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Solidarität hat einen guten Klang - Solidarität mit Randgruppen oder Umweltschützern, Ausländern oder der Dritten Welt...

Oft ist es die Gegnerschaft, die eint: gegen Atomkraftwerke, Walfang oder Transitverkehr - und in letzter Zeit gegen den Terrorismus. Genau diese Solidarität schien im September 2001 auf ewig geschlossen: "Uneingeschränkt solidarisch" mit den usa erklärte sich etwa Bundeskanzler Gerhard Schröder gleich nach den Anschlägen.

Nun sind aber beinahe sechs Monate vergangen, politisch also fast eine halbe Ewigkeit, und George W. Bush hat vor dem Kongress seine wilde Entschlossenheit erklärt, den Terrorismus mit Stumpf und Stiel auszureißen. Im Visier die "Schurkenstaaten" Irak, Iran, Nordkorea - die "Achse des Bösen". Diese Entschiedenheit jenseits des Atlantik war den Europäern aber dann doch zu viel. Afghanistan, das ging ja noch an. Aber Iran, ein Staat, zu dem man gute Beziehungen unterhält, dessen Präsident demnächst Österreich besucht...

So sei das nicht gemeint gewesen, hörte man in den letzten Wochen aus europäischen Staatskanzleien, man habe keine "blinde Solidarität" zugesagt. In einem Kommentar in der Presse empfahl Anneliese Rohrer den Europäern als Ausweg aus der Nordatlantischen Vertrauenskrise Solidarität aus Egoismus. Schließlich seien ja auch Paris und Berlin nicht vor zukünftigen Attentaten sicher.

Solidarität aus Egoismus - ein Begriffspaar mit zeitgemäßem Appeal. Solidarität sympathisch, Egoismus stark motivierend. Im Duett quasi unschlagbar. Im globalen Dorf, wo alles mit allem zusammenhängt, ist man darauf angewiesen, miteinander zurecht zu kommen. Da scheint es naheliegend, den Egoismus in den Dienst der Solidarisierung zu nehmen. Unausgesprochen ist diese Kombination ja Basis der Wohlstandsgesellschaft: Alles wird gut, wenn jeder auf sich, sein Wohlbefinden, sein Fortkommen schaut. Kultiviere Deinen Geltungsdrang, Deinen Egoismus - die Allgemeinheit wird davon profitieren.

So wird in der modernen, wirtschaftsdominierten Industriegesellschaft der Egoismus (im Gewand der "Tugenden" Konsum und Karrierestreben) zum Motor des Fortschritts.

Besser und mehr

Marion Gräfin Dönhoff, eine unverdächtige Zeugin, kennzeichnet das Phänomen in der Zeit so: "Die Marktwirtschaft beansprucht den Menschen ganz und duldet keine Götter neben sich. Ihr Wesen ist der Wettstreit und ihr Motor der Egoismus: Ich muss besser sein, mehr produzieren, mehr verdienen als die anderen, sonst kann ich nicht überleben. Die Konzentration auf dieses Prinzip hat dazu geführt, dass alles Geistige, Kulturelle an den Rand gedrängt wird..." - und die Solidarität, sei hinzugefügt.

Nun ist schon zweifelhaft, ob der Kult des Egoismus den wirtschaftlichen Wohlstand wirklich mehrt. Glaubt man Daten aus den usa, so erhöht die dort praktizierte liberale Form der Marktwirtschaft zwar den Reichtum der Reichen (in den Jahren 1995 bis 1999 verdoppelte sich die Zahl der Einkommensmillionäre), vergrößert gleichzeitig aber die Zahl jener, die den Anschluss im Wettrennen verlieren (31 Millionen us-Bürger unter dem Existenzminimum). Von der enormen Kluft zwischen den armen und den Industrieländern ganz zu schweigen. Erfahrungen mit vielen aus Eigennutz erbrachten Entwicklungshilfe-Leistungen (um eigene Exporte zu stützen) belegen: Solidarität aus Eigennutz ist eben eigennützig, nicht solidarisch.

Noch deutlicher aber wird der Irrtum, wenn man das Konzept auf die menschlichen Beziehungen anwendet. Wie das alles auf den Kopf stellt, ist im Magazin Cosmopolitan nachzulesen: "In den letzten Jahrzehnten haben sich die Erwartungen junger Frauen an Leben und Liebe stark verändert." Die "serielle Monogamie" sei zum Normalfall geworden: "Man hat immer nur einen Partner auf einmal, dafür beliebig viele hintereinander. Reduzieren sich die Abstände zwischen den Beziehungen ..., ist man direkt beim Lovehopping." Die Ansprüche seien eben enorm gestiegen, darum sei laufend zu prüfen, was dem eigenen Innenleben gut tut und was der andere zu bieten hat. Man müsse "stets auf dem Sprung sein, ob sich nicht noch ein Besserer findet".

Überzeichnet, keine Frage. Aber es macht deutlich, was auf Beziehungen angewandte Kosten-Nutzen-Rechnung heißt: Sie ist das Gegenteil einer Haltung, die den anderen um seiner selbst willen schätzt, achtet, fördert. Nur sie kann Basis echter Solidarität sein. Sie beruht auf der im Einzelnen verankerten Überzeugung, dass allen Menschen gleiche Würde zukommt, und sie erfordert die Fähigkeit, sich selbst zurücknehmen und zu Gunsten anderer auf eigene Vorstellungen verzichten zu können. Damit ist sie ein für das Zusammenleben unbedingt notwendiger Gegenpol zum vorherrschenden Nützlichkeitsdenken. Zu glauben, dessen Kult allein könne auf wunderbare Weise Solidarität, also Zusammenhalt, produzieren, ist eine Illusion.

Wie lässt sich aber echte Solidarität fördern? Sicher ist sie nicht so leicht hervorzubringen wie der Egoismus, den das Konkurrenzsystem systematisch pflegt. Sie lässt sich auch nicht gesellschaftlich verordnen.

Teilen lernen

Erfahrungsgemäß wächst sie überall dort gut, wo Menschen möglichst früh und lang die Erfahrung sammeln, dass sie von ihrem Umfeld unbedingt bejaht, angenommen und geliebt werden, dass Teilen Freude und Verzichten frei macht, dass Zusammenleben gelingt, wo man sich um die Verwirklichung des Gebots "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" bemüht. Nur eine solche Solidarität kann auf Dauer den Zusammenhalt einer so komplexen und daher gefährdeten Gesellschaft sichern.

Übrigens ist jede Fastenzeit eine Gelegenheit, sich neu in Solidarität zu üben: zu verzichten, aufmerksam auf die Nöte anderer zu werden, Gutes zu tun...

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