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Walzer der Preistafeln
Während noch die Spekulanten in Nizza und Cannes, Deauville lind Chamonix ihre Aperitifs schlürften und die Millionen auf den Sandstränden ihre Haut bräunten, kam der 8. August 1969. Die Bekanntgabe des streng gehüteten Geheimnisses der nachgaullistischen Epoche erzeugte weder Sensation noch Panik. Die Franc-Abwertung versank in der süßen Gleichgültigkeit der Sommertage.
Während noch die Spekulanten in Nizza und Cannes, Deauville lind Chamonix ihre Aperitifs schlürften und die Millionen auf den Sandstränden ihre Haut bräunten, kam der 8. August 1969. Die Bekanntgabe des streng gehüteten Geheimnisses der nachgaullistischen Epoche erzeugte weder Sensation noch Panik. Die Franc-Abwertung versank in der süßen Gleichgültigkeit der Sommertage.
Die Gewerkschaften und Oppositionsparteien reagierten auch nach der Rückkehr aus diesem einmaligen Sommer bisher vernünftig und zurückhaltend. Der Generalsekretär der kommunistischen CGT, Sėguy, versprach wohl harte Worte und heftige Auseinandersetzungen, aber diese Drohungen wurden nicht ernstgenommen. Der genesene Generalsekretär der KP, Waldeck-Rochet, benützte das Herbstfest seiner Partei, an dem 500.000 Personen teilnah- men, um den Monokapitalismus zu kritisieren. Die Zuhörer ließen jede kämpferische Aktivität vermissen und vergnügten sich lieber auf diesem riesigen Jahrmarkt. Viel schärfer wurde die Regierung aus den eigenen Reihen angegriffen. Ssr frühere Staateminister für das Referendum Jeanneney setzte mit heftigen Vorwürfen ein und fand begeisterte Zustimmung bei den Links- gaullisten Capitant und Valion, die am Rande der Regierungspartei UDR politische Clubs und Gruppen begründeten, die Pompidou und Cha- ban-Delmas den Fehdehandschuh hinwarfen.
Schweigen aus Colombey
Es ist nicht abzusehen, ob sich diese Fronde gegen die Staatsführung in den nächsten Monaten vertiefen wird. Gewisse Anzeichen deuten darauf hin, daß die Divergenzen in der Mehrhei’tspartei wachsen und die äußere Fassade der Einheit kaum bis in das Frühjahr des nächsten Jahres halten wird. Die orthodoxen Gaullisten erwarten mit Sehnsucht, daß der Einsame in Colombey-les- deux-Eglises in Bälde als Zensor seiner Nachfolger auftritt. General de Gaulle hat bisher eisern geschwiegen und lediglich einige Vertraute, wie den ehemaligen Ministerpräsidenten Couve de Murville und den Exarmeeminister Messmer, zu kurzen Audienzen empfangen. Der Paladin seines Denkens, Michel Debre, zeigte sich mit seinen Kollegen kooperativ, betont gelegentlich die Konstante der gaullistischen Außenpolitik, aber dürfte — man möge seine letzten Reden analysieren — Wasser in den gaullistischen Wein gegossen haben. Nachdem die beiden anderen Sphinxe, der Senatspräsident Poher und der Exünterrichts- minister Edgar Faure, bemerkenswerte Zurückhaltung übten, keine Maßnahmen trafen, um in die Arena zu steigen, wird die Innenpolitik bis Ende des Jahres von einem einzigen Faktor dominiert werden.
Gelingt es der Regierung, die Preise unter Kontrolle zu halten, oder werden die Preistafeln in den Geschäften Walzer tanzen? Der innenpolitische Friede hängt in erster Linie davon ab, ob der Finanzminister Giscard d’Estaing sein Versprechen halten kann, daß die infolge der Abwertung zu erwartende Preissteigerung nicht mehr als 0,5 Prozent ausmachen wird. Die Zukunft der Regierung Chaban-Delmas ist daher mit der Disziplin der Kaufleute, Großisten, der Leiter der Einkaufsgenossenschaften und der Spezialisten der Supermärkte verbunden. Die entscheidende Schlacht wird an der Preisfront geschlagen. Uns erscheint es, als würde die Regierung vor einem Pyrrhussieg stehen.
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