6771350-1969_03_08.jpg
Digital In Arbeit

Symptome der Anarchie

Werbung
Werbung
Werbung

„Diisöäschen Publizisten sind komische Leute. Da erfinden sie Gespenster, wo keine sind. Eine faschistische Gefahr in Frankreich ist unmöglich. Dort herrscht eine alte republikanische Tradition. Politisch scharf orientierte Gewerkschaften ersticken sofort jeden Putsch kleiner faschistischer Gruppen im Generalstreik.“ So dürfte das Urteil eines gequälten Zeitunglesers lauten, der sich mit den Weltkonflikten beschäftigt und nicht künstl'ch beunruhigt werden will. Aber von einem faschistischen Angriff in Frankreich sprach nicht etwa ein lüsterner Sensationsreporter, sondern der nüchterne Edgar Fiure, von de Gaulles Gnaden Unterrie>tsniini<-ster der V. Republik und dazu ausersehen, das Orientierungsgesetz für die Universitäten durchzusetzen.

Wenn aber Unterrichtsminister Edgar Faure vom Faschismus in Frankreich sprach, dachte er weder an Vorgänger wie das „Große O“ noch am die Geheimgesellschaft OAS, sondern an die C. D. R. (Comite pour la defense de la Republique). Diesmal situiert sich dit- faschistische Gefahr innerhalb der bestehenden Mehrheit. Solche Komitees wurden am 30. Mai 1968 gegründet und werden von geeichten Ganülisten geleitet, die päpstlicher als ihr Papst die Reinheit des Gaullismus gegenüber Opportunisten und Anhängern des Parteiensystems verteidigen. Einzelne Komitees wurden bewaffnet und dienten während der Wshl-kämpfe im Juni 1968 als Rollkommandos, um die kommunistischen und sozialistischen Werber einzuschüchtern und die Versammlungen der Staatspartei zu sichern. Wir halten fest, daß es sich dabei nicht um eine Sonderorganisation der UDR handelt, sondern um selbständige Gebilde, die vom Generalsekretardat der Staatspartei in keiner Weise kontrolliert werden. Verschiedene Abgeordnete der parlamentarischen Mührheitsf raktion sympathi sieren offen mit den C.D.R.'s, andere wieder lehnen diese eigenartigen Formen ab.

Der frühere Chef der Opposition, M i 11e r-a nd, verlangte .-die sofortige Auflösung solcher Komitees, da durch sie eine faschistische Bedrohung der Republik gegeben sei.

Das C.D.R. von Dijon griff kürzlich heftig das Reformgesetz Edgar Faures an und sprach von einem Bluff, einem Fiasko, einer gefährlichen Bombe, welche nicht nur das Regime, sondern unsere Zivilisation in die Luft sprengt. Die heitere Stadt Burgunds ist der Hochsitz des gegenwärtigen Generalsekretärs der UDR, Roibert Poujade (nach klassischen Worten weder verwandt noch identisch mit dem Agitator der IV. Republik). Der hohe Parteifunk-

9idusT9bnßnl98i/8 irlsteO fit ,tionär distanzierte sieh von-den Angriffen seiner Gesinnungsfreunde, während der Unterrichtsministei schärfstens seine Gegner faschistischer Neigungen verdächtige. Diese Angelegenheit entfesselte beinahe eine Regierungskrise. Couve d€ M u r v i 11 e mußte persönlich eingeschaltet werden, um die erregten Gemüter zu beruhigen und seinen Unterrichtsminister zu besänftigen.

Die Frage bleibt offen, ob die C.D.R.'s Keimzellen einer neuen faschistischen Bewegung werden. Solange de Gaulle die Geschäfte des Staates leitet, ist jede Gefahr einer Entwicklung zur extremen Rechten hin ausgeschlossen. Die Armee spielt politisch gesehen in Frankreich gegenwärtig keine Rolle. Sie führt die Befehle des Staatschefs aus und wird niemals frondieren. Das kleine Bürgertum jedoch lebt weiterhin in Unruhe und sieht überall Symptome einer Anarchie aufflackern. Sollte also der Staatschef in absehbarer Zeit demissionieren (diesbezügliche Gerüchte wollen nicht verstummen), ist eine latente Gefahr vorhanden, daß sich faschistische Organisationen bilden. Auf der einen Seite droht das Chaos. In einem solchen Klima der Unsicherheit. erschaHeitiäie Rufe nach dem stabilen Regime, das den inneren Frieden sichert. Bisher vermochte die gewaltige und geschichtlich gewachsene Figur des Staatschefs solche Aspirationen zu bannen und sie in den Hintergi-und zu rücken.

Frankreich ist weder für den Fa &#9632; schismus noch für eine Volksfront reif. Aber sollten die großangelegten Reformwerke, die seit Herbst 1968 einsetzten, scheitern, könnten die extremistischen Ideologien an Boden gewinnen. Ein Neofaschismus in Frankreich würde wohl nie eine Mehrheit in der Nation finden, aber einen ständigen Unruheherd für das Volk und Europa darstellen

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung