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Ohne rote Nelken

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20. November, 14 Uhr: Die neugewählten Abgeordneten des niederösterreichischen Landtages zogen gemessenen Schrittes in den traditionellen Sitzungssaal. Die im Wahlkampf strapazierten Trachtenanzüge waren in den. Kleiderkästen geblieben. Die Sozialisten taten noch ein weiteres, um den New Look ihrer Partei zu dokumentieren: Sie hatten darauf verzichtet, rote Nelken anzustecken.

Die erste Sitzung war kurz. Innerhalb einer guten Stunde wurden die Abgeordneten angelobt, die Präsidenten des Landtages, der Landeshauptmann, die Regierungsmitglieder und die niederösterreichischen Mitglieder des Bundesrates gewählt. Manchmal hatte man an diesem frühen Nachmittag den Eindruck, sich anderswo als im niederösterreichischen Landtag zu befinden: Alle Wahlen erfolgten einstimmig. Nur der Friedenskuß fehlte...

Gewiß, auch dn der neuen Gesetzgebungsperiode wird es manche harte Auseinandersetzung geben, aber irgendwie scheint sich in Niederösterreich doch einiges gegenüber der letzten Legislaturperiode geändert zu haben. Dazu mag nicht zuletzt das Wahlergebnis am 19. Oktober ibeigetragen haben. Die ÖVP ist mit dem Verlust eines Mandates glimpflicher davongekommen, als ihr die meisten Freunde prophezeit hatten.

Am politischen Kräfteverhältnis hat sich praktisch nichts geändert. Das beweist auch der Ausgang der Verhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ über die Modalitäten der Zusammenarbeit in der neuen Legislaturperiode. Das einzige, was die Sozialisten erreichten, war, daß sie zusätzlich im Bauausschuß den Vorsitzenden stellen. Gerade dieser Ausschuß aber wird in den nächsten Jahren nicht allzusehr in Erscheinung treten, denn die wichtigsten Gesetze, die in seine Kompetenz fallen, das Raumordnuingsgesetz und die Bauordnung, sind noch in der vorigen Gesetagebungsperiode unter Dach und Fach gebracht worden. Die Kom- petenzverteilung in der Landesregierung bleibt so, wie sie bisher war. Uber Reformen in der Verwaltung, über Kompetenzvereinfachungen und über Verbesserungen bei der Vergabe der Wohnbauförderungsmittel wird innerhalb des nächsten halben Jahres zwischen den beiden Parteien verhandelt werden. Was dabei herauskommen wird, steht vorläufig noch in den Sternen geschrieben.

Verhandlungen ohne Erpressung

Daß es zu einer Vereinbarung zwischen den beiden Parteien und in ihrer Folge zur einstimmigen Wahl der Landesregierung gekommen ist, hat eigentlich überrascht. Denn das Forderungspaket, das die Sozialisten auf den Tisch gelegt hatten, war nicht nur umfangreich, sondern auch seinem Inhalt nach schwer; es dürfte zu einem Zeitpunkt konzipiert worden sein, da die SPÖ noch hoffte,

27 oder gar 28 Mandate zu erreichen. Da die Volkspartei von allem Anfang an mit der Absicht in die Verhandlungen gegangen war, sich die einstimmige Wahl dm Landtag nicht durch politische Konzessionen abpressen zu lassen, standen die Chancen für eine Vereinbarung eher schlecht. Bel der dritten Zusammenkunft der Unterhändler — die Beratungen wurden mehrmals unterbrochen und dauerten von 15 Uhr bis 2 Uhr früh — kam man dann schrittweise einer Einigung näher. Es vergingen dann allerdings noch 36 Stunden, bis das Protokoll und der Text des Kommuniques so ausgefeilt waren, daß die Schriftstücke von den Vertretern der beiden Parteien unterzeichnet werden konnten.

Irgendwie scheint sich aber in Niederösterreich noch etwas geändert haben: Darauf läßt die sachliche Atmosphäre bei den Parteienverhandlungen und die friedliche Stimmung bei der konstituierenden Sitzung des Landtages schließen.

Man dürfte dn der Annahme nicht fehlgehen, daß die Debatten im neuen Landtag nicht, wie dies in der letzten Gesetzgebungsperiode der Fall war, weitgehend von Polemiken über die Vergangenheit, sondern von sachlichen Auseinandersetzungen über die Zukunft des Landes bestimmt sein werden. Die Vergangenheit ist auch in Niederösterreich wirklich Vergangenheit. Der Versuch der Sozialisten, sie während des Wahlkampfes künstlich wieder zum Leben zu erwecken, hat sich als politisch nicht einträgliches Geschäft erwiesen.

Für Niiederösterreich kann dieser Wandel nur von Vorteil sein.

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