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Die rettenden Zufälle

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In dieser mißlichen Situation kamen Höcherl zwei Umstände zu Hilfe, die der Diskussion eine andere Richtung gaben. Einmal wurde einer der mutmaßlichen Informatoren der „Zeit“ aus dem Bundesverfassungsschutz bekannt. Es handelte sich um den Angestellten P ä t s c h, der am 19. September seine Stellung für so unhaltbar hielt, daß er aus dem Amt verschwand. Er stellte sich zwar wenige Tage später dem Staatsanwalt, der gegen ihn ein Verfahren wegen Geheimnisverrat eröffnet hatte. Seine Angaben erwiesen sich aber teilweise als unrichtig.

Ein weiterer glücklicher Zufall war eine Sendung des Nordwestdeutschen

Fernsehens. In der Sendereihe „Panorama" wurde am 23. September behauptet, auch im Bundestag habe es jahrelang eine Telephonabhöranlage gegeben. Diese Angabe erwies sich als unrichtig. „Panorama“ war das Opfer einer falschen Information geworden. Die Redaktion, der jede Verunglimpfung des Bundestages ferngelegen war, zog daraus die Konsequenz und trat zurück.

Diese beiden Vorkommnisse gaben Höcherl Gelegenheit, die Gegenoffensive zu ergreifen. Er wurde dabei auch von der CDU CSU unterstützt, der die „Panorama“-Redaktion seit langem ein Dorn im Auge war. Dazu kam, daß auch die anfangs heftig reagie rende SPD zahmer geworden war, seit sich herausgestellt hatte, daß die Landesverfassungsschutzämter der von der SPD regierten Länder in der Frage des Abhörens von Telephonanlagen verdächtiger Personen nicht viel anders vorgehen als der Bundesverfassungsschutz! Ein besonderer Trost für die vor dem Kanzlerwechsel stehende CDU war schließlich ihr Wahlsieg in Bremen vom 29. September. Es gelang der CDU, in diesem kleinen Ländchen ihren prozentualen Anteil von 14 auf 2'8 Prozent zu verdoppeln, während die SPD 0,3 Prozent einbüßte und die FDP 1 Prozent gewann.

65 Fälle zugegeben

Es ist daher nicht zu erwarten, daß die häßliche Abhöraffäre weiterreichende Folgen haben wird. Im Gegenteil, es sieht so aus, als ob die schon früher geplante Ablösung Höcherls nunmehr endgültig aufgegeben wurde. Es wäre aber falsch, das Ganze nur als einen Sturm im Wasserglas zu bezeichnen. Wieder ist die deutsche Öffentlichkeit auf eine gegen den Geist des Grundgesetzes verstoßende Praxis gestoßen. Selbst wenn Höcherl nun, wie er versprochen hat, eine neue Regelung bei den Ersuchen um Telephonüberwachung an Alliierte-Steilen treffen will, bleibt bestehen, daß sich die seit Jahren geleugnete Praxis des Abhörens von Telephongesprächen bewahrheitet hat. Höcherl selbst hat am 3. Oktober vor einem Ausschuß der drei Bundestagsfraktionen 65 Fälle zugegeben, von denen 35 Fälle noch nicht abgeschlossen sind. Jahrelang ist die deutsche Öffentlichkeit in dieser Frage irregeführt worden, und erst das Aufdecken dieser Praxis durch die Presse hat nun eine Änderung herbeigeführt. Bisher genügte ein mündliches Ersuchen eines Beamten des Bundesverfassungsschutzes, um die Überwachung des Telephonverkehrs eines deutschen Saatsbürgers durch die Alliierten auszulösen. Nunmehr soll dies nur mehr durch ein schriftliches Ansuchen, das vom Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes unterschrieben sein muß, geschehen können.

Sicherlich werden in den Geheimdiensten aller Länder Dinge vorkommen, die nicht streng korrekt sind.

Das Schlimme dieser Affäre ist auch nicht die Tatsache des Abhörens an sich, sondern die Art, wie man sie geleugnet hat und, als man sie nicht mehr leugnen konnte, zu bagatellisieren suchte. In diesem Sinn haben der „Spiegel“-Skandal vom vergangenen Jahr und diese Affäre eine gemeinsame Wurzel. In beiden Fällen war die Regierung so sehr in obrigkeitsstaatlichen Vorstellungen befangen, daß sie die Kritik, ohne nach ihrer Berechtigung zu fragen, als freche Anmaßung empfand.

Vor einer Vertrauenskrise?

Daß sich in einer Partei nach acht Jahren absoluter Mehrheit obrigkeitsstaatliche Tendenzen ausbilden, entspricht einer alten Erfahrung. Sie geigen sich, wie die Bremer Landtagswahl zeigte, auch in den von der SPD mehrheitlich regierten Ländern. Nur kann dies über kurz oder lang zu einer Vertrauenskrise führen, die für die demokratische Entwicklung in Deutschland nicht unbedenklich ist. Es wird nun abzuwarten sein, ob Erhard hier einen Wandel schaffen kann oder ob dieser von dem Ausgang der nächsten Bundestagswahlen 1965 abhängt.

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