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Von Gorbach zu Klaus

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Der März gilt seit eh und je in der österreichischen Politik als „wetterkritisch“. Diesmal hielt sich die Krise jedoch nicht streng an den Terminkalender. Was nicht heißt, daß sie uns nicht vielleicht erst im März ihr wahres Gesicht in voller Härte noch zeigen kann.

Der in diesem Februar in die Öffentlichkeit durchgebrochene Konflikt zwischen dem Bundeskanzler und dem Obmann der Volkspartei kam für die Auguren nicht unerwartet. Dennoch überraschten sie der Zeitpunkt und die Heftigkeit. Herrschte nach dem Parteitag von Klagenfurt zunächst ein Burgfrieden zwischen Kanzler Gorbach und seinem Regierungsteam, als dessen geistig führender Kopf immer deutlicher Bundesminister Dr. Drimmel zu erkennen war, einerseits und der Parteiführung auf der anderen Seite, so begann es nach Weihnachten zu „kriseln“. Die unmittelbare Gefahr der Ausbootung der Volkspartei durch die Sozialisten mit Hilfe der FPÖ schien fürs erste gebannt. Das Nachlassen des äußeren Drucks gab nach einem alten Gesetz der politischen Physik wieder Kräfte an der „inneren Front“ frei. Aach verschlechtert uca, bedingt durch die Verschiedenheit der Charaktere und Temperamente, das persönliche Verhältnis zwischen Dr. Gorbach und Dr. Klaus in einem Maße, das eine Bereinigung kaum länger aufzuschieben erlaubte.

Wenn wir aber eindringlicher nach den tieferen Gründen der Krise fragen, so müssen wir tatsächlich zunächst mit den latent schon seit langem vorhandenen und in den letzten Wochen nun mit aller Heftigkeit deutlich spürbaren persönlichen Spannungen als Antwort unser Auskommen finden. Das Menschliche, Allzumenschliche spielt auch in der Politik — soll man leider sagen oder Gott sei Dank? — noch immer eine sehr große Rolle. Völlig in die Irre gerät der forschende Sinn, wollte er für die Krise in der Volksoartei diesmal einen „ideologischen Überbau“ zimmern.

Daß Dr. Klaus nicht jener „Rechtsaußen“ der Österreichischen Volkspartei ist, hat man in der Zwischenzeit nicht nur im sozialistischen Lager zur Kenntnis genommen.

Etwas anderes sollte freilich nicht unbemerkt bleiben. In wenigen Wochen beginnt nach dem Vorspiel der Gemeinderatswahlen in Kärnten am kommenden Sonntag mit den bur-genländischen Landtagswahlen am 22. März das „kleine Wahljahr 1964“. Wenn Dr. Klaus nun den ernsten Schritt an die Spitze der Regierungsverantwortung zu tun entschlössen ist, so steht er selbst unter einem zumindest psychologischen Druck. Ein halbes Jahr ist bald seit dem Parteitag in Klagenfurt ins Land gegangen. Die politischen Wunder, die sich manche von seiner Wahl erwartet haben („Die Furche“ war nicht darunter und hat im Interesse von Dr. Klaus auch vor einem gefährlichen „Messianismus“ gewarnt), sind ausgeblieben oder haben sich nur zu einem geringen Teil erfüllt. Schon kann Dr. Klaus in einer einschlägigen Presse lesen, daß sich die Augen „neuer Reformer“ auf einen noch jüngeren, noch „härteren Mann“ richten (Hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder, flink wie Windhunde?).

In einer solchen Situation ist der Schritt in die Verantwortung, die nur getragen werden kann, wenn sie sich mit der notwendigen Exekutivgewalt verbindet, verständlich. Sollte Dr. Klaus selbst einige Zeit vor dieser letzten Konsequenz gezögert haben und zunächst nur an einen Kanzlerwechsel gedacht haben, bei dem ein Mann auf dem Ballhausplatz einzieht, mit dem er eine bessere Gesprächsbasis hat, so haben ihm inzwischen nicht nur die Reak-tuaera in der Partei, sondern auch die Ereignisse ohne Zweifel gezeigt: Jetzt ist seine Stunde. Ob er sie gewünscht hat oder gefürchtet — entziehen kann er sich ihr nicht.

Mit Dr. Gorbach, dem ein eleganterer Abgang gewiß auch von jenen zu wünschen war, die in ihm nie den Kapitän für eine lange Fahrt erblickt haben, nehmen auch zwei Männer Abschied von der Regierung, die zu den profiliertesten Vertretern gehören, die die Volkspartei seit langem in die Regierung zu entsenden imstande war: Landwirtschaftsminister Ing. Hartmann und Unterrichtsminister Dr. Drimmel. Mit Ing. Hartmann verliert die Volkspartei nicht nur einen Agrar-experten von internationalem Rang, den sie kaum durch einen rasch „umgeschulten“ Ministerkollegen ersetzen kann, sondern auch einen Mann mit klarem geistigem Profil und bestem Auftreten. Wir haben es mehr als einmal bedauert, daß Ing. Hartmann für seine Person anscheinend beschlossen hatte, „nicht Politiker zu werden“, sondern sich als reiner Fachminister eine Selbstbeschränkung auferlegte. Wo hielte er sonst vielleicht heute?

Bundesminister Dr. Drimmel verließ die Szene, die seine Person oft entscheidend mitbestimmte, nicht, ohne noch für einen dramatischen Akzent seines Abschieds vom Mino-ritenplatz nach neun Jahren zu sorgen. Neun Jahre sind eine lange Zeit. In ihnen waren die Beziehungen Dr. Drimmels zu den österreichischen Katholiken, aus deren Herzmitte er stammt, nicht immer gleichmäßig. Jene, die Wert auf eine konsequente vaterländische Politik legen, wurden mitunter, kaum daß sie einer patriotischen Rede des Ministers aus vollem Herzen zugestimmt hatten, irritiert, wenn er etwa durch seinen Besuch bei Burschenschaften dem neuen Deutschnationalismus vielleicht einen Schritt zuviel entgegenkam. Und die katholische Lehrerschaft bereitete während der Debatte um das neue Schulgesetz bestimmt mitunter dem Minister den gleichen Kummer wie umgekehrt sein Konzept der damaligen Führung dieses Verbandes. Das färbte mitunter auch auf die Beziehungen Dr. Drimmels zu unserem Blatt ab. Leider. Immer aber war man in der „Furche“ ehrlich erfreut, wenn man mit Dr. Drimmel Schritt halten, wenn man ihn aus ehrlicher Uberzeugung unterstützen durfte. Und das war gerade in den letzten Jahren immer öfter wieder der Fall. Eindrucksvoll die Erklärung, mit der Dr. Drimmel die Tür am Minoriten-platz ins Schloß warf:

„Jeder einzelne hat jetzt die Pflicht, alles zu tun, damit in Österreich nicht wieder ein neuer Brandherd entsteht. Die letzte Arbeitszeit meiner Ministerschaft habe ich fast ausschließlich dazu verwendet, um die Zusammenarbeit, so wie ich sie unter Julius Raab gelernt habn, zu verstärken und auch unter mißlichen Umständen und mit schwierigeren Partnern sowie bei sinkender Popularität diese Zusammenarbeit fortzuführen. Um das zu tun, braucht man einige Kräfte. Ich bin absolut der Meinung, daß eine solche Politik nicht die Politik der Schwächlinge ist.“

„Hart“ und „weich“. Diese Worte haben tatsächlich in der österreichischen Volkspartei in den letzten Jahren viel Verwirrung und manches Unheil angerichtet. Es wird nicht zuletzt auch im Interesse des kommenden Kanzlers liegen, ihnen endgültig den Abschied zu geben.

Dr. Klaus geht keinen leichten Gang. Einen Vorgeschmack für Kommendes vermittelte ihm bestimmt schon das Ringen um den ,.ÖVP-Anteil“ seiner Ministerliste. Hierbei wurde deutlich, wie begrenzt der Aktionsradius eines ÖVP-Bundesparteiobmannes nach wie vor ist. Die Forderungen des bündischen und des Länderproporzes hatten dabei mit den „Wahlkapitulationen“, der sich die Könige des Heiligen Reiches den Kurfürsten gegenüber unterziehen mußten, eine frappante Ähnlichkeit.

Immerhin zeichnen sich nun die Umrisse jener Mannschaft der Volkspartei ab, mit der Dr. Klaus es wagen will, in die Arena zu steigen. Ein Käme ist allseits bekannt — jener von Handelsminister Dr. Bocfc, der, nachdem er bereits unter dem dritten Kanzler wieder in sein Amt zurückkehrt, sich bei den stets zu Spott aufgelegten Wienern den Ruf eines „österreichischen Talleyrand“ erworben hat. Neben Dr. Bocks Staatssekretär, Dr. Kotzina, bleiben auch die Staatssekretäre Dr. Hetzen-oer und Soronic unter dem neuen Steuermann an Bord. Dr. Schleinzer verläßt zwar das Haus am Franz-Josefs-Kai, geht aber nur wenige Schritte, um zu seinem neuen Ministerium zu gelangen. Der Wechsel von Ministerschreibtischen durch einen Mann ist immer eine höchst zweifelhafte Sache. Auch war es bekannt, daß Dr. Gorbach ein besonderes Vertrauensverhältnis — man sprach sogar von geistigen Vater-Sohn-Beziehungen — mit Doktor Schleinzer verband. Um so schmerzlicher muß es den scheidenden Kanzler daher getroffen haben, wenn sein „Lieblingsminister“ nicht dieselbe Treue wie andere Mitglieder seines Kabinetts bezeugte.

Der neue Landesverteidigungsminister heißt Dr. Prader. Der Schwerinvalide des zweiten Weltkriegs hat sich als tüchtiger Organisator des niederösterreichischen ÖAAB einen Namen gemacht. Mit Interesse darf man abwarten, welche Initiativen von seiner Person für die österreichische Landesverteidigung, deren Mängel nicht so sehr an Waffen, Geräten und Finanzen, sondern an der Klarheit des staatspolitischen österreichischen Konzepts liegen, zu erwarten sind.

Mit Dr. Schmitz' Einzug in das Finanzministerium kommt ein Name, mit dem sieh gute christlichsoziale Traditionen verbinden, in der österreichischen Politik wieder ins Gespräch. Der Neffe von Richard Schmitz — des Weggefährten Ignaz Seipels und Wiener Bürgermeisters vor 1938 — betritt steiniges Terrain. Der Weg in die Himmelpfortgasse gilt als „Himmelfahrtskommando“. Selbst nicht wenige Routiniers haben Scheu davor. Dr. Schmitz dürfte sich dessen bewußt sein; ja, man sagt sogar, daß er sich nur auf den Rat und durch das Drängen seiner Freunde habe bewegen lassen, gleichsam als „Vortrupp“ für die bisher von der österreichischen Volkspartei von der aktiven Politik so gut wie ausgeschlossene junge Akademikergeneration der Bundeshauptstadt zu gehen.

Während Dr. Bobleter Dr. Steiner im Außenministerium als Staatssekretär ablöst, heißt der neue Bundesminister für Unterricht Doktor Piffl-Percevic. Die Besetzung dieses Ressorts gab schwere Rätsel auf. Einige Zeit beflügelte sogar die Berufung der einen oder anderen unabhängigen katholischen Persönlichkeit die Phantasie. Wenn sich die Parteiführung für dieses Mal noch nicht zu einer solchen unkonventionellen Lösung durchringen konnte, so zeigt das lebhafte Echo, das dieses „Sandkastenspiel“ gefunden hat, doch, daß hier noch Möglichkeiten vorhatten sind, die genützt werden wollen. Dem neuen Mann des Minoritenplatzes geht der Ruf eines österreichischen Patrioten und aufrechten Katholiken voraus. Als Kulturpolitiker wird Dr. Piffl-Percevic seine Visitenkarte erst abzugeben haben. Fallen doch gerade auf dem von ihm besetzten Abschnitt der „politischen Front“ große Entscheidungen.

Dr. Klaus hat mit der Erarbeitung seiner Ministerliste die erste Hürde genommen. Zeit zum Atemholen bleibt freilich wenig. Schon treten neue Hindernisse in das Blickfeld, die bewältigt werden wollen. Da ist zunächst das Auseinanderklaffen in der Auffassung der Demission Dr. Gorbachs. Kabinettsdemission oder Einzeldemission? Auch der Bundespräsident hat hier seine Meinung geäußert. Und dann wartet Dr. Pittermann, der erst kürzlich sich rühmte, als Vizekanzler schon drei Kanzler und fünf Finanzminister überlebt zu haben, um die „Greenhorns“ im Kabinett das Fürchten zu lehren. Und gar nicht fern am Horizont stehen die ersten äußerst delikaten Landtagsr wählen im Burgenland und der Urnengang in „Klaus' eigenem Land“, in Salzburg. Bestimmt, es mag unbillig sein, aber wer wird verhindern können, daß diese Wahlgänge von nicht wenigen in und außerhalb der Volkspartei als „Gewichtprobe“ für die neue Regierungsmannschaft bewertet werden.

Mit Dr. Klaus' Einzug auf dem Ballhausplatz hat die Führung der Österreichischen Volkspartei genau dasselbe getan, was ein Kartenspieler tut, wenn er „zudreht“ und Atout ausspielt. Wird das Spiel sich ausgehen? piese Frage ist nicht nur einem neugierigen Kiebitz, sondern auch besorgten Freuden erlaubt. Eines ist sicher und wurde in diesen Wochen deutlich: Sollte etwas „passieren“, so steht das nächstemal nicht nur die gegenwärtige Führung der Partei, sondern sehr leicht die Partei in ihrer heutigen Form zur Diskussion. Man hat den Eindruck, daß alle verantwortungsbewußten Kräfte in der Volkspartei die Höhe des nunmehrigen Einsatzes kennen.

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