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Der organisierte Mensch

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Der Mensch von heute ist ein organisierter Mensch, denn für alle seine Lebensbereiche gibt es die mannigfachsten Organisationen, denen er angehören muß. Außerhalb der Organisationen vermag der moderne Mensch nicht zu leben, so daß Lebenkönnen beinahe Organisiertsein bedeutet.

Trotz der großen Bedeutung des Organisationswesens wird das Organisieren von kaum irgendeiner Wissenschaft zum Untersuchungsgegenstand gemacht. Selbst die Soziologie hat sich bisher kaum darum gekümmert, obwohl gerade sie hiefür zuständig wäre.

Die Organisationen entwickeln im gesellschaftlichen Leben eigenständige Gesetzmäßigkeiten, die sich immer und überall zeigen. Diese Gesetzmäßigkeiten sind es, die den Menschen in seiner individuellen Persönlichkeit bedrohen und ihn ständig zu einem organisierten Massenteil zu degradieren versuchen.

Das Wesen der Organisationen tritt uns als eine Erscheinung des Gesellschaftswesens entgegen. Organisieren ist das Ordnen von Gemeinschaften, denn jede Gemeinschaft braucht eine Ordnung, und Ordnen ist das Organisieren der Gemeinschaftsorgane. Sofern sich nicht in und aus den Gemeinschaften durch das Zusammenwirken der vergemeinschafteten Menschen selbst eine Ordnung, das heißt ein geordnetes Zusammenleben ergibt, muß das Organisieren als ordnendes Handeln eingreifen. Das organisierende Handeln gibt der Gemeinschaft, für die es wirksam wird, das Organisationsziel und den Organisationsrahmen. Das einmal gesetzte Ziel wird den Organisierten so lange „eingehämmert“, bis die Organisationseinpauker und die Organisierten daran „glauben“. Sind die Organisierten auf ihr Ziel hin ausgerichtet, dann sind sie auch bereit, sich für dieses einzusetzen und hiefür in Bewegung setzen zu lassen.

Dadurch aber, daß alle Organisierten einheitlich ausgerichtet werden, werden sie auch im Geistigen und in ihrem Willen nivelliert. Die Organisierten werden in bezug auf das Organisationsziel gleichgemacht und gestrafft. Was in der Statistik mit dem erhobenen Zahlenmaterial geschieht, indem es ohne Rücksicht auf die einzelnen Individualitäten gestrafft wird, geschieht durch das Organisieren im tatsächlichen Gesellschaftsleben.

Da jede Organisation Führungsorganc braucht, läuft dem Nivellierungsvorgang ein Ausleseprozeß entgegen. Solange Gemeinschafren verhältnismäßig klein sind, werden die Persönlichkeiten ausgewählt, die das größte Vertrauen haben und von denen die beste Leistung erwartet wird. Je größer aber die organisierten Gemeinschaften werden, desto unpersönlicher und mechanischer wird der Auslesevorgang vorgenommen.

Die Organisation schafft den Rahmen für die Gemeinschaft, innerhalb dessen sich das Gemeinschaftsleben entfalten kann. Wieder gilt: je kleiner die Gemeinschaft ist, desto lockerer kann der Organisationsrahmen sein, weil das gesellschaftliche Leben mehr auf Vertrauen als auf schematischer Normung aufgebaut ist. Werden die organisierten Gemeinschaften größer, dann muß das Gemeinschaftsleben immer mehr einer schematischen Norm unterworfen werden.

Die Prinzipien der Organi-s a t i on sind vielfältig. Das Organisationsziel bringt das Prinzip der Geschlossenheit und Ausschließlichkeit mit sich. Die Geschlossenheit wird angestrebt, weil alle potentiell dem Gemeinschaftsziel Verbundenen durch die Organisation erfaßt werden sollen und müssen. Alle Nichtdazugehörigen werden ausgeschlossen, denn ihr Wille gegen die Gleichschaltung würde die Durchschlagskraft der Organisation vermindern.

In jeder Organisation zeigen sich zwei Strukturprinzipien: das horizontale und das vertikale. Dem horizontalen Prinzip zufolge werden die sachlich und örtlich begrenzten kleinen Gemeinschaften zusammengefaßt. In diesem Rahmen tritt das Prinzip der Solidarität so stark hervor, daß oft auch eine solidarische Haftung direkt oder indirekt für die Verbundenen gegeben erscheint. Aus der solidarischen Verbundenheit geht auch die demokratische Verhaltensweise hervor. Dieser entspricht wieder in den kleinen Gemeinschaften das Prinzip der Selbstbestimmung und Selbstverwaltung.

Gemäß dem vertikalen Strukturprinzip der Organisationen werden die horizontalen Gemeinschaften zu immer größeren Organisationsverbänden auf der Bezirks-, Landesund Staatsebene zusammengefaßt. Diese organisatorische Konzentration ist notwendig, damit die vielen Gemeinschaften ihr Organisationsziel mit größerer Durchschlagskraft erreichen können.

Durch diesen Konzentrationsprozeß werden aber die Gefahren der Organisationen deutlich wirksam. Durch die Ko-.zentration wird das Organisationsgebiet und die Masse der Organisierten größer. Die Vergrößerung mengt sich in das Organisationsziel so ein, daß sie jenes oftmals überdeckt. Von einer bestimmten Größe einer Organisation an tritt der Sog zur Massenorganisation ein. Dieser zieht die noch nicht Organisierten mit der Wucht der Masse an sich. Dies bringt aber für die Organisation die Tendenz zur Totalität.

Ist die Totalität annähernd erreicht, so schlägt sie in ihrer Wirksamkeit zur fötalen Macht um. Sind nämlich alle „Interessenten“ durch eine Organisation erfaßt, dann kann diese ihr Ziel auch mit der Wucht der Masse erreichen. Nun können die Machtinstrumente der Organisationen so wirksam werden, daß die totale Machtorganisation den Sprung zur Diktatur unmerklich vollziehen kann.

Dadurch zeigt sich aber eine Umkehr des Organisationsvorganges. War im Entstehen die Initiative demokratisch von unten nach oben getragen worden, so wird sie nunmehr von oben nach unten „gepreßt“. Die gleichmachende Nivellierung findet ihre Vollendung und die Organisierten werden zum „Material“ der Organisationsleitung.

Dieses Massenmaterial ist nicht mehr im Wege der Bürokratisierung lenkbar. Sie tritt an die Stelle der früher vertrauensvoll gewählten Leitungen. Weil die Massen und die Massenvorgänge nicht mehr übersehbar sind, müssen sie statistisch erfaßt und von der Organisationszentrale gelenkt werden. Da die Obmänner und Präsidenten diese Lenkung nicht mehr leisten können, tritt an ihre Stelle der Apparat der Manager. Die Folge davon ist, daß unter Beibehaltung des formal-demokratischen Prinzips die Demokratie der Diktatur der Manager Platz macht. Die ursprünglich in den kleinen Organisationsgemeinschaften solidarisch Verbundenen werden „Untertanen“ der Organisationszcntrale.

Die Macht der Organisation hat ihren Höhepunkt erreicht und den Organisierten die restlose Ohnmacht gebracht. ,

Diese organisationsgesetzlichen Vorgänge lassen sich in allen Einzelheiten sowohl im staatlichen als auch im sozialwirtschaftlichen Leben nachweisen.

Im Staat verlagert sich die Willensbildung immer mehr in die Parteizentralen einerseits und im Wege der Gesetzgebung in die Verwaltungszentralen anderseits. Die Parteien sind die vertikal organisierten Massenverbände, in denen nur noch die Sekretariate die genormten Parolen ausgeben, wodurch der Volkswille „gebildet“ wird. Da die politischen Kleingemeinschaften kaum noch eine Gesetzeskompetenz haben, müssen die schwierig zu übersehenden Vorgänge des sozialen und wirtschaftlichen Lebens von dem Gesetzestechniker der Verwaltungszentralen des Staates und der Wirtschaft durch Gesetz geregelt werden. Hiebei kann das eigentliche gesetzgebende Organ noch die Vollzugsakte der Gesetzgebung setzen.

In der sozialen Wirtschaft gibt es eine Unzahl von vertikalen Organisationsverbänden, die jedermann kennt: Gewerkschaften, Kartelle, Kammern, Genossenschaften. Krankenkassen usw.

Wollte man den geschilderten Organisationsgesetzen eine Naturgesetzlichkeit unterschieben, dann gäbe es aus dem Organisationsdeterminismus kein Entrinnen mehr. Weil aber alle Verträge im sozialen Geschehen im

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