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Der „kluge Kater Felix“

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Auf der Höhe dieses Sommers sah es so aus, als habe Frankreich in Felix Gaillard einen verjüngten Mendės-France bekommen. Man fand bei ihm dieselbe sachliche, nüchterne Intelligenz, die sich nicht ideologische Scheuklappen vorklemmen ließ. Und in der Art, wie der gegenwärtige Finanzminister seine allzu ausgabefreudigen Kollegen unter Jūratei nahm, schien eine verwandte Energie im Durchsetzen des als richtig Erkannten zum Ausdruck zu kommen. Hinzu trat aber noch ein Charme, der Mendes zum Leidwesen der Franzosen abgeht: der 38jährige Gaillard, Frankreichs jüngster Chef der Finanzen seit Caillaux, hat eine jungenhafte Frische, die seinem Namen alle Ehre macht. (Ein „gaillard“ ist im Französischen ein „Mordskerl".) Vielleicht ließ sich Frankreich von ihm jene „austerite“ auf nötigen, die es von dem kalten und etwas menschenverächte- rischen Mendes nicht angenommen hat?

Nun, die jäh aufgeschossenen Hoffnungen auf das Finanz-Wunderkind sind seither etwas gedämpft worden. In der Zwischenzeit nämlich ist Gaillard ebenfalls von jenen Kräften in die Zange genommen worden, die Frankreichs eigentliche Herrscher sind und all die Jahre hindurch jede Reform der französischen Wirtschaft vereitelt haben: wir meinen die die staatliche Subventionskuh über Gebühr melkenden Bauernverbände und die Mittelstandsorganisationen des unsinnig aufgeblähten Zwischenhandels. In diesem Zangengriff aber zeigt sich, daß auch der „kluge Kater Felix" keine Wunder bewirken kann. .. , .. .. .. •. .. .

Um so unbefangener kann man nun die Eie-: mente von Herkunft und Bildung ausmachen, die Gaillard bestimmen. Denn vom Reformer Mendes unterscheidet ihn nicht nur, daß ihm dessen verbohrte Hartnäckigkeit abzugehen scheint. Auch sein Weg ist ein anderer. Zuerst einmal ist zu sagen, daß Gaillard nicht den Vorteil der Exzentrik hat (in verfahrenen Situationen ist es immer fruchtbar, ein Außenseiter zu sein). Er gehört vielmehr der exklusiven Elite an, die die französische Verwaltung aus sich hervorgebracht hat: seiner Ausbildung nach gehört Gaillard nämlich dem kleinen Kreis der „Inspecteurs des finances“ an, die in einem Staat, der nach Herbert Lüthy nicht regiert, sondern verwaltet wird, sozusagen das Korps der „Auserwählten“ stel

len. Es mag aber sein, daß so viel Einblick in das Räderwerk der Staatsmaschine den Mut zu revolutionären Eingriffen bremst.

Das zweite, was man von Gaillard wissen muß, ist der Umstand, daß er, nach Bewährung in der Resistance, bei der Liberation seine politische Karriere als Direktor des persönlichen Kabinetts von Jean Monnet, dem Vater der Montanunion, begann. Und seinen ersten Ministerposten wird Gaillard, der seit 1946 als radikalsozialistischer Abgeordneter der Richtung Renė Mayers in der Kammer sitzt, 1947 als Unterstaatssekretär des Wirtschaftsministeriums der Regierung Robert Schuman einnehmen. Er tritt in den Europarat ein und wird in der Folge noch eine Reihe weiterer Staatssekretariate innehaben, so 1953 in der Regierung Renė Mayer. Diese Daten zeigen, wohin Gaillard gehört: er zählt zu jenem aus vorurteilslosen und tüchtigen jungen Leuten zusammengesetzten Brain-Trust, der unter Jean Monnets Führung in Frankreich die eigentliche treibende Kraft hinter allen Integrationsbestrebungen darstellt. Das aber ist in diesem Lande eine ebenso vorgeschobene wie isolierte Situation. Die aufgeschlossenen Kreise der Industrie nämlich, und zwar insbesondere der Grundstoffindustrie, die hinter diesen Bestrebungen stehen, sind im Körper der französischen Wirtschaft isoliert. Die eigentlichen Kommandohebel blieben in der Hand der gewerblichbäuerlichen Mittelstandsorganisationen. Finanzminister Gaillard hat gerade in diesen Tagen feststellen müssen, daß es nicht genügt, wenn man das „Patronat" (das heißt die Großunternehmer) auf meiner Seite hat. .

, Das dritte, was män von Felix Gaillard wissen muß, ist seine gesellschaftliche Herkunft. Er entstammt jener „jeunesse dorėe“ der französischen Großbourgeoisie, die ihre Väter den gewaltigen aufgestauten Reichtum des Landes verwalten sah. Und geheiratet hat er die reizende junge Witwe eines Milliardärs. Das raubt Gaillard gewiß weder Legitimation noch Fähigkeit, zum Mann der „französischen austėritė“ zu werden. Aber es erschwert ihm dieses Amt psychologisch. Als er in das Finanzministerium im Nordflügel des Louvre einzog, leistete er sich das Bonmot: „Hier sind die (antiken) Möbel falsch, bei mir zu Hause sind sie echt.“ Eine solche „dėsinvolture“ hätte im

18. Jahrhundert wohl nur Beifall gefunden; im Zeitalter der Public Relations jedoch war sie, die von der Boulevardpresse gleich vervielfältigt wurde, ein propagandistischer Mißgriff.

Im übrigen hat Gaillard damit das Wesen der französischen Finanzkrise im Kern getroffen: sie beruht ja darin, daß in einem Land mit großem privatem Reichtum der Staat bettelarm

ist. Und die Versuchung bestand immer darin, den Ausgleich bei den kleinen Lohnempfängern (Rezept der Rechten) oder bei den isolierten und ohnehin in ihrer Expansion gehandikapten Großunternehmungen (Rezept der Linken) zu suchen. — Nun ist soeben die Regierung Bourgės- Maunoury gestürzt worden. Wird Gaillard diesen Sturz überleben?

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