fehr - © Foto: Monika Pachler-Blaimauer

Paar-Coachin Hilde Fehr: „Viele Frauen erwachen erst im Alter“

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Verliebte, ältere Pärchen scheinen viele Menschen zu überraschen. Dabei sind sie gar nicht so anders als junge. Ein Gespräch mit Autorin und Paar-Coachin Hilde Fehr.

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Verliebte, ältere Pärchen scheinen viele Menschen zu überraschen. Dabei sind sie gar nicht so anders als junge. Ein Gespräch mit Autorin und Paar-Coachin Hilde Fehr.

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Selten sieht man Pärchen im Alter Zärtlichkeiten austauschen. Doch Liebe im fortgeschrittenen Lebensabschnitt ist nicht ungewöhnlich. Was im Körper passiert, wenn wir lieben, und warum das Ende der ersten Verliebtheit eine gute Sache ist, erklärt Paar-Coachin und Autorin Hilde Fehr.

DIE FURCHE: Schmetterlinge im Bauch und rosarote Brille: Was passiert mit uns, wenn wir uns verlieben?

Hilde Fehr: Wenn man verliebt ist, befindet sich der Körper in einem Ausnahmezustand. Wir nehmen die Welt um uns herum plötzlich anders wahr. Schuld an dieser veränderten Wahrnehmung der Verliebten ist ein ganz besonderer Cocktail aus Hormonen und Botenstoffen, der im Gehirn ausgeschüttet wird. Eine zentrale Rolle spielt dabei Dopamin. Der Botenstoff, der vielen als „Glückshormon“ bekannt ist, sorgt für ein gutes Gefühl und wird mit Belohnung, Euphorie, aber auch Sucht in Verbindung gebracht. In Hirnscans zum Beispiel kann man nicht unterscheiden, ob jemand gerade frisch verliebt oder auf Heroin gedopt ist, es arbeiten dieselben Regionen. Auch das Stresshormon Adrenalin macht euphorisch und sorgt dafür, dass man kaum Schlaf braucht und trotzdem das Gefühl hat, Bäume ausreißen zu können.

DIE FURCHE: Doch selbst der heftigste Hormonrausch bleibt nicht ewig auf diesem hohen Niveau. Kann man diese Phase irgendwie verlängern?

Fehr: Die Verliebtheit ist nicht von Dauer, die erste Phase ist nach einigen Monaten vorbei. Dann kommt erst einmal das große Erwachen. Die wahre, die reife Liebe ist das, was danach kommt. Passend zum Gefühl des „Ankommens“ und der „Geborgenheit“ wirken in langjährigen Beziehungen auch andere Hormone: Serotonin, das Bindungshormon Oxytocin und auch das Glückshormon Endorphin werden ausgeschüttet, leise Botenstoffe, die wir körperlich kaum wahrnehmen. Es sind eben zwei völlig verschiedene Zustände. Aber es gibt Menschen, die regelrechte Verliebtheitsjunkies sind und meinen, wenn die Dopaminausschüttung nachlässt, passt ihre Beziehung einfach nicht mehr.

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DIE FURCHE: Das sind dann die, die Beziehungen beenden, bevor sie sich richtig darauf eingelassen haben?

Fehr: Genau, das Zeitfenster nach dem ersten Erwachen zur reifen Liebe kann für viele beängstigend sein und erfordert Verletzlichkeit und Offenheit. Wenn man es schafft, die Situation der ersten Enttäuschung über diese veränderten Gefühle mutig anzunehmen, hat man schon viel erreicht. Eine Beziehung ist Arbeit. Man muss bereit sein, seine Grenzen zu erweitern, Ehrlichkeit und Wertschätzung zu zeigen. Natürlich ist es aufregend und schön, frisch verliebt zu sein. Aber ich bin überzeugt, dass die reife Liebe zu einem viel tieferen Glücksgefühl führen kann.

DIE FURCHE: Kann man sich auch als älterer Mensch noch unsterblich verlieben wie ein Teenager? Oder hindert einen die gesammelte Lebenserfahrung daran?

Fehr: Das Alter auf körperlicher Ebene spielt sicherlich keine Rolle dabei, dass wir uns nicht mehr so leicht verlieben. Es ist vielmehr das angelernte Misstrauen. Ich denke, hier spielen Bewertungen eine große Rolle. Wenn jemand im Laufe des Lebens immer wieder negative Bewertungen aufstellt und Dinge sagt wie „Frauen spielen mir immer was vor“ oder „Männer gehen sowieso fremd“ und dabei nicht entdecken möchte, welche positiven Aspekte die Erfahrungen gebracht haben, welche Entwicklung er oder sie dadurch gemacht hat, dann wird es sehr schwer, sich wieder zu verlieben.

DIE FURCHE: Kann man es umgekehrt lernen, sich wieder zu verlieben?

Fehr: Die Fähigkeit, sich zu verlieben, hat mit einer grundsätzlichen Lebendigkeit zu tun, mit einer Offenheit für das Leben. Es gibt sicher Menschen, die sich schneller verlieben als andere. Vielleicht sind jüngere Menschen im Vorteil, weil sie generell offener und abenteuerlustiger sind. Zweckpessimisten, die sich gerne als Realisten bezeichnen, werden mit zunehmendem Alter immer „realistischer“. Sie sagen dann Dinge wie „Das wird sowieso nichts“ oder „Ich lerne niemanden mehr kennen“. Wenn man so denkt, spuckt das Gehirn nur negative Gedanken aus, man wird ausgebremst und hat kaum eine Chance, sich zu verlieben. Man muss also raus aus dem Gedankenkarussell, weg vom „Erwarte nichts, dann wirst du nicht enttäuscht“. Im Gegenteil, das Motto muss sein: „Erwarte mehr! Bekomme mehr!“

DIE FURCHE: Wie steht es um die Selbstliebe? Kann man sich in andere verlieben, wenn man mit sich selbst hadert?

Fehr: Das funktioniert auf den ersten Blick fantastisch: Wer sich selbst nicht liebt, sucht sein Glück zu 100 Prozent im Außen. Wenn wir an uns selbst zweifeln, haben wir ein verstärktes Bedürfnis, diese Selbstzweifel durch den Partner zu kompensieren. Wir denken dann: „Ich bin wertvoll, weil ich einen superreichen Mann habe oder weil meine Freundin eine tolle Figur hat.“ Was aber, wenn die Firma des Mannes pleitegeht oder die Frau zwanzig Kilo zunimmt? Eine gleichberechtigte Beziehung sieht anders aus. Liebe sieht anders aus!

Es gibt Menschen, die regelrechte Verliebtheitsjunkies sind und meinen, wenn die Dopaminausschüttung nachlässt, passt ihre Beziehung einfach nicht mehr.

DIE FURCHE: Sind Beziehungen zwischen 25Jährigen anders als zwischen 55-Jährigen?

Fehr: Was mir auffällt: Die Frauen erwachen umso mehr, je älter sie werden. Viele fangen erst in der zweiten Lebenshälfte an, sich zu emanzipieren, werden sich ihrer Stärke bewusst und wollen etwas verändern. Männer, die ihre Partnerin bis dahin immer kleingehalten und manipuliert haben, sind damit überfordert. In meiner Arbeit als Paar-Coachin höre ich oft von Männern, dass ihre Partnerin plötzlich „komisch“ geworden sei und dass das sicher „an den Hormonen“ liege. Tatsächlich übernehmen diese Frauen Eigenverantwortung für ihr Leben.

DIE FURCHE: Das klingt nach keinen guten Aussichten für die symbiotische Liebe, der viele nacheifern.

Fehr: Das sollte man auch wirklich nicht tun. Denn was heißt „symbiotische Liebe“? Sie bedeutet, dass aus dem „Ich und du“ ein „Wir“ wird, dass zwei Individuen zu einem verschmelzen und nur noch eine Meinung haben. Das äußert sich dann in Aussagen wie: „Wir essen kein Fleisch“, „Wir lieben diesen Film“. Ich selbst bin lange Zeit diesem Denkfehler aufgesessen, dass dieser Zustand erstrebenswert sei. Viel wichtiger ist: Ich bleibe immer ich, du bleibst immer du, unsere Schnittmenge ist das „Du und ich“, also jeder bleibt im „Wir“ und ist dabei immer er selbst. Denn wenn zwei Menschen voneinander abhängig sind, verlieren beide Partner ihre Eigenständigkeit, ihre Unabhängigkeit und ihre persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten. Und das ist nicht gesund.

DIE FURCHE: Während Jugendliche ihre Liebe stolz zur Schau stellen, sieht man ältere Paare kaum in der Öffentlichkeit Zärtlichkeiten austauschen. Warum ist das so?

Fehr: Vielleicht liegt es an einer gewissen Trägheit. Oder am gesellschaftlichen Druck, „in Würde zu altern“. Küssen in der Öffentlichkeit? Ist das nicht ab einem gewissen Alter peinlich? Ich finde das überhaupt nicht! Niemand sollte sich davon abhalten lassen, seine Gefühle zu zeigen, wenn ihm danach ist. Und wenn es anderen nicht gefällt, dann ist das wahrscheinlich nur ein Ausdruck von deren unerfüllter Sehnsucht.

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