6757265-1967_51_23.jpg
Digital In Arbeit

Die österreichische Nation

Werbung
Werbung
Werbung

DIE ÖSTERREICHISCHE NATION — zwischen zwei Nationalismen. Herausgegeben von Albert Massiczek. Europa-Verlag, Wien, 1967. 810 Selten, Paperback. S 84.—.

Wie wird doch rund um den Begriff der österreichischen Nation diskutiert, polemisiert, verdächtigt, intrigiert, mißverstanden! Wohl kein anderer Nationsbegriff ist so in die Tagespolitik gezogen wie die österreichische Nation. Daß es in Österreich auch seriöse Arbeiten zu diesem Thema gibt, war bekannt. Daß aus der Fülle der Standpunkte sich eine klare Linie, herauslesen läßt, das zeigt mit erfreulicher Deutlichkeit das vorliegende Buch.

Von den verschiedensten Gesichtspunkten aus beleuchten 17 Autoren das Thema. Daim, Horak, Massiczek und Winter gehen vor allem von den Aspekten der politischen Realität aus. Görlich, Hecht, Jambor, Marek, Romanik, Vospernik leisten historische Beiträge, wobei der Gegenwartsbezug niemals zu kurz kommt — so setzt sich Jambor unter anderem kritisch mit den Schriften Otto Habsburgs auseinander, und Vospernik skizziert die Probleme des Zusammenlebens der deutsch- und der slowenischsprechenden Kärntner. Gehmacher und Gmoser untersuchen mit der Akribie der modernen Sozialwissenschaften das österreichische Nationalbewußtsein. Heer wird dem Thema mit einem Essay von gewohnter Brillanz gerecht, Gbbhart mit einer pädagogischen Studie. Warum Korgers literarhisto-

rischer Aufsatz Aufnahme in das vorliegende Buch gefunden hat, bleibt allerdings unklar — Korger liefert eine hochinteressante Arbeit, die jedoch nichts mit der Fragestellung des Buches zu tun hat. Wieser und Zeßner-Spitzenberg: Zwei Autoren, deren Abhandlungen eine klare Aussage vermissen lassen, und bei denen auch manche Ressentiments gegen den „selbstgenügsamen Kleinstaat“ Österreich durchschimmern, der da „eingeigelt in seine Neutralität“ (Zeßner-Spitzenberg) existiert.

„Möge dieser Band auch jene erreichen, die sich als Gegner der österreichischen Nation bezeichnen“, schreibt Albert Massiczek „An Stelle eines Vorwortes“. Wer nicht blind sein will, wer sich nicht bewußt der Wirklichkeit verschließt, für den muß das vorliegende Buch ein weiterer Beweis für die nüchterne, keineswegs zu Pathos Anlaß gebende Existenz eines selbstverständlichen österreichischen Nationalbewußtseins sein. Quer durch alle Weltanschauungen, Lager, Parteien und Gruppierungen legen hier Autoren von publizistischer Bedeutung ein klares, durch fundierte Ausführungen gestütztes Bekenntnis zur Nation Österreich ab; oder, besser, sie beschreiben das Wachsen und das Dasein dieser Nation. Das österreichische Nationalbewußtsein

ist nicht die Angelegenheit irgendeiner Gruppe oder Richtung, es Ist vielmehr die Klammer, die alle diese politischen Ausprägungen zusammenhält, ihnen eine gemeinsame Wertbasis, ein notwendiges Minimum an Ubereinstimmung bietet. Nicht in der Aufrichtung von neuen Gegensätzen, von Grenzen, von Gräben besteht die Funktion eines Nationalbewußtseins, das gleichzeitig auch ein demokratisches Bewußtsein ist. Nicht im Sich-Verschließen, sondern im Sich-Öffnen besteht das Wesen einer Nation mit demokratischem Selbstverständnis: in der Öffnung auch nach außen, im geistigen Offensein gegenüber allen Strömungen aus allen Richtungen. Das ist Sinn und Zweck eines Bekenntnisses zur Nation Österreich. Wer könnte sich daran stoßen?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung