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Der gemaßregelte Kommunist

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>„Die Revolution kommt von weitem“: Unter diesem Titel veröffentlichte eine der markantesten Figuren des franzosischen Kommunismus, Charles Tillon, seine Memoiren. Der ehemalige Spanienkämpfer und oberste Chef der militanten Gruppe der Kommunistischen Partei während des zweiten Weltkrieges hat einiges zu erzählen. Doch die Revolution frißt nach einem klassischen Ausspruch die eigenen Kinder. Die KPF leistete sich nach dem Fall ihres Starphilosophen Garaudy den Luxus, einen ehemaligen Minister und glorreichen Widerstandskämpfer aus ihren Reihen zu verbannen. Seine Zelle in Aix-en-Provence schloß mit 8 gegen 4 Stimmen bei 1 Enthaltung den erprobten Streiter Tillon aus. Seine Richter zählten zwischen 20 und 30 Jahren, wogegen der ehemalige Rebell schon nach dem ersten Weltkrieg eine historische Persönlichkeit war.

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>„Die Revolution kommt von weitem“: Unter diesem Titel veröffentlichte eine der markantesten Figuren des franzosischen Kommunismus, Charles Tillon, seine Memoiren. Der ehemalige Spanienkämpfer und oberste Chef der militanten Gruppe der Kommunistischen Partei während des zweiten Weltkrieges hat einiges zu erzählen. Doch die Revolution frißt nach einem klassischen Ausspruch die eigenen Kinder. Die KPF leistete sich nach dem Fall ihres Starphilosophen Garaudy den Luxus, einen ehemaligen Minister und glorreichen Widerstandskämpfer aus ihren Reihen zu verbannen. Seine Zelle in Aix-en-Provence schloß mit 8 gegen 4 Stimmen bei 1 Enthaltung den erprobten Streiter Tillon aus. Seine Richter zählten zwischen 20 und 30 Jahren, wogegen der ehemalige Rebell schon nach dem ersten Weltkrieg eine historische Persönlichkeit war.

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Charles Tillon und sein Freund Marty waren die Helden der 1920 gegründeten Kommundstischen Partei Frankreichs. Neben Andre' Marty zeichnete sich Tillon in den internationalen Brigaden des spanischen Bürgerkrieges aus.

Seine Leistungen während der Besatzimgszeit 1940 bis 1944 können nur von der einseitigen offiziellen Geschichtsschreibung der Kommunistischen Partei besudelt werden. Er wurde kommandierender Chef der französischen Partisanen FTP (Francs-tireurs et partisans) und nahm maßgebend Anteil an der Befreiung des Landes. 1945 zum Abgeordneten des Seine-Departements gewählt, trat er als Minister für Rüstungswesen in das provisorische Kabinett de Gaulles ein und bekei-dete den gleichen Posten in weiteren zwei Ubergangsregierungen bis zur Entlastung der kommunistischen Minister durch den Sozialisten ßomo-dier, 1947. Tillon selbst träumte von einem bewaffneten Aufstand seiner vorzüglich organisierten und bewaffneten Truppen und dem Sturz der demokratischen Strukturen, die nach Kriegsende mühevoll etabliert worden waren. Generalsekretär Thorez wollte sich in kein Abenteuer einlassen. Die Kommunistische Partei beschloß die Auflösung ihrer Privatarmee als einer ernsten Bedrohung der Vierten Republik.

Nach diesem ersten Konflikt mit der Parteiführung entstand 1951 eine zweite Krise. Tillon wurde des Nationalismus und Opportunismus beschuldigt. Er war eben in erster Linie Widerstandskämpfer und Patriot und wollte sich bei allem Re<-spekt vor der Parteidisziplin nicht sämtlichen aus Moskau kommenden Befehlen beugen. Er wurde aus dem Zentralkomitee entfernt. Dem Nachfolger von Thorez, Wald-eck-Rochet, einer eher Urbanen Persönlichkeit, gelang es, die Partei als staatstreu zu deklarieren. Die KPF hoffte auf eine Allianz mit der nichtkommunistischen Linken und unternahm zahlreiche Versuche, einen Dialog mit der SFIO und der Konvention der Klubs anzubahnen. Sämtliche Initiativen der KPF wurden jedoch durch die tschechoslowakische Affäre bedroht. Dazu kam die Krankheit des amtierenden Generalsekretärs Woldeck-Rochet, der es zaghaft wagte, das Vorgehen der Warschauer-Pakt-Mächte zu kritisieren. Der stellvertretende Generalsekretär Georges Marchais übernahm de facto die Leitung der Partei und spielte eine bis heute undurchsichtige Rolle in der Übergabe von Dokumenten und Verhandlungsprotokollen zwischen Waldecfc-Rochet und Dubiek an die Prager NeoStalinisten. Darüber hinaus verstärkte Marchais den moskauhörigen Zug seiner Partei. Es wurde der Verdacht ausgesprochen, daß er durch eine direkte Initiative seines russischen Amtsbruders Breschnjew zu Amt und Würden gelangte. Gegen die einseitige Moskauorientierung trat zuerst der Philosophieprofessor Garaudy auf. Er wurde, wie üblich, zur kommunistischen Unperson erklärt. Aber Garaudy war nicht allein. Überraschenderweise wurde ihm von Tillon sekundiert, der, aus einer halben Vergessenheit auftauchend, die gegenwärtige Parteilinie schärf-stens attackierte.

Die Kontroversen zwischen Tillon und der Parteiführung wurden vor der breiten Öffentlichkeit ausgetragen. Man wusch die Schmutzwäsche in Fernsehen, Radio und der meinungsbildenden Presse. Während Garaudy nur auf die Schützenhilfe eines kleinen Kreises frondierender Intellektueller rechnen durfte, stützte sich Tillon auf zahlreiche Freunde und Mitkämpfer der Widerstandsbewegung, deren moralisches Gewicht auch heute noch zählt. Es liegen Anzeichen vor, daß die Ausgeschlossenen ab Oktober zur Sammlung gegen den „demokratischen Zentralismus“, sprich: die Diktatur der Gruppe Marchais, aufgerufen werden. Tillon und Garaudy steht bereits etoe politische Revue „Politique aujourd-hui“ zur Verfügung, die vorläufig recht ärmlich erscheint.

Mit größerem Aufwand wird im Herbst die Zeitschrift „Politique-Hebdo“ herauskommen, um die sich die nichtstalinistischen Kommunisten Frankreichs scharen wollen.

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