Wahrhaftigkeit: Eine neue Chance für die Christdemokratie?

19451960198020002020

Viel ist allerorten von Nachhaltigkeit die Rede. Nachhaltig aber ist das, was hält, wenn alles andere wankt. Plädoyer für eine Rückbesinnung.

19451960198020002020

Viel ist allerorten von Nachhaltigkeit die Rede. Nachhaltig aber ist das, was hält, wenn alles andere wankt. Plädoyer für eine Rückbesinnung.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Familiensynode im Vatikan plagte sich, ihr statisches Bild von Ehe und Familie in die Gegenwart und damit den Glauben in die Realität zu bringen. Gleichzeitig sehnt sich unsere Gesellschaft nach mehr Wahrhaftigkeit, haben doch die Menschen die allgegenwärtigen Lügen satt. Wir haben Lügen in der Politik, Lügen im Bereich des Sportes, Lügen in der Wirtschaft. Haben wir auch Lügen in der Kirche und ihren Institutionen? Was leitet Caritas und Diakonie? - Ist es ausschließlich "Caritas", oder ist es auch Gier nach mehr Macht, Einfluss und Budgets?

Wahrhaftigkeit entpuppt sich als eine Dimension von Nachhaltigkeit, denn nachhaltig ist das, was hält, wenn alles andere wankt. Wahrhaftigkeit wird so auch zu einem pragmatischen Lebensprinzip mit ökonomischen Implikationen - wie Kostenreduktion durch geringere Aufwendungen für Informationsbeschaffung, wenn man ihnen a priori vertrauen kann, weniger Rechtskosten, geringerer Aufwand für Verhandlungen und Vertragsgestaltungen. Die zehn Gebote Gottes empfehlen sich als Universalorientierung für mehr Gerechtigkeit, Lebensqualität und auch sozialpsychische Hygiene in der Gesellschaft.

"... muss man lügen"

Von den biblischen Schriften über die Gemeinwohlkonzeption Augustinus' und Thomas von Aquins bis zur Gegenwart werden wir zur Wahrhaftigkeit und Orientierung am Nächsten ermahnt. Brunnenvergiftungen fanden sich schon zu Urzeiten in den Straftatbeständen, besonders gefährlich sind die Brunnenvergifter, welche den Geist der Lüge hoffähig machen und damit Organisationskulturen, ja ganze Gesellschaftskulturen unterminieren. Religionen gemahnen zur Wahrheit - unterscheidet sich der protestantische vom katholischen Zugang? Das Zitat des studierten Theologen und ÖVP-Klubobmannes Reinhold Lopatka "Wir können ja notfalls beichten gehen" irritiert, der Zugang der protestantischen Pfarrerstochter und deutschen Bundeskanzlerin Merkel, welche Deutschland die Politik der offenen Tür für Flüchtlinge verordnet hat, irritiert in Deutschland wie auch hierzulande. Beispiele der Lüge Bezichtigter in Gesellschaft und Politik sind zahlreich. Wir müssen nicht in den USA auf Bill Clinton zeigen, wir sind hier Großmacht in Europa. Jean-Claude Juncker meinte: "Wenn es ernst wird, muss man lügen." In Österreich sind Wolfgang Schüssel, Ernst Strasser oder Josef Martinz hinlänglich mit ihren Auffälligkeiten bekannt. Lebensmittelskandale, Bankenskandal, VW-Skandal aus dem Bereich der Wirtschaft, aus dem Sport Doping als Doppellüge gegenüber dem Sport und dem eigenen Körper, Sport-Organisation als Vorwegnahme einer TTIP-gestalteten Welt mit Vorgaben, welches Bier getrunken, welches Handy genutzt, dass für eine Brezel wegen der optischen Nähe zu den olympischen Ringen Gebühr bezahlt werden muss und dann die fragwürdigen Entscheidungsprozesse, die sich als Korruptionsverdachte verdichten.

Wir kennen Interessenkonflikte und die saloppe Art, sich einen solchen zurechtzudefinieren, wie dies etwa Sophie Karmasin in ihren früheren Mandaten als Beraterin der Ministerien und quasi pragmatisierte Motiv-Deuterin des ORF praktizierte. Bekannt sind auch die Phänomene verlogener Organisationskulturen: pfuschende Arbeiter bei der Starfighterproduktion produzierten die Abstürze quasi schon in der Produktionshalle; Manipulation von Auszählcomputern bei politischen Wahlen verfälschen Ergebnisse; Irland stimmt so lange ab, bis das Volk ja sagt zu den EU-Verträgen; ausgeklügelte statistische Verifikationsverfahren decken Betrug bei politischen Wahlen auf.

Steuerung durch Manipulation

Zwang ist die Steuerung von Systemen über Befehl und/oder Repression. Standardisierte Abläufe von Militär bis starre Produktionsabläufe praktizieren dieses System bis heute. Manipulation bedeutet Steuerung über Verführung, Lüge und "Spinning". Edward Bernays, 1891 in Wien geborener Neffe von Sigmund Freud, ist der Begründer des Spinning in der Kommunikationspsychologie. Der Erfinder von Ham &Eggs als Frühstücksvariante übertrug die Erkenntnisse der Psychoanalyse auf die angewandte Öffentlichkeitsarbeit in Wirtschaft und Politik. Die Steuerung unserer Systeme in Gesellschaft und Wirtschaft scheint in weiten Bereichen auf dem Level der Manipulation zu verharren, manipulative Systeme werden gezielt weiterentwickelt. Sinnentleerung der Abläufe ist die Folge der sich ausbreitenden manipulativen Gestaltungsmuster.

Das Gebot der christlichen Wahrhaftigkeit ist neben der Chance für mehr Mensch-Orientierung auch eine Variante, neue Kraft und neue Energie in viele Bereiche unserer Gesellschaften zu bringen. Die beobachtbaren Krisen unserer Gesellschaft, von dumpfem Konsumismus samt rapider Zunahme psychischer Krankheiten über die Bildungskrise bis zu den Systemkrisen in Politik und Wirtschaft, haben eine Wurzel in einer geistigen Orientierungslosigkeit, welche in einem Klima der Beliebigkeit als Kontrapunkt zu einem Klima der Wahrhaftigkeit unsere Zeit prägt.

Politisch korrekte Debattenpfade

Manipulation scheint in unserer Gesellschaft von einer nicht legitimierten Elite sorgsam monopolisiert zu werden. Es erscheint offensichtlich, dass ausgewählte Vertreter von Medien und ausgewählte Medien, Politiker und Top-Beamte, gefangen in nicht reflektierten Denkschemata von "political correctness", sich eine Bevölkerung in Geiselhaft halten. Political Correctness ist ein Denkschema, welches helfen soll, die Komplexität abendländisch-europäischen Denkens durch Reduktionismus handhabbarer zu machen. Mittels Denkverboten soll die Diskussion in sorgsam vorbereiteten Pfaden gehalten werden, eine Diskussion außerhalb dieser Grenzen wird als inkorrekt sozial geächtet und vermehrt juristisch geahndet.

Daraus resultierende "kognitive Dissonanzen" zwischen Führungseliten und Geführten schaffen Raum für Irrationalitäten, Unberechenbarkeiten und im Extremfall Gewalt. Nur ein Besinnen auf Wahrhaftigkeit, welche Freiheit des Denkens voraussetzt, wird aus dieser Einbahnstraße der manipulativen Wahrnehmung der Welt herausführen. Es sind die universellen Ansätze des Christentums, welche unserer Gesellschaft wiederum neue Kraft und Erneuerung einhauchen könnten. Vor knapp tausend Jahren erinnerte der Kirchenlehrer Anselm von Canterbury an die Bedeutung der personalen Bindung für das Bewusstsein der eigenen Verantwortung und Freiheit. Durch seine Betonung der Kraft der Vernunft - bekannt durch seinen Satz "Credo ut intelligam" ("Ich glaube um zu erkennen") - wird eine Verbindung zwischen göttlichem Gebot und Lebenspragmatismus hergestellt, welche auch für eine Wiederbelebung der Wahrhaftigkeit in unserer Welt geboten erscheint.

Der Autor war in der Managementaus- und -weiterbildung und der Organisationsentwicklung in Management und Politik tätig sowie im Rahmen von Missionen des EU-Rates auf dem Westbalkan

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung