Mädchen - © Illustration: iStock/Svetlana Apukhtina (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

„Weil ich ein Mädchen bin ...“

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Junge Frauen wollen Selbstbestimmtheit. Doch bereits die Grammatik gibt vor, womit sie es allzu oft zu tun haben: Sie werden objektifiziert. Eine Ambivalenz mit Geschichte, wie Theresia Heimerl in ihrem Essay aufzeigt.

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Junge Frauen wollen Selbstbestimmtheit. Doch bereits die Grammatik gibt vor, womit sie es allzu oft zu tun haben: Sie werden objektifiziert. Eine Ambivalenz mit Geschichte, wie Theresia Heimerl in ihrem Essay aufzeigt.

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Das Mädchen geht gerne in die Schule. Dort lernt sie es die deutsche Grammatik. An diese Korrektur des Pronomens werden sich wohl einige aus ihrer Volksschulzeit erinnern. Das Mädchen ist das bekannteste Beispiel für die Differenz zwischen natürlichem und grammatikalischem Geschlecht– so zumindest hieß es in meiner Gymnasialzeit, als beides noch nicht in Frage gestellt wurde. Es verwundert, dass das Mädchen alle sprachlichen Revolutionen und Sensibilitäten so unbemerkt überstanden hat: Während Binnen-I, Unterstrich und Gendersternchen gekommen und gegangen sind, bleibt dem Mädchen die constructio ad sensum, die sogar das Lateinische in ähnlichen Fällen kennt und im Englischen auch Haustieren mit Namen zuteil wird, verwehrt. Immerhin merkt der Duden in einem weiterführenden Artikel an: „Die Wahrscheinlichkeit dafür [die Verwendung des weiblichen Pronomens] wächst, je weiter das aufnehmende Pronomen vom Bezugswort entfernt steht.“

Vorbestimmter Lebensentwurf

Grammatik gibt die Ambivalenz des Zustands „Mädchen“ in Geschichte und Gegenwart wieder: Das Mädchen ist kein Mann, auch kein männliches Kind. Es ist aber auch keine Frau, sondern ein „Etwas“, aus dem eine Frau und ein weibliches Pronomen werden kann, es kann aber auch in dieser Zwischenexistenz gefangen und das Mädchen bleiben: das Hausmädchen, das Dienstmädchen, das Mädchen für alles. Das Mädchen ist nicht nur eine endliche Zahl an Jahren zwischen Geburt und Erwachsenenleben, es steht auch für die soziale Situation, die mit diesen Jahren einhergeht und die sich als umfassendes Abhängigkeitsverhältnis von einer elterlichen Autorität beschreiben lässt. Das Mädchen kommt nicht von ungefähr etymologisch vom Mägdchen, dem Diminutiv der Magd. Das grammatikalische Neutrum verweist einerseits auf den scheinbar biologisch noch unbestimmten Zustand vor der Geschlechtsreife, es macht aber auch den Ding- und Gebrauchscharakter der Mädchen und ihrer Sexualität über viele Jahrhunderte deutlich, die keine (Ehe-)Frauen waren.

Mädchen: Das ist ein Lebensentwurf von Geburt an. Nicht nur im überwiegenden Teil der Welt, den wir gerne als entwicklungsbedürftig sehen. Bekleidungs- und Spielzeugabteilungen unterscheiden, wo es rein körperlich noch gar nichts zu unterscheiden gibt (solange der Babybody unten Knöpfe hat und die Haube nicht drückt). Mädchen sehen rosa, bevor sie sprechen können.

Fast wirkt es, als müsste der grammatikalisch neutrale Status des Mädchens mit besonderer Affirmation seiner prospektiven Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht und Pronomen durch Kleider und Spielzeuge kompensiert werden, die das Ende des Mädchenstatus und seinen Übergang zur Frau schon im Kindergartenalter vorwegnehmen. Kurze Röckchen mit Tüll und Spitze, enge Tops und hautenge Hosen, alles mit Glitzer versehen und in einer Pastellfarbpalette, die mit dem unfertigen Diminutiv korrespondiert: noch kein Rot, sondern Rosa, kein Blau, sondern allenfalls helles Lila.

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