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TAGE ERLANGER NACH LINKS GEDRÄNGT

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„Freude und Ansporn“ sei der sozialdemokratische Sieg von Schweden — und alle Sozialisten seien „inspiriert und ermutigt“ —, so telegraphierten der österreichische Parteivorsitzende Kreisky und der Präsident der Internationale, Dr. Pittermann, an den Vizepräsidenten dieser Dachorganisation: an Tage Erlander, alter neuer Sieger von Schweden — und zur Zeit spektakulärster Sozialdemokrat Europas.

Denn während sich die sozia

listischen Regierungen Skandinaviens sichtlich verdünnten, seit Norwegen und Dänemark bürgerliche Regierungen besitzen und seit Wilsons Labour-Stern in Westminster zu verblassen beginnt, führt Erlander seine Sozialdemokraten zum sensationellsten Wahlsieg der rosaroten Geschichte dieser skandinavischen Monarchie. Mit der absoluten Mehrheit machte Erlander aber auch den skandinavischen Weg zum Sozialismus in aller Welt wieder attraktiver — dem man in der letzten Zeit schon Patina nachsagte. Wer allerdings unter diesem Weg Mäßigung und Flexibilität meinte, mußte zu seinem Erstaunen in den letzten Monaten ein gerüttelt Maß an Radikalität und Dogmatismus feststellen. Um so erstaunlicher ist daher der Wahlsieg Erlanders.

Der nunmehr Siebenundsechzigjährige ist seit 1946 Ministerpräsident des Königreichs. Schon im zweiten Weltkrieg konnte sich Schweden dank seiner Neutralität seine Handelswege intakt halten und systematisch den Aufbau einer Friedensindustrie vorantreiben. Aus einem bis dahin stark agrarisch ausgerichteten Volk wurde eine moderne Industrienation. Erlander bewies in den

ersten Jahren seiner Führung ein erstaunliches Maß an Modernität und schneiderte der Privatwirtschaft seines Landes ein System sozialer Maßnahmen zu, die lange Zeit auch für Österreichs Sozialisten zum Beispiel wurden.

Schwedens Neutralität wiederum ermöglichte dem Land eine Position der Überlegenheit in jenen Jahren der UNO, in denen die gelben und schwarzen Nationen am East River nicht überwogen. Die Berufung des Schweden Hammarskjöld zum Generalsekretär, die Rolle Schwedens bei den Friedensaktionen der UNO im Nahen Osten und Afrika sind Meilensteine im Prestige von Tage Erlander.

Aber je älter der Regierungsund Parteichef wurde und je wohlhabender das 7-Millionen- Volk an der Ostsee wurde, desto erstaunlichere Probleme ergaben sich. Schweden wurde zum Dorado entwurzelter Jugendlicher, ausschweifender Lebensformen und der Wohlstandskriminalität.

Die Schweden nennen es das „trivsel-Problem", was nicht übersetzbar ist. Tatsache aber ist das Suchen einer jungen Generation nach Vorbildern und Leitlinien für ihr Leben.

Je älter Erlander wurde, desto mehr schob sich als Kronprinz der erst 41jährige Kultusminister Olof Palme in den Vordergrund. Und Palme ist auch der eigentliche Sieger des 15. September. Dieser Palme freilich führte die gemäßigten Sozialdemokraten immer weiter nach links. Im März marschierte er an der Spitze eines Vietnamprotestzugs durch Stockholm und äußerte sich gehässig gegen die USA. Und auch Erlander stimmte in die Anti- USA-Kampagne ein: „Wir wollen den Mund aufmachen können!“

Der langsame Ruck nach links des alten, getriebenen Erlander machte die Sozialdemokraten um so mehr für Kommunisten wählbar, je frustrierter diese nach den Ereignissen von Prag waren. Aber zu den Kommunisten gesellten sich auch bürgerliche Wähler, die in einer außenpolitisch heiklen Situation — denn auch Schweden grenzt an die Sowjetunion — nicht die sozialdemokratische Regierung wechseln wollten.

So konnte Erlander glücklich seinen bevorstehenden Rücktritt zugunsten Palmes bekanntgeben — und dieser konnte befriedigt vom „Sieg unserer Ideologie“ sprechen.

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