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Die deutsche Innenpolitik ist in den vergangenen Wochen ganz von dem zähen Ringen um die Ministersitze im künftigen Kabinett Erhard bestimmt. Während ständig neue Kombinationen durch die Tagespresse gehen, hüllt sich der künftige Kanzler in Schweigen und hat damit eine Überlegenheit gezeigt, die manch voreiliges Urteil über seine Fähigkeiten widerlegt hat. Es dürfte heute feststehen, daß in dem Kabinett Erhard keine großen Veränderungen stattfinden werden.

Die Diskussion um das neue Kabinett hat aber eine Unruhe gebracht,

die wiederum durch äußere Ereigniss gesteigert wurde. Während der neber Erhard am längsten amtierende Bundesminister, Verkehrsminister Christoph S e e b o h m, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, den Straßenbai sträflich vernachlässigt zu haben, mit dem utopischen Hinweis, parierte Westdeutschland werde 1980 das beste Straßennetz Europas besitzen, isi sein Kollege von der CSU, Innenminister H ö c h e r 1, über eine Affäre ir schwere Bedrängnis geraten, die seil Wochen die deutsche Öffentlichkeil beschäftigt.

Anfang September erschien in dei Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ ein ungewöhnlich gut informierte) Artikel, in dem Telephonabhörmethoden des Bundesverfassungsschutzes eingehend geschildert wurden.

Die „Hilfe“ der Alliierten

Die rechtliche Lage ist dabei ziemlich kompliziert. Nach Artikel 10 des Grundgesetzes ist die Verletzung des Fernsprechgeheimnisses grundsätzlich verboten. Im Truppenvertrag wurde den Alliierten jedoch das Recht dei Telephonüberwachung zugestanden. Ir der „Zeit“ wurde nun dargestellt, wie sich beim Bundesverfassungsschutz die Praxis ausgebildet hatte, die Alliierten um die Überwachung von Telephongesprächen verdächtiger Personen zt bitten. In der an diese Veröffentlichung sich anschließenden Untersuchung wurden diese Angaben ebensc bestätigt wie die Behauptung, dali diese Ersuchen in reichlich formloser den Mißbrauch keineswegs ausschließender Art erfolgten.

Ähnlich wie sein Fraktionskollege der ehemalige Verteidigungsministei Franz Joseph Strauß, verschlim-

merte auch Höcherl seine Position durch unbedachte Äußerungen. So meinte er, man könne nicht verlangen, daß die Beamten des Bundesverfassungsschutzes ständig mit dem Grundgesetz unter dem Arm umherliefen. Er rief damit in der deutschen Öffentlichkeit helle Empörung hervor. Einen Augenblick lang schien es, als ob sogar die CDU, um der sich abzeichnenden allgemeinen Vertrauenskrise zu entgehen, Höcherl fallenlassen wollte. Der Geschäftsführende Vorsitzende Dufhues gab wenige Tage darauf vor der Presse eine Erklärung ab, in der er die Praktiken des Bundesverfassungsschutzes, soweit sie über die vom Grundgesetz gezogenen Grenzen hinausgingen, verurteilte. Es gelang aber Höcherl, diesen Sturm aufzufangen. Bei einem ersten Bericht vor Vertretern der Bundestagsfraktionen standen die CDU CSU-Verireter wieder ganz hinter ihm. Allerdings blieben die Vertreter der FDP skeptisch, und die der SPD sprachen weiter von Verfassungsbruch.

„Die Zeit“ und ihre Informatoren

Die Aufregung um die Abhörfrage wäre wahrscheinlich nicht so groß gewesen, wenn Höcherl und der Bundesverfassungsschutz nicht schon vorher in das Kreuzfeuer heftiger Kritik geraten wären. Im August hatte „Die Zeit“ eine Liste der dort noch heute beschäftigten ehemaligen Mitglieder des SD und der Gestapo veröffentlicht. Obwohl es für Höcherl ein leichtes gewesen wäre, die Schuld an deren Einstellung auf seine Vorgänger abzuwälzen, stellte er sich vor diese Beamte und rühmte ihre fachliche Eignung. Da zwei im Bundesverfassungsschutz beschäftigte ehemalige Angehörige des SD im März dieses Jahres in einem aufsehenerregenden Prozeß wegen Ostspionage zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt worden waren, war dieser Hinweis wenig glaubwürdig. Auch hatte sich der eine von ihnen als überzeugter Nationalsozialist bezeichnet und seine Verrätereien mit seinem Rachebedürfnis an den Amerikanern begründet. Die Vorstellung, von ehemaligen Angehörigen des SD und der Gestapo bespitzelt zu werden, rief nun eine Unruhe hervor, die in manchem an die große Krise des vergangenen Herbstes erinnert.

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