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Der „Herr des Dampfes“

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Wer vor Jahren den Namen Enrico Mattei in das Gespräch warf, erhielt wohl die Antwort: „Welcher von vielen?“ — In Italien gibt es etliche Prominente dieses Namens, welchen zudem der beliebte Vorname Enrico (Heinrich) eignet. Heute aber ist nur noch einer gemeint: seine zahlreichen Namensvettern bleiben im Dunkel zurück. Der Anfang der Fünfzigerjahre stehende Enrico Mattei, der allenfalls den aus dem verflossenen Jahrhundert überlieferten Beinamen des „Padrone del vapore“ (wörtlich: „Herr des Dampfes") trägt, obwohl die gewaltig fortschreitende Technik den Dampf längst verdrängt hat, gilt hier als einer der erfolgreichsten und bedeutendsten Unternehmer.

Als Leiter der staatlichen ENI-Betriebe, deren Gründung und deren Gewinnung von Erdgas und Erdöl ganz auf die Initiative Matteis zurückgeht, hat er sich als Techniker und Organisator so hervorragend bewährt, daß er in seinem Bereich ziemlich frei schalten und walten kann. Er ist es gewesen, der in Erkenntnis der fast ausschließlich aus den Nahostländern kommenden und wegen der dortigen Unruhen keineswegs gesicherten Erdölversorgung Italiens von rund 20 Millionen Tonnen jährlich auf Abhilfe sann. Unter anderem erwarb er für die im ENI zusammen- geschlossenen Betriebe in Persien, Aegypten und Marokko große Erdölfelder derart, daß als Gleichberechtigte in den Erdölländern jeweils staatliche Gesellschaften fungieren. Das Außerordentliche der Verträge aber besteht darin, daß die Regierungen dieser Länder vorweg eine Abgabe von 50 Prozent des Nettoerlöses erhalten. Der dann verbleibende Gewinn wird 50 zu 50 Prozent zwischen der italienischen Gesellschaft und jener der Erdölländer verteilt. Eine Besonderheit besteht ferner darin; daß in möglichst großem Ausmaß eigens heranzubildende Techniker und Arbeiter der Gaststaaten in den neugegründeten Gesellschaften angestellt werden sollen.

Dieser neue Weg des Ingenieurs Mattei, der mit den seit jeher üblichen kolonialen Ausbeutungsmethoden der großen internationalen Erdölgesellschaften resolut bricht und der begreiflicherweise bei diesen viel böses Blut gemacht hat, beginnt zur vielgegangenen Straße zu werden. Andere Interessenten aus verschiedenen Ländern der Welt sind dem Beispiel Matteis gefolgt und trugen dabei in erster Linie dem immer mächtiger werdenden Unabhängigkeitsdrang der arabischen Bevölkerung Rechnung. Kein Wunder auch, daß die einst fetten Gewinnchancen zusammenschrumpfen und daß der wachsende Wettbewerb Preiskämpfe zur Folge hat!

Es ist also weder Zufall noch Laune, wenn Mattei, der als Bahnbrecher dieser Revolution auf den Erdölmärkten zu gelten hat, sich über die künftige Entwicklung Gedanken macht. Und diese Gedanken sind in jeder Hinsicht konstruktiv. In seiner Phantasie weiten sie sich zu einem kühnen Gesamtplan, der neben der wirtschaftlichen erhebliche politische Bedeutung gewinnen kann. Wir versuchen, den Gedanken dieser Gesamtplanung an Hand seines vor kurzem in Rom vor einem auserlesenen Publikum gehaltenen Vortrags nachzugehen.

Sein Ideengang ist kurz folgender: Der den; Kommunismus bekämpfende Westen hat allen Grund, die auf ökonomischem Gebiet von den Sowjets laut ausgesprochene Herausforderung ernst zu nehmen und ihr mit den zu Gebote stehenden Mitteln zu begegnen. Einen großen Raum nimmt hierbei der noch auf lange Sicht erstrangige Energieträger des Erdöls ein. Natürlich und geschichtlich gewordene Situationen haben es bewirkt, daß die bedeutenden Erdölvorkommen außerhalb der kommunistisch beherrschten Welt von einigen wenigen Ländern der westlichen Hemisphäre erschlossen werden. „Die großen internationalen Erdölgesellschaften, die im Nahen Osten operieren, sind auch an der

Erdölförderung in den Vereinigten Staaten interessiert. Sie haben bisher den internationalen Preis des Rohöls auf einem Niveau festgelegt, welches so hoch ist, daß sich die Förderung auch in Amerika rentiert."

Aber — so Mattei — seit einiger Zeit bahne sich eine Wandlung an. Die unterentwickelten, Erdöl bergenden Länder strebten nach Emanzipation und betrachteten das Erdöl als Mittel zur Besserung ihrer, wirtschaftlichen und sozialen Lage. Mit anderen Worten: diese Länder wollten an der Ausbeute ihres Bodens angemessenen Anteil haben. Dieser Prozeß sei im Gange. Deshalb sei die Erdölförderung in Nahost im Steigen begriffen. Als Folge sei mit Preiskämpfen zu rechnen, die gerade der ziemlich einseitig auf den Ertrag des Rohöls angewiesenen arabischen Welt schwer schaden könne, weil diese ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik künftig vor allem auf den finanziellen Erträgnissen der Oelgewinnung aufzubauen hätten.

Aus diesen Erwägungen, die natürlich die unter Umständen prekär werdende Lage seiner oben erwähnten Gründungen nicht außer acht lassen, erwächst dann die große Planung für den Nahen Osten: Harmonisierung der vielseitigen Interessen (Interessen alter und neuer Gesellschaften, Interessen der Erdöl gewinnenden Länder, Interessen der Käuferländer) durch ein multilaterales, alle Interessenten umfassendes Abkommen. Das Abkommen habe klare Richtlinien über Umfang der Erdölgewinnung, über Festsetzung der Preise und über Gewinnverteilung aufzustellen und damit die Anpassung der Förderung an den Bedarf, die Vermeidung von Preiskämpfen und Schleuderkonkurrenz, die Aufrechterhaltung der doch in erster Linie den Erdölländern zugute kommenden Gewinnspannen zu gewährleisten. Mit dieser Erfolgsgarantie für die ausnahmslos unterentwickelten Länder könne dann der 1959 im Schoße der Vereinten Nationen vorgesehene allgemeine Entwicklungsplan für die Nahostländer wirksam verbunden werden.

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