Juliane Spandl Josef Fröhlich - © Schwendenwein

Der zweite Frühling

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Sich im Alter neu zu verlieben, wird immer noch tabuisiert, obwohl die Liebe und ihre Begleiterscheinungen laut Forschung ein wichtiger Beitrag zur Gesundheit sind. Ein Paar aus der Steiermark zeigt, wie es trotz Krankheit gelingt, sich auf eine neue Beziehung einzulassen.

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Sich im Alter neu zu verlieben, wird immer noch tabuisiert, obwohl die Liebe und ihre Begleiterscheinungen laut Forschung ein wichtiger Beitrag zur Gesundheit sind. Ein Paar aus der Steiermark zeigt, wie es trotz Krankheit gelingt, sich auf eine neue Beziehung einzulassen.

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Er zupft an einem Osterhasen aus Stroh, sie lächelt zustimmend. Für den Fototermin hat sie sich zurechtgemacht, roten Lippenstift aufgetragen, den grünen Steirerjanker übergeworfen. Das österliche Dekoobjekt soll auf das Foto, mit dem das Paar porträtiert wird. Es soll die Lebensfreude der beiden veranschaulichen; ungeachtet der Herausforderungen, die ihnen im Alltag begegnen. Sie ist an einer schweren Form von Parkinson erkrankt und lebt im Caritas-Pflegewohnhaus Fernitz in der Nähe von Graz. Er besucht seine Partnerin jeden Tag, mindestens fünf Stunden lang.

Juliane Spandl (76) und Josef Fröhlich (84) sind seit vier Jahren ein Paar. 40 Jahre lang haben sie im selben Ort gewohnt, ohne einander wahrzunehmen. Kennengelernt haben sie einander auf dem Friedhof. „Wir sind beide verwitwet“, erklärt Fröhlich. Er war 50 Jahre lang verheiratet, hat zwei Kinder und seine Ehefrau vor ihrem Tod gepflegt. Spandl hat einen Sohn und lebte 45 Jahre lang in einer Ehe. Nach dem Tod ihres Mannes wollte sie keinen Mann mehr in ihr Leben lassen. Doch der aufgeweckte Josef gab nicht nach, bestand auf einen Kaffee. „Dann ist daraus mehr geworden“, sagt Spandl und schmunzelt.

Brauchen und Gebrauchtwerden

Seither lebt das Paar eine Beziehung, die ebenso ungewöhnlich wie völlig normal ist. Wie sie lassen sich immer mehr Menschen nach einer langen Partnerschaft auf eine neue Liebe im hohen Alter ein. Möglich macht das eine immer höhere Lebenserwartung. Was in der Forschung längst als selbstverständlich betrachtet wird, rückt in der Gesellschaft erst nach und nach ins Bewusstsein.

„Wir sind nicht gewöhnt, dass auch Menschen im hohen Alter ein Liebesleben haben“, erklärt der Gerontologe Franz Kolland. Er forscht am Wiener Institut für Soziologie zu den Themen Bildung, Kultur, Gesundheit sowie Pflegeversorgung im Alter. Das Phänomen jener Menschen, die auch mit fortgeschrittenem Alter am gesellschaftlichen Leben teilhaben, kennt man erst frühestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts. „Die Gesellschaft muss jetzt lernen, dass auch Hochaltrige Bedürfnisse haben“, sagt Kolland.

Eine neue Liebe zu finden, sei daher im Alter nicht so einfach. Bestehende soziale Netzwerke werden mit zunehmendem Alter kleiner. Oft reduzieren sich Kontakte damit nach und auf die Verwandtschaft. Dazu kommt laut Kolland, dass die Gesellschaft gegenwärtig stark alterssegregiert denkt. „Es kommt zu keiner Altersdurchmischung.“ Das ist die schlechteste Voraussetzung für neue Kontakte und erst recht für den sogenannten zweiten Frühling.

Meist entscheidet zudem das direkte Umfeld betroffener Paare, wie und ob sie eine neue Beziehung leben können. Der Soziologe erklärt: „Wenn Kinder da sind, werden Mutter oder Vater immer in Verbindung mit dem verstorbenen Elternteil betrachtet.“ Oft spiele die Frage nach dem Erbe eine wesentliche Rolle.

Vergessen werde dabei, dass es für ein Altern in Würde Beziehungen und ein funktionierendes soziales Netzwerk brauche. Sind sie nicht vorhanden, laufen ältere Menschen Gefahr, den Sinn ihres Leben infrage zu stellen. „Der Herrgott hat mich verlassen“, sei in diesem Zusammenhang ein oft getätigter Ausspruch, erklärt Kolland.

Die Liebe und die mit ihr verbundenen Begleiterscheinungen sind für Ältere daher nach wie vor ein Tabuthema. Es geht ums Brauchen und Gebrauchtwerden, um Nähe statt Einsamkeit, um Gesundheit – und auch um Sexualität.

„Ich habe ihr gesagt, Sexualität gehört für mich zu einer Beziehung dazu“, schildert Josef Fröhlich ganz offen, wie es in seiner Beziehung zu Juliane ernst wurde. Selbstverständlich ist das nicht, denn sozialisiert wurden er und seine Partnerin freilich noch ganz anders. „Es galt, nicht über so etwas zu sprechen“, bestätigt Juliane, womit viele Menschen ihrer Generation bis heute konfrontiert sind.

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