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Entmachtung der „Kleinen“?

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Die Voraussage einer dem Lebensgesetz der modernen Wirtschaft entsprechenden fortschreitenden Ballung unternehmerischen Kapitals wird weithin durch die wirtschaftliche Entwicklung bestätigt. Anderseits hat sich die Annahme eines Absterbens der Klein- und Mittelbetriebe nicht bewahrheitet. Die letzte nichtlandwirtschaftliche Betriebszählung (1, September 1954) ergab für Oesterreich nicht weniger als zirka 260.000 Betriebe, nicht gerechnet die dauernd oder vorübergehend stillgelegten 40.000 Betriebe. Die einen besonders hohen Kapitaleinsatz erfordernden neuen technischen Verfahrensweisen, die Integrationsbestrebungen wie auch die Angst vor den Folgen der Integration haben aber seit dem zweiten Weltkrieg die schon vorher merkbare Konzentration noch verstärkt. Die Zahl jener Unternehmungen, die weitgehend den Preis auf den Weltmärkten bestimmen oder beeinflussen können, wird immer geringer. Die kleineren Erzeuger werden meist auf Herstellung jener Produkte verwiesen, die den Großen nicht ausreichend interessant erscheinen, oder sie widmen sich dem in seiner Bedeutung wachsenden „Service“, ' den Zubringerdiensten für die Großen oder der Reparatur. Die Konzentration ist daher vor allem eine Entmachtung von bestehenbleibenden Unternehmungen; ob dieses Bestreben in der Art und in dem Umfang, wie es uns auch in Oesterreich sichtbar wird, volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich notwendig ist, soll hier nicht untersucht werden. Worauf es in diesen Zeilen ankommt, ist die Klärung der Frage, ob diese fortschreitende Konzentration mit den Grundsätzen einer sogenannten Privatwirtschaftsordnung, mit der Marktfreiheit und vor allem mit der unbestreitbaren Notwendigkeit, den unternehmerischen Mittelstand zu fördern, übereinstimmt.

Als Privateigentumsordnung soll eine praktizierte Wirtschaftsverfassung verstanden werden, in der erstens jeder das Recht hat, privat Eigentum an Produktionsmitteln zu erwerben, und in der zweitens auch eine möglichst große Zahl von physischen Personen, von „Private n“, unternehmerisches Eigentum besitzt. Wenn sowohl auf dem Gebiet der Erzeugung wie im Handel in immer stärkerem Umfang die ohnedies schon „Großen“ Kleine weiterhin aufkaufen oder entmachten und wenn die Großeigentümer juristische Personen, also Rechtskonstruktionen sind, so widerspricht eine solche Entwicklung den Grundsätzen einer gut funktionierenden Privateigentumsordnung. Freilich: wer da meint, die fortschreitende Konzentration in der Wirtschaft widerspräche den Ideen einer freiheitlichen Wirtschaftsführung, wird rasch als „Romantiker“ abgetan, während die anderen, welche die Dinge als unvermeidbar hinnehmen, den Titel von „Realisten“ zugesprochen erhalten. Wie sollen aber dann diejenigen heißen, die in einem Atemzug (weil „langatmig“) der persönlichen Initiative in der Wirtschaft und dem privaten Eigentum das Wort reden, aber gleichzeitig nichts an der direkten und indirekten Enteignung oder Entmachtung kleiner Unternehmer finden können?

Im Jahre 1949 hatte Wien noch 57.364 handwerklich tätige Gewerbetreibende (1937 waren es sogar um 23.133 mehr gewesen). Im Jahre 195 3 waren es nur noch 53.613 und 1955 47.390 (von denen 4840 ihren Betrieb stillgelegt hatten). Im Jahre 195 5 war also die Zahl der Betriebe auf zirka 59 Prozent der Zahl von 1937 abgesunken. Beim Handel verdrängen wieder die Massenfilialbetriebe den Alleinhändler. Daß in der Reduktion der Zahl der Gewerbebetriebe auch zum Teil eine gesunde Bereinigung sichtbar wird, soll übrigens unbestritten bleiben. Die Art aber, wie die Kleinen erledigt werden, hat meist wenig mit „Bereinigen“, sondern zuweilen eher etwas mit „Umlegen“ zu tun.

Jedenfalls bildet sich im sogenannten „Westen“ offensichtlich so etwas wie eine „dritte Macht“ neben den Unternehmungen des Mittelstandes und den gebietskörperschaftlichen Wirtschaftsgebilden. Diese dritte Macht sind jene großen Kapitalgesellschaften, die entweder einflußlose physische Personen als Eigentümer haben oder überhaupt nur noch im Eigentum juristischer Personen sind. Nun haben Unternehmungen der gekennzeichneten Art und Größe in der Wirtschaftsgesellschaft unserer Zeit ihre Funktion. Worum es geht, ist eine reinliche Scheidung der Begriffe und Aufgaben: Man kann nicht gut Unternehmungen, die praktisch gleich kollektivwirtschaftlich organisierten Unternehmungen geführt werden, dem Bereich der Privatwirtschaft zurechnen oder die Vergrößerung des Einflußbereiches der Konzentrationsgebilde mit freiwirtschaftlichen Formeln zu rechtfertigen suchen. Geschieht das, entsteht neben der echten Privatwirtschaft eine Als-ob-, Privatwirtschaft. Nochmals sei gesagt: Nichts gegen 'wirtschaftsorganisatorische Notwendigkeiten, alles aber gegen verschwommene Begriffe und Beschwörungsformeln, die eine sekundäre Kollektivisierung verdecken sollen. Es gibt nun einmal Gesetzlichkeiten in der Wirtschaft. Trägt man ihnen in der Wirtschaftspraxis Rechnung, muß es da und dort zur Konzentration kommen. Die Bemühungen um eine Steigerung der Produktivität und die Erreichung minimaler Stückkosten zwingt nun einmal zur Bildung von, kostenmäßig gesehen, optimalen Betriebsgrößen. Anderseits aber hat sich erwiesen, daß nicht immer der jeweils größte Betrieb zu einem Stückkostenminimum führt und daß vielfach Kleinbetriebe, wenn sie sich entsprechend spezialisieren und etwa mit Kleinmotoren zu arbeiten verstehen, durchaus im Konkurrenzkampf bestehen können. Aber nur dann, wenn der Konkurrenzkampf fair geführt wird und auch Geldinstitute sich jeder kredi-tären Präferenz der Großen enthalten.

Es täte daher gut, wenn die dritte Macht, die sich nun einmal neben den offen als kollektivistisch (gemeinwirtschaftlich) deklarierten, und den privatwirtschaftlich vom persönlichen Eigentümer geführten Unternehmungen konstituiert hat, sich ebenfalls offen zu ihren Prinzipien bekennen würde, die nun einmal nicht oder nicht durchwegs mit jenen übereinstimmen, die man als „freiwirtschaftlich“ oder als „privatwirtschaftlich“ bezeichnet.

In unserem Land, das selbstverständlich gerade heute in den meisten Erzeugungssparten dringend konkurrenzfähige Großbetriebe braucht, muß aber in Hinkunft mehr als bisher für die selbständigen Unternehmer getan werden. Nicht aus einem billigen Romantizismus heraus, sondern gerade im Interesse der Mehrung des Sozialproduktes und der Stärkung unserer Positionen auf den internationalen Märkten. Der Kleingewerbestand ist nun einmal ein zu Unrecht vergessener Stand in Oesterreich, ein Umstand, der viel zum \ Entstehen der Katastrophe von 1938, wenn nicht schon von 1918 beigetragen hat.

In den USA, im „Land ohne Mittelstand“, hat man, im Interesse der Erhaltung der Elastizität der unternehmerischen Führung und der Sicherung der Marktwirtschaft, durch Gesetz vom 30. Juli 1953 eine eigene Bundesbehörde zur Förderung der Klein- und Mittelbetriebe geschaffen (Small Business Administration), die dort ebenfalls in Schwierigkeiten sind (siehe „Fortune“, Juli 1957). Es ist nun interessant, daß gerade in der Deutschen Bundesrepublik, die sich heute wieder durch ein hohes Maß an Konzentrationsfreudigkeit auszeichnet, innerhalb der „Wirtschaft“ ein ernster Konflikt ausgebrochen ist, über den uns das Organ des Oesterreichischen Industriellenbundes, „Die Industrie“, in einem sehr informativen und ausgezeichneten Artikel berichtet.

Die „Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehm er“ (ASU), deren Mitglieder ungefähr dem entsprechen, was man dem gewinnorientaerten (gewerblichen) -Mittelstand zurechnen kann, steht in der Bundesrepublik offensichtlich in einem harten Kampf mit dem „Klassengegner“, mit der Großindustrie und dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), dem man eine „mangelhafte Unterstützung des Mittelstandes“ vorwirft. Die ASU fordert einschneidende Maßnahmen gegen die weitere Fortführung der Konzentration, unter anderem eine Novellierung der zu milden Bestimmungen der Kartellgesetzgebung und eine „Personifizierung der Wirtschaft“. Anderseits scheint freilich der deutsche Bundeswirtschaftsminister, dem man kaum nachsagen kann, jemals freiwirtschaftlichen Bestrebungen seine Förderung versagt zu haben, Versuchen des Mittelstandes, sich risikofreie Reservate durch zünftlerische Einrichtungen zu schaffen, Widerstand entgegenzusetzen. Ganz besonders auf dem Gebiete der Preisbildung. Der Konflikt zwischen den eigenverantwortlichen Unternehmern in der Deutschen Bundesrepublik und den Managern der Großbetriebe bedeutet die Bloßlegung der Tatsache, daß die Interessengegensätze keineswegs im simplen Gegeneinander von Unternehmern (der „Bourgeoisie“) und Arbeitnehmern (dem „Proletariat“) ausgetragen werden, sondern daß die Gegensätze komplex sind, um so mehr, als auch die „Klasse“ der Arbeitnehmer ihre klasseninternen Konflikte hat, etwa den Kampf des „Genossen Direktor“ mit dem „Genossen Hilfsarbeiter“.

Die christliche Soziallehre muß nun, soweit dies noch nicht geschehen ist, aus ihrem Zweiklassendenken herauskommen, das nicht nur Methode, sondern eine Folge der Fixierung auf den Marxismus und die Marxismusabwehr ist Der weite Bereich der dörflich-agrarischen Belange ist auf diese Weise zu kurz gekommen, und ebenso — vor allem in Oesterreich — der Bereich der Untersuchung der Probleme des Mittelstandes, nicht so sehr des konsumorientierten Mittelstandes wie des unternehmerischen.

Den Mittelstand heute gegen seine Aufsaugung oder Entmachtung im Rahmen sachlich nicht gerechtfertigter Konzentrationen, sie seien so oder so firmiert, unterstützen, heißt einer gesellschaftlichen Großgruppe soziale und wirtschaftliche Sicherheit geben, die den personalen Kern einer tatsächlich freien privatwirtschaftlichen Wirtschaftsorganisation bilden müßte und eine unersetzliche Funktion als ausgleichendes Element in der Gesellschaft hat, wie der Heilige Vater in seiner Botschaft an den Internationalen Mittelstandskongreß betonte.

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