Sex Sucht  - © Foto: iStock/filadendron

Konsens statt "Me too"

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Sexualisierung und idealisierte Körperbilder sind eng aneinandergeknüpft. Reinhard Gaida ist Lebens- und Sozialberater und Gründer der „Schwelle“, einem Gastronomie-Betrieb mit Tanzfläche. Dort gibt es regelmäßig Workshops zu Themen der Sexualität. Er will die Konsenskultur in die Mitte der Gesellschaft bringen, erklärt er im Interview.

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Sexualisierung und idealisierte Körperbilder sind eng aneinandergeknüpft. Reinhard Gaida ist Lebens- und Sozialberater und Gründer der „Schwelle“, einem Gastronomie-Betrieb mit Tanzfläche. Dort gibt es regelmäßig Workshops zu Themen der Sexualität. Er will die Konsenskultur in die Mitte der Gesellschaft bringen, erklärt er im Interview.

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Reinhard Gaida will in Zeiten sich häufender sexueller Übergriffe und steigender Unsicherheit bei jungen Frauen den Fokus auf Sexpositivismus lenken. Im Gespräch erklärt er, was es damit auf sich hat und wieso darüber zu sprechen, gerade am Weltmädchentag wichtig ist.

DIE FURCHE: Was bedeuten die Konzepte „Konsens-Kultur“ und „sexpositiv“?
Reinhard Gaida:
Sexpositiv ist eine grundlegend positive Einstellung zur Sexualität – sowohl zur eigenen als auch zu der von anderen. Es geht darum, einfach zu akzeptieren und wertzuschätzen, wie man ist – man selbst oder andere – und auch auf seine Gesundheit zu achten. Bei der Konsens-Kultur geht es darum zu klären, was Einvernehmen beim Thema Sexualität bedeutet – und dass ein „Nein“ respektiert wird. Diese Themen beschäftigen mich schon lange. Weil mich das Flirtverhalten, vor allem in Clubs, so gestört hat – Frauen tanzen auf der Tanzfläche und Männer stellen sich einfach hinter sie, ohne zu fragen – habe ich dann 2012 die „Schwelle“ gegründet: als einen Ort, wo Einvernehmen hergestellt wird und nur ein enthusiastisches „Ja“ als Einverständnis gilt.

DIE FURCHE: Was sind wichtige Punkte, die in der Schwelle mit Blick auf Konsens-Kultur mitgegeben werden?
Gaida:
Einvernehmen ist der Grundstock – und Einvernehmen kann sich ändern. Wer einmal „Ja“ gesagt hat, kann seine Meinung wieder ändern. Wenn du um neun Uhr das Gefühl hast, du hättest gerne Sex mit jemandem, und du hast es um neun Uhr fünf nicht mehr, dann ist das auch vollkommen okay. Dazu gibt es auch eine berühmte Tee-Analogie: wenn jemandem Tee angeboten wird, und er abgelehnt wird, wäre es absurd die Person zu Tee zu zwingen; bewusstlose Menschen wollen keinen Tee, man wird ihnen keinen Tee geben; und so kann man das noch in vielen Varianten durchspielen. Und es muss ja kein Tee sein, man kann es mit vielen anderen Beispielen durchspielen, die Antwort ist immer klar: Lass die andere Person entscheiden und nur ein aktives Ja gilt. Bloß beim Thema Sex ist es komischerweise nicht klar. Wichtig ist vor allem: „Frage, bevor du etwas tust!“

DIE FURCHE: Was sind die Ursachen für das Problem, warum fehlt es so oft am Konsens?
Gaida: Ein Problem ist, dass Sexualität emotional sehr stark aufgeladen ist und zum Teil noch tabuisiert wird. Schattenseiten und Anteile in uns, die wir nicht sehen wollen, verdrängen wir in die Sexualität, Triebe werden unterdrückt. Es geht auch um einen gesellschaftlichen Wandel in der Wahrnehmung von Sexualität: Sexualität ist ein Tool zur Weiterentwicklung – man dadurch kann so viel über sich lernen. Man muss sich mit sich selbst und seiner Sexualität auseinandersetzen.

DIE FURCHE: Wie ist es überhaupt zu der Tabuisierung der Sexualität gekommen?
Gaida: Ich würde sagen, es ist kulturell bedingt. Gerade nach dem zweiten Weltkrieg war es einfach notwendig, einen fixen Partner zu haben, um das Überleben und Auskommen zu sichern. Diese Notwendigkeit hat die Kultur um die Sexualität mitgeprägt. Nun brauchen wir das nicht mehr – überleben können wir. Und daher müssen wir uns fragen: Was wollen wir den nachfolgenden Generationen weitergeben? Da ist ein positives Bild vom eigenen Körper, dem Selbstwert und der Sexualität essenziell.

DIE FURCHE: Vor dem Hintergrund der aktuellen Eklats in der Club-Szene und der schon länger bestehenden „Me-Too“-Bewegung: Gab bzw. gibt es einen Wandel im Umgang mit Sexualität und Konsens-Kultur?
Gaida:
Natürlich ändert sich etwas. Aber ich würde nicht per se sagen wollen, dass dieses Thema von den einzelnen Generationen und Geschlechtern unterschiedlich behandelt wird. In die „Schwelle“ kommen auch Personen, die über 60 Jahre alt sind und noch einmal ihre Beziehung öffnen wollen. Das Thema zieht sich auch durch alle Berufsgruppen, Altersschichten und sexuellen Identitäten – da ist dann einmal der 82-jährige, ehemalige Staatsanwalt und dann die 20-Jährige mit zwei Partnerinnen. Wir heißen in der „Schwelle“ alle willkommen. Und die Konsenskultur ist jedenfalls etwas, das in allen Bereich Einzug halten muss.

DIE FURCHE: Was ist die größte Fehlauffassung beim Thema Liebe und Konsens-Kultur?
Gaida:
Man muss Nein-Sagen lernen, sonst fehlt ja auch die Möglichkeit, überhaupt einmal einen Konsens herstellen zu können. Ein „Nein“ sollte nicht als reine Zurückweisung aufgefasst werden, sondern als Möglichkeit, zu lernen.

DIE FURCHE: Warum ist es gerade am Weltmädchentag so wichtig darüber zu sprechen?
Gaida: Es ist wichtig, dass man weiß, es ist total Okay „Nein“ zu sagen – natürlich ganz unabhängig davon, welcher geschlechtlichen Identität man sich zugehörig fühlt. Die Antwort auf ein „Nein“ muss immer „Danke“ sein. Und wenn das nicht kommt, ist es das Problem der anderen Person, denn sie müsste eigentlich dankbar sein zu wissen, woran sie ist. Für ein „Nein“ braucht es aber auch Mut, unter anderem Mut zum eigenen Sein. Konsenskultur ist immer Arbeit am Selbstwert.

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