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Die Süddeutsche Zeitung sieht das Wahlergebnis von Baden-Württemberg als epochales Ereignis in der Geschichte der deutschen Politik und der CDU.

Wer verstehen will, was am Sonntag in Baden-Württemberg passiert ist, der muss sich nur vorstellen, die CSU sei von der Macht in Bayern vertrieben worden. Genau das ist der CDU im Südwesten passiert. Die in Jahrzehnten mit dem Staat verwachsene, fast eins gewordene Partei hat zum ersten Mal seit 58 Jahren die Wahlen verloren. Für viele Menschen fühlt sich das an, als würde ihre Welt einstürzen. Sie wurden geboren, sind aufgewachsen, älter geworden, ihr Leben hat sich entwickelt, gewandelt, hat vielleicht Purzelbäume geschlagen. Nur die CDU ist immer dageblieben. Das Land, das Wirtschaftswunder und die Partei gehörten zusammen. Diese Ordnung schien ewig zu währen. Jetzt ist sie weg. Das muss erst einmal verarbeitet werden.

Als Erklärung für den Machtverlust der CDU reicht das freilich ebenso wenig aus wie die These, über die CDU sei das Unglück von Japan hereingebrochen. Sicher, Japan hat viel verändert. Aber die Wahl ist nicht dort entschieden worden. Was dort geschah, hat nur die früheren Fehler der CDU in grelles Licht gerückt und der Niederlage den entscheidenden Schwung gegeben. Die Katastrophe von Fukushima hat offengelegt, wie sehr sich die CDU auf die Kernenergie versteifte und die Ängste vor der Atomkraft nicht mehr ernst nahm.

Tief liegende Ursachen

Die Ursachen für die Niederlage der CDU liegen allerdings noch tiefer. Die Christdemokraten haben in den letzten Jahren ihre Kernkompetenz und größte Fähigkeit verspielt. Sie haben die große Balance, die sie lange beherrscht haben, nicht mehr gehalten - die Balance zwischen einer hochmodernen, kreativen, mutigen Wirtschaft und einer wertegebundenen, bodenständigen Gesellschaft; die Balance zwischen den konservativen Milieus auf dem Land und dem liberaleren Milieu der Städte; und die Balance zwischen den konservativen und liberalen Strömungen in den eigenen Reihen. Die baden-württembergische CDU war nie deswegen stark, weil sie eine bestimmte Richtung besonders entschlossen vertreten hätte. Sie war stark, weil sie den Fortschritt, den kreativen Ehrgeiz der Tüftler und den christlich geprägten Fleiß aufs geschickteste miteinander verbinden konnte. Die CDU war eine Volkspartei im stärksten Sinne des Wortes.

Die Mechanik der Macht

Die CDU in Baden-Württemberg hätte sich nicht so lange die Macht sichern können, wenn sie nicht immer wieder das Gespür dafür entwickelt hätte, wann sie einen Ministerpräsidenten aus dem Amt nehmen musste. Filbinger, Späth, Teufel sind nicht durch Wahlen, sondern durch die eigene Partei gestürzt worden. Die CDU war Regierung und Opposition, sie repräsentierte das Staatswesen. Mächtiger kann eine Partei in einer Demokratie kaum mehr werden. Zuletzt aber hat sie sich nachhaltig selbst geschadet. Sie hat sich intern geschwächt, sie hat sich extern mit Großprojekten übernommen - und sie hat das Gefühl für die Mehrheit der Menschen verloren.

Auf den richtigen Wechsel von Erwin Teufel zu Günther Oettinger reagierte sie, anders als früher, nicht geschlossen, sondern zerstritten. In der Energiepolitik glaubte sie so sehr an die Mach- und Beherrschbarkeit der Kernenergie, dass ihr das Gespür abhanden kam für die Gefahren. In der Wirtschaftspolitik wollte sie sich mit Großem wie Stuttgart 21 schmücken - und merkte nicht, dass die politischen wie ökonomischen Proportionen nicht mehr stimmten. Die CDU hat ihr Gefühl für Umgangsformen und Prioritäten verloren. Insofern hat sie sich ihre Niederlage selbst zu verdanken.

* Aus Süddeutsche Zeitung 30. März 2011

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