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Sagen wir, es war nichts

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Der Verfassungsgerichtsihof hat die derzeit eher laue österreichische Innenpolitik für einige Tage elektrisiert. Die Spannung wurde plötzlich enorm, und man hörte es förmlich knistern, als am Abend des letzten Sonntags die drei parlamentarischen Klubobmänner auf dem Fernsehschirm erschienen, um über die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes entstandene Lage zu diskutieren.

Das Parlament ist voll funktionsfähig, sagten die drei Politiker einleitend und wiederholten damit jene Feststellung, auf die sich die Hauptakteure dieses parlamentarischen Zwischenspiels schon am Vortage geeinigt haben. Die Schnelligkeit, mit der hier einmal ganz ausnahmsweise Einigung in einer nicht unwesentlichen Frage erzielt wurde, hat offenbar noch immer ganz tief liegende Ursachen: Einmal schon wurde in Österreich durch eine Kurzschlußhandlung einiger Spitzenpolitiker der Parteien, die zur Selbstausschaltung des Parlaments führte, Geschichte gemacht. Und diese Geschichte ging nicht gut aus. Daher also jetzt die beinahe schlafwandlerische Sicherheit und Promptheit bei der Feststellung, die vielleicht sonst doch ein wenig fragwürdig wäre, nämlich, daß das Parlament auch mit seinen im Hause verbliebenen 149 Abgeordneten weiterhin funktionsfähig Ist. „Wir haben die staatspolitische Verantwortung“, sagte dazu der nunmehr erste, weil alleinige Präsident des Nationalrates, Doktor Maleta, „daß am Funktionieren des Parlaments in der Öffentlichkeit kein Zweifel entsteht.“ Dann aber ist es allen klar geworden, daß in der Öffentlichkeit infolge anderslautender Äußerungen von Verfassungsrechtlern und auch Politikern doch Zweifel am rechtmäßigen Funktionieren dieses Parlamentes enstehen könnten. Die Gesetze, die diese Parlament beschließt, könnten angefochten werden, meinte der Wiener Verfassungsrechtler Professor Winkler. Und der Bundespartei-obmann und parlamentarische Klubobmann der ÖVP Dr. Withalm zog daraus die Konsequenzen und meinte, das Parlament dürfe unter diesen Umständen bis zur Wahl der Abgeordneten in den durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes betroffenen drei Wiener Wahlkreisen keine Gesetze mehr beschließen. Aber auch Justizmindster Dr. Broda bezeichnete es als eine „Taktfrage“, vorerst mit der gesetzgeberischen Aktivität zu warten, bis das Parlament wieder 165 rechtmäßig gewählte Abgeordnete zählt. Der Obmann der großen Oppositionspartei konnte sich nicht durchsetzen. Das war immerhin vorauszusehen, denn die Freiheitlichen hatten sich bereits in der Frage des Forschungsministeriums auf die Seite der Regierung Kreisky geschlagen, und sie mußten also den Bundeskanzler auch noch in der Auslegung des verfassungsgerichtlichen Erkenntnisses unterstützen. Und da war auch noch die Witwenpension, deren Erhöhung hätte verschoben werden müssen, wenn das Parlament in diesem Sommer keine Gesetze mehr beschließen dürfte. Der Bundeskanzler argumentierte jedoch allein mit dem Hinweis, daß er regieren und zwar mit dem Parlament regieren wolle. All das war vorauszusehen — und somit auch der stille Rückzieher des ÖVP-Bundesparteiobmannes, der in der Sache bestimmt Recht hatte, taktisch aber unterlag. Der Triumph auf der Gegenseite war in diesem Fall billig — und unnötig.

Und billig war auch der Triumph des Obmannes der kleinen Oppositionspartei, der, nachdem er Kreisky die nötige Unterstützung gegeben hatte, rasch wieder die Rolle wechselte und redete, als wäre er der Führer der Opposition.

Die Spannung ließ aber nach. Es war wieder politischer Alltag. Eine Krise war an uns vorübergezogen. Sagen wir, es war nichts ...

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