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Universitas und Universität

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In einer anregenden Schrift legt der Innsbrucker Dozent R. Muth historisch dar, daß „Universitas” im Mittelalter keineswegs ursprünglich die Gesamtheit und geistige Einheit der Wissenschaften bedeutet hat. Die „Universitas litterarum”, von der immer wieder die Rede ist, wenn von einer Erneuerung des Geistes der Universitäten und von einer lebendigen Überwindung des positivistischen Spezialistentums gesprochen wird, ist mit dem Namen „Universitas” ursprünglich nicht gemeint, vielmehr ist es die Gemeinschaft aller Studierenden, in der Lehrende und Lernende zu einer Einheit des Standes, des Lebenszieles und der Lebensform zusammengefaßt sind. „Universalität” im Sinne des achtzehnten und des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts wurde gar nicht angestrebt, sondern sie ergab sich von selbst in einer Zeit, die ihr Wissen, Lehren und Forschen als Teil einer geistigen Ganzheit auffaßte. Dieser wußte sich die menschliche Gemeinschaft, und insbesondere die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden, auch menschlich und sittlich verpflichtet. So ordnete sich jedes einzelne Wissensstreben in eine höhere Einheit ein, und die „Universitas magistrorum et scolarium” wurde von selbst zur „Universitas litterarum”. Selbst die idealistische Philosophie des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts faßte noch die Wissenschaft als organische Einheit auf und glaubte, durch allseitiges Wissensstreben zu wahrer Universalität und einer darauf begründeten geistigen Gemeinschaft zu gelangen. Aber schließlich hat die positivistische Einstellung des neunzehnten Jahrhunderts alle diese Bindungen zerbrochen. Die einzelnen Fachwissenschaften stehen zusammenhanglos und ohne gegenseitiges Verständnis nebeneinander; die Forschungsmethoden sind so spezialisiert, daß die Forschungsarbeit die Verbindung mit dem menschlichen Bildungswert des Wissens, mit dem jeweiligen geistigen Gehalte des Gegenstandes verloren hat. Die Vermittlung von Wissensstoff, die Erarbeitung von neuen Forschungsergebnissen vermag nicht mehr eine geistige, sittliche und darum persönlichkeitsbildende Gemeinschaft zwischen Lehrenden und Lernenden zu gestalten. Die heutige Universität ist in keinem Sinne mehr „universitas”, weder im Sinne der universalen Ausrichtung der Fachwissenschaften noch im Sinne der geistigen Gemeinschaft ihrer Mitglieder.

Den Wag zur Wiedergewinnung dieser doppelten Universalität versucht Doktor R. Muth zu zeigen: jeder Studierende muß vom besonderen Gesichtspunkte seines Faches aus, die Anknüpfung an eine geistige Einheit suchen, die seinem Fachstudium erst Berechtigung gibt und ihm einen Platz in einer umfassenden Ordnung der Werte anweist. Das ist ohne „Dialog” als lebendige Auseinandersetzung über die geistigen Grundlagen der verschiedenen Studienzweige nicht möglich. So wird das Bestreben nach einer Auseinandersetzung über die letzten Ziele und Wertordnungen des Wissens von selbst zu einer gemeinschaftsbildenden Kraft, die Charakter- und persönlichkeitsbildend wirkt. Andererseits wird das Gefühl der Verpflichtung einer solchen Gemeinschaft gegenüber, wenn sie sich einmal gebildet hat, das Bestreben nach einer universalen, auf das Allgemeingültig-Geistige gerichteten Vertiefung des eigenen Fachstudiums lebendig erhalten.

Aus den mannigfaltigen Versuchen, diese „Universitas” an den heutigen Universitäten zu schaffen, wird von R. Muth vor allem das „österreichische College” hervorgehoben. Seine Arbeit tritt zwar nach außenhin am greifbarsten in der Veranstaltung der „Alpbacher Internationalen Hochschulwochen” in Erscheinung. Eine noch viel wichtigere und intensivere Arbeit entfaltet das College aber in einer ganzen Reihe von fachlich gegliederten Arbeitskreisen, die bestrebt sind, im engen Anschluß an die Studienarbeit der Universität das Ziel der Universalität von ehedem zu verwirklichen. Es handelt sich dabei nicht — weder im Falle des „österreichischen College” noch bei ähnlichen Unternehmungen im Ausland, von denen R. Muth berichtet — um Neugründungen, die sich irgendwie an die Stelle der bisherigen Universitäten setzen möchten, sondern vielmehr nur darum, aus der spontanen Tätigkeit und einer das Universitätsstudium ergänzenden Geistesarbeit der Hörerschaft heraus einen neuen, universaleren Geist in das Universitätsstudium zu tragen. Nicht um eine Reform des Universitätsstudiums handelt es sich also, sondern um die Neugestaltung des geistigen Verhältnisses, das der Studierende selbst zu seinem Studium hat. Es wäre ungerecht, diese Bestrebungen mit dem verantwortungslosen und um die Durchführbarkeit wenig bekümmerten Gerede von der Universitätsreform zu vermengen, wie man es mancherorts hören kann. Das zeigt sich besonders deutlich darin, daß R. Muth — im Geist des „österreichischen Colleges” ;—. für die untrennbare Einheit von Forschung und Lehre eintritt, da nur die Vereinigung dieser beiden Elemente das geistige Ethos erzeuge, das dem Studium seine Universalität und seine Kraft) Gemeinschaft zu erzeugen, wahrt. Vor kurzem hat erst ein berufener Vertreter der Wissenschaft, der Nobel- Preisträger Schrödinger, in demselben Sinne seine Stimme in der „Furch e” erhoben — eine um so beachtenswertere Äußerung, da es sich um einen Naturforscher handelt. Vielfach ist nämlich die Ansicht verbreitet, daß in den Naturwissenschaften, vor allem in ihrer praktischen Anwendung auf Technik und Medizin, eine solche Trennung des „Theoretikers” vom „Praktiker” am ehesten sich durchführen lasse. Selbst da weist nun ein wirklicher Meister des Faches eine derartige Trennung entschieden zurück. Was nun die Geisteswissenschaften betrifft, wird es wohl kaum möglich sein — um nur ein Beispiel zu nennen —, etwa das Sprachliche und Historische der lateinischen Literatur der Augusteischen Zeit als Teilgebiet für wissenswert zu halten, wenn es nicht gelänge, zum inneren Verständnis der geistigen Bewegung dieser Zeit vorzudringen. Freilich, diese Forderung nach Einheit zwischen Forschung und Lehre kann nur ermessen, wer aus der Erfahrung weiß, wie sehr im heutigen Studienbetrieb infolge des Mangels an Vorkenntnissen und an universaler Bildung selbst bei ehrlichem ideellem Streben nach Universalität die Gefahr besteht, daß die Erlernung der Forschungsmethoden und die Vermittlung der zum Überblick über ein Fachgebiet notwendigen Kenntnisse unorganisch auseinanderfallen. Zu oft wird der Hörer mit ungenügendem Überblick über die Gesamtheit seines Faches rasch in die wissenschaftliche Bearbeitung einer Spezialfrage hineingetrieben, deren Problematik er nicht verstehen kann. Die „Methode” erschein ihm dann als eine vom Inhalt und seinen Problemen völlig abgelöste, mechaniscHerlernbare Technik. Daneben erhält er den wesentlichen Inhalt als bloßen „Lernstoff” mitgeteilt, ohne in die grundlegende Problematik einzudringen. Daß ein solcher Studienbetrieb kein „geistiges Ethos” bilden kann, keine „geistige Gemeinschaft” zustande bringt, liegt auf der Hand — und nur verbohrte Spezialisten auf der einen, problemlose „Schulmeister” auf der anderen Seite können leugnen, daß darin eine geistige Gefahr liegt. Die Wege der Abhilfe, die R. Muth selbst für diese von ihm nicht klar formulierte Gefahr vorschlägt — „Zugangsfakultäten”, „Abschlußjahre”, „humanistische Fakultäten” neben dem Fachstudium —sind nur Halbheiten. Ihre Einführung wäre nur das Eingeständnis dessen, daß die Universität nicht das leistet, was sie leisten soll, und ihre Hauptaufgabe auf eine neue, viel weniger tragfähige Ergänzungseinrichtung überwälzt. Das wahre Heilmittel kann nur darin liegen, daß die Universität aus sich selbst heraus in jedem Fach zur wahren Universalität zurückfindet, und dagiit zugleich auch Universitas im Sinne geistiger Gemeinschaft wird. Es sollnicht geleugnet werden, daß die Grundvoraussetzung dieser Gesundung — die Hebung des Niveaus der Vorkenntnisse — eine große Anforderung an die Leistungsfähigkeit der Studenten darstellt. Der erste Schritt auf diesem Weg ist aber eine ihrer geistigen Verantwortung bewußte Handhabung der Doppelrolle der Universität als Forschungsschule und als Lehranstalt — in untrennbarer Einheit. Denn nur so wird sie das Dritte und Höchste: Bildungsstätte. Demgegenüber ist „seine Methode” geistig ebenso zersetzend wie „bloßer Lernstoff”, und beides erzeugt nicht, was die Universität zu schaffen berufen ist; Gemeinschaft im Geiste.

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