Freunde - © Illustration:iStock/Alina Kvaratskhelia (Bildbearbeitung: RM )

Coronakrise: Stresstest für Freundschaften

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Die Pandemie ist ein Belastungstest für Freundinnen und Freunde, sagt der Soziologe Janosch Schobin. Nicht zuletzt, weil sich das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit vervielfacht hat. Über Beziehungsgeflechte im Spiegel der Krise.

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Die Pandemie ist ein Belastungstest für Freundinnen und Freunde, sagt der Soziologe Janosch Schobin. Nicht zuletzt, weil sich das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit vervielfacht hat. Über Beziehungsgeflechte im Spiegel der Krise.

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Auch Freundschaften bleiben von der Coronakrise nicht unberührt. Welche Herausforderungen die Pandemie für Beziehungsgeflechte mit sich bringt, erklärt Janosch Schobin, der am Lehrstuhl für Makrosoziologie an der Uni Kassel zur Soziologie der Freundschaft forscht.

DIE FURCHE: Welche Auswirkungen hat die Coronakrise auf Freundschaften?
Janosch Schobin: Eine allgemeingültige Aussage zu treffen ist schwierig. Freundschaften umspannen die ganze Welt, sind ein komplexes Netzwerk. Ich möchte das an einem Beispiel veranschaulichen: In einer Schulklasse mit 20 Kindern, gibt es schon mehr unterschiedliche Netzwerkformationen, als es Moleküle im Universum gibt. Was sich ganz generell sagen lässt ist, dass die Coronakrise diese Netzwerke unter Stress setzt. Und das kann sich dann ganz unterschiedlich äußern. Innerhalb von modernen Gesellschaften geht es in Freundschaften in der Regel um Unterstützung. Also wenn jemand Rat oder Halt braucht, dann wendet er sich an seinen Freund, seine Freundin. Und die Coronakrise hat das Bedürfnis nach Zuwendung bei unterschiedlichen Leuten aus ganz unterschiedlichen Gründen vervielfacht und diese Leute suchen dann bei ihren Freunden nach Unterstützung. Und das passiert gleichzeitig und global. Wir sprechen also von einer erhöhten Nachfrage nach Aufmerksamkeit, die dann eben verteilt werden muss.

DIE FURCHE: Die Coronakrise kann demnach zur Belastungsprobe für Freundschaften werden, wenn der eine mehr Aufmerksamkeit einfordert, als der andere geben kann?
Schobin: Ja, denn die Freundin, der Freund, hat in der Regel mehr Freunde als man selbst. Die Aufmerksamkeit eines Menschen wird also verteilt auf die jeweiligen Freunde. Wenn jeder jetzt plötzlich mehr davon einfordert, kommt es zu einem Ressourcenproblem. Letztlich wird jede Person für sich selektieren. Einige Freunde bekommen die eingeforderte Aufmerksamkeit, die anderen haben das Nachsehen und werden automatisch vernachlässigt. Konkret
sieht das so aus: Während man mit zwei, drei Freunden vertrauliche, persönliche, intime Dinge bespricht – und zwar quantitativ deutlich mehr, als das vor der Krise der Fall war – minimiert sich der Kontakt zum restlichen Freundeskreis eher.

DIE FURCHE: Heißt das auch, dass die Pandemie enge und tiefe Freundschaften eher intensiviert und oberflächliche Freundschaften ins Hintertreffen geraten?
Schobin: Das wäre zumindest meine Vermutung. Enge Freunde dürften derzeit eher ein Privileg haben. Das Problem ist allerdings, dass die Zuschreibung „enger Freund“ nicht immer wechselseitig ist. Welchen Rang ein Freund oder eine Freundin hat, ist oft nicht konsistent in Freundschaften. Das geht bis dahin, dass eine Freundschaft an sich nicht wechselseitig sein muss. Das passiert häufig, wenn sich Freundschaftsnetzwerke umordnen, etwa durch veränderte Lebensabschnitte. Da kann es schon passieren, dass sich gerade jetzt herausstellt, dass einem eine bestimme Person gar nicht freundschaftlich verbunden ist, obwohl man das selbst schon glaubt.

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