Siegmund, der sich als Theologe auch in der Biologie und modernen Tier- und Humanpsychologie sehr gut auskennt, hat in diesem neuesten Beitrag zu einer ganzheitlichen Anthropologie all die verstreuten naturwissenschaftlichen und psychologischen Erfahrungen in überaus ansprechender und überzeugender Form zusammengefaßt, die für einen Wesensunterschied zwischen Tier und Mensch sprechen. In dieser Erkenntnis stimmt mit ihm auch Buytendijk überein; Sein Büchlein ist vor allem interessant wegen der ausführlichen Beschreibung der Erfahrungen mit den „humanisierten” Schimpansen, die in den Familien Kellog und Hayes unter menschlichen Bedingungen „erzogen” und gut studiert wurden. Daß sich diese am höchsten entwickelten und menschenähnlichsten Tiere nicht nur durch das Fehlen einer eigentlichen Sprache, sondern auch durch den Mangel einer theoretischen, mit abstrakten Be griffen operierenden Intelligenz, die sich in der Erfassung eines Prinzips und einer Ordnung manifestiert, ganz wesenhaft und grundsätzlich, also nicht nur graduell vom Menschen unterscheiden, das dürfte nun wohl über allen Zweifel erhaben sein.

DIE DEUTSCHEN GEDICHTE DER VORAUER HANDSCHRIFT, Codex 276, II. Teil. Faksimileausgabe des Chorherrnstiftes Vorau unter Mitwirkung von Karl Konrad Polheim. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz. 150 Seiten. Preis S 390.—.

Hatte bereits 1953 anläßlich des 3. österreichischen Historikertages die steiermärkische Landesbibliothek als Festgabe des Landes Steiermark den umfangreichsten Teil dieses. literarischen Kleinods allerersten Ranges, die Kaiserchronik (19.000 Verse, fol. 1—73), im gleichen Verlag herausgebracht, so legt das Stift Vorau in gleicher prachtvoll ausgestatteten, pergamentgebundenen weiteren Faksimileausgabe das Vorsatzblatt der Handschrift, die kleineren deutschen Dichtungen und fünf Blätter des abschließenden lateinischen Textes der kritischen historischen und germanistischen Forschung vor. In einer sauberen Einleitung: „Die Struktur der Vorauer Handschrift”, versucht der junge Grazer Germanist Karl Konrad Pol- heim nach eingehender Analyse überzeugend nachzuweisen, daß die Struktur des Codex 276 als Einheit und Ganzheit aufzufassen ist. Hatte sich die bisherige Forschung über diese Handschrift zumeist mit dem äußeren Erscheinungsbild oder dem Inhalt beschäftigt, so wendet sich Polheim mit wissenschaftlicher Akribie der formalen Gliederung zu. So gelingt es ihm auf Grund der Gesamtschau der drei Faktoren (äußeres Erscheinungsbild, formale Gliederung, inhaltliches Sinngefüge) nachzuweisen, was „die Ungunst der historischen Ueberlieferung uns versagt: das Wissen um Entstehung und Geschichte des Codex, das deutet dieser selbst an”. Der zweite Vorauer Propst Bernhard I. (1185 bis 1202) ließ diese ganze Handschrift mit ihrem lateinischen sowie deutschen Text niederschreiben und planvoll zusammenfassen. Abschließend spricht Polheim die Vermutung aus, daß die wertvolle Handschrift für einen herrschenden Laien, vielleicht für den Traungauer Otakar IV., dessen Sekretär der Propst Bernhard gewesen ist, bestimmt war. Jedenfalls ist die Forschung um ein Wesentliches weitergekommen, wenngleich die Vorauer Handschrift noch lange nicht ihre Rätsel enthüllt. Dem Vorauer Bibliothekar, Chorherr Pius Frank, sowie dem scharfsinnigen Interpreten Polheim sind die Historiker wie Germanisten zu großem Dank verpflichtet, nicht zuletzt der Akademischen Druck- und Verlagsanstalt für den einwandfreien, vorbildlichen Faksimiledruck.

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