Verhandlungskünstler in der Krise?

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dieFurche: Frau Botschafterin, immer wenn es im Ringen mit Slobodan Milosevic' hart auf hart ging, haben die Amerikaner mit ihrem Sonderbeauftragten Richard Holbrooke einen Mann ins Rennen geschickt, der sowohl vom Stil als auch vom Auftreten her eigentlich kein Diplomat im klassischen Sinne ist. Hat sich hier gezeigt, daß die klassische Diplomatie in heiklen Fällen mit ihrer Kunst am Ende ist?

Marianne von Grünigen: Ich komme aus einem Land, das bei jeder Gelegenheit zur Friedenswahrung aufruft und dafür eintritt, daß Streitfälle mit friedlichen Mitteln gelöst werden sollen. Auch wenn es um solche Konflikte geht wie im jugoslawischen Raum, versucht man zunächst, Lösungen zu erarbeiten, die für beide Seiten akzeptabel sind. Das ist das Normale bei solchen Verhandlungen. Dabei geht man in der Regel zivilisiert miteinander um. Wenn es hart wird, oder wenn eine Seite überhaupt nicht einlenken will, dann wird der Ton auch in der Diplomatie schärfer.

dieFurche: Richard Holbrooke soll sehr rüde bis brutal mit Milosevic' umgesprungen sein. Also gar nicht in einer Art und Weise, wie man das sonst unter "diplomatisch" versteht. Heißt das, daß man bei Verhandlungen mit Politikern vom Typ des Serbenführers auf einen Typ wie Holbrooke, der auch als gerissener Geschäftsmann gilt, zurückgreifen muß?

Von Grünigen: Der Erfolg solcher Verhandlungen hängt nicht davon ab, ob das ein Berufsdiplomat ist oder nicht. Das hängt davon ab, welche Art Persönlichkeit der- oder diejenige ist. Die Amerikaner haben viele Diplomaten, die nicht die diplomatische Laufbahn durchlaufen haben. Holbrooke ist, wie Sie schon gesagt haben, auch ein gerissener Geschäftsmann. Offensichtlich hat man sich am Schluß in den USA gesagt: für das Business mit Milosevic' brauchen wir einen Typ wie Holbrooke, der zudem Milosevic' ja schon von Dayton her kennt. Das heißt aber nicht, daß es unter den Diplomaten nicht auch Leute gibt, die genau diese Fähigkeiten haben.

dieFurche: Wie erwirbt sich jemand den Ruf, ein "vorzüglicher Diplomat" zu sein? UN-Generalsekretär Kofi Annan wird zum Beispiel oft so bezeichnet.

Von Grünigen: Ich denke, ein vorzüglicher Diplomat ist jemand, der mit sachlichen Argumenten überzeugen kann und die nötige Durchsetzungekraft besitzt, um seinen Anliegen Nachdruck zu verleihen und die erforderlichen Ergebnisse zu erreichen. Die Fähigkeit, die Interessen energisch zu vertreten, ist mehr gefragt als ein unnötig lauter Ton. Heute gilt als guter Diplomat, wer seine Dossiers bestens beherrscht, seinem Gegenpart gut zuhören und den eigenen Standpunkt so überzeugend darstellen kann, daß die Gegenseite seine Gedanken aufnimmt und eine wirklich gemeinsam tragbare Verhandlungslösung entsteht. Ferner muß ein Diplomat auch in schwiergen Situationen Ruhe bewahren und belastbar sein. Das immer noch weit verbreitete Bild des glänzenden Unterhalters in Gesellschaft steht nicht mehr im Vordergrund.

dieFurche: Muß man zum Diplomaten geboren sein oder ist das erlernbar?

Von Grünigen: Das kann ich Ihnen so nicht sagen. Aber es gibt sicher immer noch Methoden der Diplomatie, die man lernen kann. Vor allem lernt man, daß man überzeugend argumentieren muß und nicht versucht, den anderen nur zu beschwatzen. Das Gegenüber muß auch bei einem Diplomaten spüren, daß Substanz und politischer Wille der eigenen Regierung dahinter stehen. Das ist diplomatische Kunst.

dieFurche: Welche Eigenschaften sollte ein Diplomat/eine Diplomatin nicht an den Tag legen?

Von Grünigen: Ich muß es positiv umschreiben, es gibt gewisse Eigenschaften, die ich für unbedingt wichtig erachte: Da sind zum Beispiel Loyalität und Glaubwürdigkeit. Es muß mir einer abnehmen, was ich sage. Er darf nicht das Gefühl haben, daß ich morgen vielleicht etwas ganz anderes erzähle oder hinter seinem Rücken eine dritte Geschichte erfunden habe. Dann zählen dazu natürlich eine rasche Auffassungsgabe, Reaktions- und Kommunikationsfähigkeit. Man muß Augen und Ohren offenhalten und Verständnis für Menschen haben beziehungsweise überhaupt für die jeweiligen Denkweisen der anderen.

dieFurche: Die Schweiz, Sitz internationaler Organisationen, hatte generationenlang diplomatische Drehscheibenfunktion. Wie ist das heute?

Von Grünigen: Ich bin seit über 30 Jahren Diplomatin. Aber gerade in der letzten Zeit hat sich da manches geändert: früher waren wir mit Österreich, Schweden und Finnland die Neutralen, in der KSZE arbeiteten wir als die Gruppe der N + N nicht nur mit den anderen Neutralen, sondern auch mit den Nichtgebundenen Staaten zusammen. In der EFTA waren wir die Alternative zur EWG und heute ist es so, daß die Neutralität eigentlich als Basis für Zusammenarbeit kaum mehr eine Bedeutung hat. Die Neutralen sind in der EU. Insofern kann man sagen, die Schweiz ist institutionell etwas isoliert heute. Ein Schweizer Diplomat muß sich jetzt wirklich Mühe geben, daß er am Ball bleibt. Man muß zeigen, daß man interessiert ist. Man muß versuchen, einen Beitrag zu leisten, sei es nun intellektuell oder operationell. Es bedarf einer zusätzlichen Anstrengung, daß man uns nicht übergeht. Auch deswegen müssen wir immer wieder zeigen, daß die Schweiz solidarisch ist mit der internationalen Gemeinschaft. Wir tun das freilich in der Regel auf anderen Wegen, nicht durch den Beitritt zu allen möglichen Organisationen.

dieFurche: Zählen die Dienste des Landes noch etwas in der Welt?

Von Grünigen: In verschiedenen Ländern haben wir die sogenannten guten Dienste übernommen: Das heißt zum Beispiel, wenn zwei Staaten ihre diplomatischen Beziehungen abbrechen, dann übernimmt man die Vertretung des einen Landes im anderen. Zum Beispiel vertreten wir in Ägypten die diplomatischen Interessen des Iran, oder die kubanischen Interessen in Amerika und umgekehrt.

dieFurche: Wie sieht Ihr Land die NATO-Angriffe auf serbische Ziele?

Von Grünigen: Die Schweiz ist traditionell der Meinung, daß Konflikte mit friedlichen Mitteln gelöst werden sollten und hat bis zuletzt gehofft, das Vertragswerk von Rambouillet werde doch noch von den jugoslawischen Behörden und Vertretern der Kosovo-Albaner unterzeichnet. Die schweizerische Regierung bedauert, daß es trotz den immensen Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft nicht möglich war, zwischen den Parteien eine Einigung über den künftigen Status Kosovos in den Grenzen der Bundesrepublik Jugoslawien zu erzielen. Die Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen trägt in erster Linie die jugoslawische Führung, welche dem Konzept einer weitgehenden Autonomie für den Kosovo ihre Zustimmung versagte und damit eine Lösung auf dem Verhandlungsweg verunmöglichte.

Die schweizerische Regierung verurteilt aber auch die Eskalierung der serbischen Gewaltakte, die vermehrten Angriffe auf Dörfer im Kosovo aufs schärfste. Das harte Vorgehen der NATO ist die Konsequenz der sich rapide verschlechternden Lage, die auch die Mission der OSZE zur Evakuation gezwungen hat. Somit hofft die schweizerische Regierung, daß die NATO-Aktion dazu dienen kann, eine noch schlimmere humanitäre Katastrophe im Kosovo und die Destabilisierung der ganzen Region zu verhindern, sowie zu einer gerechten Lösung des Konflikts beizutragen.

Das Gespräch führte Elfi Thiemer.

Zum Thema Marianne von Grünigen,Schweizer Spitzendiplomatin US-Spitzenverhandler Richard Holbrooke hat schon das Vertragswerk von Dayton mit einer Mischung aus Brutalität und Geschick ausgehandelt und den jugoslawischen Partnern aufgezwungen. Damit wurde der Krieg um Bosnien-Herzegowina beendet und das Land unter internationale Vormundschaft gestellt. Beim Poker um Krieg und Frieden im Kosovo biß sich der Zampano aus Amerika an Slobodan Milosevic' allerdings die Zähne aus.

Ist die klassische Diplomatie mit ihrer Kunst am Ende? fragte die Furche eine besonnene Diplomatin aus der Schweiz: Marianne von Grünigen, Ständige Vertreterin des Landes bei der OSZE und den internationalen Organisationen in Wien.

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