"Liebliche &gelbe Pfade, & schließlich nähert sich das Gebirge ... aufgeschichtet von den Geschieben des Bergbaches. Von weitem, dies Pseudo-Loire-Schloss: fünf weise hohe Pagodentürme." Der Rhythmus, die feine Melodie dieser Sätze rufen so eine Beglückung hervor, dass der Leser vom Sinn, sogar vom Bild von Zeit zu Zeit abgelenkt wird und einfach vergisst: Worüber? Wozu? - Das ist kein Nachteil, das ist sogar ein Vorteil. Selten ist heutzutage Prosa so schön. Ich zumindest habe seit langem nicht mehr so feine essayistische Prosa auf Deutsch gelesen, nur vielleicht den mexikanischen Essay von Thomas Stangl. Ich lese aber nicht alles.
Versteht sich von selbst: Das ist überwiegend die Prosa von Maria Zinfert, der Übersetzerin, Kommentatorin und Nachwortautorin, die mich so entzückt, und nur zum Teil die von Victor Segalen, der bestimmt ein großer französischer Autor war. Die Ausgabe "Ziegel &Schindeln: Eine Reise durch China und Japan 1909/10"(Matthes &Seitz 2017) ist auch nahezu ideal kommentiert.
Segalen (eigtl. Joseph Ambroise Désiré Ségalen) wurde 1878 in der Bretagne geboren und starb 1919 in Huelgoat, Département Finistère. Er war nicht nur Autor, sondern auch Marinearzt, Archäologe und Ethnologe. In seinen sämtlichen Hypostasen (eine mehr als bei seinem Heiland!) war er Anfang des 20. Jahrhunderts im durch die westlichen Mächte seiner Würde beraubten, halbokkupierten China unterwegs und hat viele Notizen und Vorbereitungstexte zu einem Roman verfasst. Eben jene bilden dieses Buch.
Vergewaltigung Chinas durch den Westen
Die Vergewaltigung Chinas bestand darin, dass die Chinesen diverse Dinge, die sie nicht brauchten, vom Westen kaufen mussten. In den Opium-Kriegen des 19. Jahrhunderts war das Opium. (Großbritannien, der größte Drogenhändler der Geschichte, hat Millionen und Abermillionen von Chinesen drogenabhängig gemacht.) Zu Segalens Zeiten waren das Dampfer auf dem Jangtse, Eisenbahnen und das Christentum, alles Sachen, die das ländliche, bäuerliche, traditionelle China nicht brauchen konnte. Segalen erzählt immer wieder widerliche Geschichten über Missionare, die sich im ganzen Land unter schwachem Widerstand der Behörden und leisem (ab und zu laut werdendem) Hass der Bevölkerung breit machten. Er als kultivierter Europäer und Katholik sieht darin nichts Verkehrtes -in dieser Vergewaltigung Chinas. Die "Moderne der Kanonenboote" sozusagen. Aber er sieht, er hört, er bemüht sich (im Rahmen seiner Möglichkeiten) um Verständnis, er versucht die Welt durch die Augen eines altchinesischen Kaisers zu sehen (eine für die klassische Moderne gar typische Idee -erinnern wir uns beispielsweise an "Mémoires d'Hadrien" von Marguerite Yourcenar). - "Du, der du aus fremden okzidentalen Gegenden kommst, zu Fuß, damit deine Reise dich edel genug macht, mit mir von Angesicht zu Angesicht zu sprechen, - was wagst du zu behaupten, wahrlich? - dass man im Reiche Fa &den angrenzenden kleinen Ländern das leichte, duftende &linde Holz verachtet, & dass man in Stein baut, um für die Ewigkeit zu bauen?"
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