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Parteipolitik in den Vereinigten Staaten

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Wer das politische Getriebe in den Vereinigten Staaten von Amerika begreifen will, muß sich hüten, den europäischen Parteibegriff auf das politische Kräftespiel in der großen nordamerikanischen Republik zu übertragen. Vor allem die beiden führenden, geschichtlichen Parteien der „Demokraten“ und der „Republikaner“ sind nicht durch einen Gegensatz der Weltanschauungen getrennt. Sie stellen eigentlich zwei Fraktionen des politischen Liberalismus dar, der bei der Gründung der Vereinigten Staaten vor 170 Jahren Pate stand und sich in diesem Lande — sehr zum Unterschied von Europa — nahezu totale Geltung bewahrt hat. Die weit überwiegende Mehrheit der . amerikanischen Wähler hält sich an die Überlieferung, einer dieser großen Parteien die Stimme zu geben, und hält so den Mechanismus des von England überkommenen Zweiparteiensystems aufrecht. Kleinere Parteien, die im Lauf der Geschichte immer wieder entstanden, sind jedoch nicht ohne Einfluß auf die allgemeine Politik geblieben. Die großen Parteier paßten ihre „Wahlplattformen“ den jeweils auftauchenden politischen Schlagworten an, entzogen damit den Splitterparteien die Wachstumsgrundlagen und saugten sie schließlich auf. Das gilt wenigstens teilweise auch jetzt von den verschiedentlichen sozialistischen oder dem Sozialismus nahestehenden Fraktionen, die ihre Anhänger hauptsächlich in den großen Mittelpunkten der europäischen Einwanderung haben. Davqn abseits steht die kommunistische. Partei, die zwar zahlenmäßig nicht stark ist, aber geschlossen marschiert und ihre Vertrauctrmänner in den Vorständen einer Anzahl Arbeitergewerkschaften hat.

Die Innenpolitik der Vereinigten Staaten, zumal die gesetzgeberische Arbeit des Kongresses, steht derzeit im Zeichen der kommenden Wahlen. Vor Jahresende werden die Amerikaner ein neues Repräsentantenhaus haben, und auch ein Drittel der Sitze im Senat ist zu erneuern. Bis zur ersten Wahl des verstorbenen Präsidenten Franklin D. Roosevelt im Jahre 1932 herrschte in, den Vereinigten Staaten nicht nur der politische, sondern auch der wirtschaftliche Liberalismus. Allerdings bedeuteten die industriellen Hoch-' Schutzzölle und die Beschränkung der Einwanderung bedeutsame Ausnahmen hieVon. Roosevelts unter dem' Namen des „New Deal“ bekanntes Programm der sozialen Reform und der Planwirtschaft brachte eine einschneidende Änderung der bisherigen uneingeschränkt kapitalistischen Wirtschaftspolitik. Roosevelt hat dem Lande nicht nur eine großzügige Sozialversicherung gebracht und dem kollektiven Arbeitsvertrag zum vollen Durchbruch verholfen; er hat auch die Gewerkschaften von der Antitrust-Gesetzgebung ausgenommen und ihnen damit eine in mancher Hinsicht privilegierte und von gesetzlicher Kontrolle unabhängige Stellung eingeräumt. Die vielfach absolut regierenden Führer der großen Gewerkschaften haben heute, vermöge der Waffe des Streiks und der Beeinflussung der Wählerschaft nicht geringere Macht über Regierung und politische Parteien als in vergangenen Jahrzehnten die Herren der großkapitalistischen Bank- und Industrieunter-nehmungen.

Die planwirtschaftliche Bekämpfung der Wirtschaftskrise in den dreißiger Jahren und das Arbeitsbeschaffungsprogramm des „New Deal“, das Anschwellen des bundesstaatlichen Beamtenheeres als Folge der wirtschaftlichen Interventionspolitik und, Hand in Hand damit, ein ungeahntes Anwachsen des Fehlbetrages im Bundeshaushalt und der Bundesschuld bildete den Auftakt zur Kriegswirtschaft. Deren Liquidierung bildet heute den Gegenstand des Kampfes einerseits zwischen den politischen Erben Franklin D. Roosevelts, den „New-Deal-Intellektuellen“ und deren Anhang auf der politischen Linken, andererseits den Verfechtern des freien Unterneh-'mertums in Industrie und Landwirtschaft. Die Republikanische Partei ist der hauptsächliche Sammelpunkt aller gegen „unamerikanische“, ausländischen Ideen entstammende Beschränkungen der Wirtschafts-freiheit.. Sie ist überlieferungsgemäß die Partei der Banken und Industrie, hat aber heute ihre stärksten Stellungen nicht nur in den vorwiegend landwirtschaftlichen Staaten des mittleren Westens'; die Republikanische Partei hat auch in der „AFL“ (American Federation of Labor), des älteren der beiden großen amerikanischenGewerkschafts-bünde, der sich klar zu privatwirtschaftlichen Grundsätzen bekennt, zahlreiche Wähler. Schon aus diesem Grunde hüten sich die Häupter der Republikanischen Partei der sozialpolitischen Gesetzgebung der vergangenen Jahrzehnte entgegenzutreten; sie beschränken sich auf die Bekämpfung von Auswüchsen. Auch in der Kritik der Ausgabenpolitik der Bundesregierung und des ständigen Abganges im Bundeshaushalt sdieuen die Republikaner im Hinblick auf die nahen Wahlen vor allzu unvolkstümlichen Forderungen zurück. Selbst in der Frage der bundesstaatlichen Höchstpreisgesetzgebung kam es zu einem Parteienvergleich, auf Grund dessen die amtliche Preisregelung in abgeschwächter Form bis 30. Juni 1947 verlängert wurde.

In eine weit zwiespältigere Lage als die republikanische Opposition ist jedoch die Demokratische Regierungspar-t e i geraten. Die Uberlieferung der Demokratischen Partei, die auf deren Begründer, den Verfasser der Unabhängigkeitserkrärung der dreizehn nordamerikanischen Staaten Thomas Jefferson zurückgeht, ist jeder Zusammenballung politischer und wirtschaftlicher Macht entgegengesetzt. Aus diesem Grunde vertrat die Demokratische Partei seit jeher die

Gerechtsame der Einzelstaaten gegenüber der Union und ebenso die Interessen der Farmer des Südens und der „Pioniere“, die im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts gegen Westen vorstießen, gegenüber dem Finanz- und Industriekapital in den nordöstlichen New-England-Staaten und um New York. Die Demokratische Partei hat die entscheidende Rolle in der Umwandlung der ursprünglichen konstitutionellen Republik mit aristokratisch-bourgeoisem Hintergrund in eine Demokratie gespielt. Nebst diesem Umstand mußte gerade der Gegensatz zum Industrie- und Bankkapital breite Schichten der rasch anwachsenden Industriearbeiter-schaft der Demokratischen Partei zuführen. Die staatsozialistische Neigung des „New Deal“ hat nun eine in den Vereinigten Staaten unerhörte. Vereinigung wirtschaftlicher Macht in den Händen der Bundesregierung zur Folge gehabt. Wallstreet, der Hochsitz des amerikanischen Bankkapitalismus, ist von Washington weit zurückgedrängt worden. Die Demokraten in den Südstaaten, die den eigentlichen Stock der Partei bilden, haben den politisdien Wechsel unter Roosevelt, den sie anfänglich voll unterstützten, später nur mit Murren und gelegentlichen Auflehnungen hingenommen. Namentlich das Eindringen weit links stehender Elemente in die Partei und in die Bundesverwaltung löste im Süden scharfe Kritik aus. Der „solid South“ wählt geschlossen demokratisch. Denn er hat es den Republikanern bis heute nicht verziehen, daß sie im amerikanischen Bürgerkrieg die Führerschaft gegen die südlichen Konföderierten innehatten und für die Ausplünderung des Südens nach erlittener Niederlage verantwortlich waren. Aber die Demokraten des Südens sind konservativer — im Sinne der Erhaltung der überlieferten amerikanischen Ideen und Einrichtungen — als manche republikanisdie Wahlbezirke des Nordens. Im Süden ist die Aufrechterhaltung der Vorherrschaft der weißen Rasse nach wie vor der entscheidende Punkt und die Demokraten leisten dort allen Versudien ihrer nördlichen Parteigenossen sowohl als der Republikaner, die tatsädtliche Gleichberechtigung der Neger im i staatlichen und wirtschaftlichen Leben herzustellen, erfolgreichen Widerstand. Im Norden hingegen, namentlich in dem von zahlreichen italienischen, slawischen und ostjüdischen Elementen bewohnten New York, ist die demokratische „Partei-maschinc“ unter Roosevelt in zunehmende Abhängigkeit von arbciterparteilidien und sozialistischen Gruppen und — wie wenigstens der politische Gegner behauptet — von der kommunistischen Partei geraten. Diese Politik der Zusammenarbeit mit der radikalen Linken hat freilich im Vormonat einen argen Schlag erhalten, als Sidney H i 11 m a n, Obmann des „P A C“ (Political Action Committee) in der „CIO“ (Con-gress of Indüstrial Organisation), des anderen großen amerikanisch Gewerkschaftsbundes, plötzlich einem Flerzkrampf erlag. Sidney Hillman hatte in seiner Jugend in seinem Geburtsland Litauen an der russischen Revolution des Jahres 1905 teilgenommen und war, wie viele seiner Glaubensgenossen, nach den Pogromen jener Zeit in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Dort wid- mete er sich der Arbeiterbewegung und behielt bis an sein Ende die Obmannstelle der Be-kleidungsarbeitergewerksdiaft. Als gleichzeitiger Obmann des von ihm begründeten „P A C“ hatte er die Fäden der Zusammenarbeit zwischen den New-Deal-Demokraten, den Sozialisten und zeitweise auch mit den Kommunisten in der Hand. Er genoß das besondere Vertrauen des Präsidenten Roosevelt. Roosevelt hatte seine vierte Wiederwahl zum Präsidenten in einem knappen Sieg über seinen Gegner, den republikanischen Gouverneur des Staates New York, Thomas E. Dewey (mjt 25,6 Millionen gegen 22 Millionen Stimmen), der zielbewußten Organisationsarbeit Sidney Hill-mans zu verdanken. Der jetzige Präsident Harry S. Truman wurde bei den Wahlen des Jahres 1944 auf Grund eines Kompromisses zwischen den New Dealern und den südlichen Demokraten als Bewerber für die Vizepräsidentschaft der Vereinigten Staaten aufgestellt. Damit hatte er die Anwartschaft für die Nadifo'ge in das Amt des Präsidenten im Todesfalle des letzteren. Roosevelt mußte damals dem Druck des südlichen Flügels der Partei nachgeben und den weit linksstehenden Vizepräsidenten Henry A. W a 11 a c e durch Senator Truman ersetzen. Dieser kommt zwar selbst aus dem südlichen Staat Missouri, erhielt aber die Zustimmung Sidney Hillmans.

Im Kongreß haben die Spannungen innerhalb der Demokratischen Partei zu wiederholten Gelegenheitskoalitionen zwischen Republikanern und südlichen Demokraten geführt. Diese machen namentlich bei Vertretung landwirtsdiaftlicher Interessen im „Farmblock“ gemeinsame Sache mit den agrarischen Republikanern. Sie stimmten aber auch jüngst in der Frage des Höchstpreisgesetzes mit den Republikanern und arbeiten mit ihnen in der Bekämpfung der sogenannten „fellow-travellers“ (Weggenossen) des Kommunismus innerhalb der New-Deal-Bürokratie zusammen. Die Republikaner erwarten sich von den Herbstwahlen eine Mehrheit im Repräsentantenhaus und eine Stärkung ihrer Stellung im Senat. Die Unzufriedenheit im Lande mit der schleppenden Umstellung zur Friedenswirtschaft, den Riesenstreiks der vergangenen Monate und mit den Unzulänglichkeiten in der Versorgung der verwöhnten amerikanischen Verbraucherschaft, das Abebben der Höchstverdienste aus der Kriegszeit und nicht zuletzt die Enttäuschung über die Weltlage nach errungenem Siege sprechen für einen Erfolg der Republikaner. Andererseits muß man aber das Gewicht des „P A C“, die die Millionenorgartisation des „C I O“ zu seiner Verfügung hat, in Rechnung stellen.

In der Außenpolitik der Vereinigten Staaten herrscht heute, sehr zum Unterschied von den Verhältnissen nach dem ersten Weltkrieg, weitestgehende Einigkeit zwischen den großen Parteien. Man hat aus Woodrow Wilsons Niederlage im Senat bei Vorlage der Pariser Friedensverträge und der Völkerbundsatzung gelernt. Staatssekretär Byrnes, , ein Demokrat aus dem Süden, arbeitet im engen Einvernehmen mit den führenden Außenpolitikern des Senats, dem Demokraten Thomas Connally aus Texas und dem Republikaner Arthur Van-d e n b e r g aus Michigan. Sie haben den Staatssekretär zu einer Reihe wichtigster diplomatischer Konferenzen ins Ausland begleitet. Wohl gibt es Schattierungen in den Ansichten über die Beziehungen zu anderen Mächten, insbesondere zur Sowjetunion. Dodi die Politik des Isolationismus 'ist seit dem japanischen Angriff auf Hawai ebenso tot wie der Traum von einem Weltstaat, der der Gründung der „Vereinigten Nationen“ vorausging. Die ernüchternden Zustände der Gegenwart lassen der Weltmacht der Vereinigten Staaten keine andere Wahl als die einer den g a n z e n E r d-ball umspannenden Realpolitik.

Religion und Kirche sind dem Parteienkampf entrückt. Unter den amerikanischen Katholiken gibt es Republikaner und Demokraten, Konservative und New Dealer. Vor einigen Monaten lenkte die Bekehrung zweier bekannter Mitglieder des Kongresses zur katholischen Kirche die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich. Das eine war das Mitglied des Repräsentantenhauses, Mrs. Ciaire Boothe Luce, eine rechtsstehende Republikanerin und Gattin des Herausgebers der weitverbreiteten „Time“- and „Life“-Magazine. Der andere in den Schoß der Kirche aufgenommene Politiker war Senator Robert F. Wagner, Urheber des National Labor Relations Act, eines der bedeutsamsten sozialpolitischen Gesetze des New Deals. Das rundet nur das politische Bild eines Landes ab, in dem die Weltanschauung, wenigstens bisher, nicht zur maßgeblichen parteienbildenden Macht geworden ist. Aber die Frage „freie oder gebundene Wirtschaft“ ist auch in den kapitalistisch-demokratischen Vereinigten Staaten gestellt. Sie beherrscht die Gegenwartskämpfe der amerikanischen Parteien.

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