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Natio Austriaca

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„GESCHICHTE ÖSTERREICHS.“ Von Ernst Joseph Gör lieh und Felix Romanik. Tyrolia-Verlag, Innsbruck—Wien—München 1970. 624 Seiten mit IS Dokumentarkunst-druckbildern auf Tafeln und acht mehrfarbigen Vorsatzkarten. Leinen, S 340.—.

Der um die österreichische Geschichtspädagogik und das Werden des Nationalbewußtseins sehr verdiente Oberstudienrat Dr. Ernst Joseph Görlich und der um die Freiheit und das Wiedererstehen seines Vaterlandes nicht minder engagierte Ministerialrat im Unterrichtsministerium Dkfm. et Dipl.-Ing. Doktor Felix Romanik legen der Zweiten Republik zu ihrem Silbernen Jubiläum ein gemeinverständliches, von Liebe zu Österreich und Sachkundigkeit gezeichnetes Geschichtswerk vor, das hoffentlich zu dem Lehrbuch, ja Kompendium aller Österreicher und jedweder politischer Konfession werden wird: trägt es doch die Merkmale eines uneingeschränkten und ungeschmälerten Bekenntnisses zu jener österreichischen Eigenart, die im Verein mit dem Willen des Volkes niemand mehr an der österreichischen Nation Streitfehden entzünden lassen. Die Träume von einer Großraumfunktion Österreichs, unibewältigtes Erbe einer Epoche, da die Monarchie europäische Ordnungsfunktionen zu erfüllen hatte, sind allerspätestens in den Lagerstraßen von Dachau und Mauthausen, in den gemeinsamen Hinterzimmergesprächen und in der Verborgenheit vor den Schergen der Gestapo verblaßt. Österreich, heute als Nation und Mitglied der Vereinten Nationen anerkannt und unumstritten, hatte nach 1945 als Kleinstaat zu seinem Wesen und jener Seele gefunden, ohne die es als der berüchtigte Clemenceau'sche Rest gewogen und zu leicht befunden wäre. Die Autoren schreiten aus dem Ansatzpunkt einer unverwechselbar österreichischen Spiritualität — Fritz Heer sprach einmal von der „dementia Austriaca“ —, die politischen, sozialen und kulturellen Dimensionen und somit den Gesamtumfang der österreichischen Geschichte aus. Klarer und präziser als andere Historiker großen Namens diagnostizieren Professor Görlich und Romanik die Funktion des österreichischen Volkes in der Einheit eines österreichischen Raumes und formulieren ein Selbstverständnis, das man sich andernorts erst mühsam zu einem rotweißroten Mosaik zusammenzureimen gezwungen sieht. Was in allgemein verständlicher Weise nur selten unter den großen Werken österreichischer Geschichtsschreibung anzutreffen ist, haben die beiden Autoren einem breiten Leserkreis erschlossen: eine österreichische Geistes- und Ideengeschichte, die auch in selbstkritischer Bilanzlegung Schwächen und Fehler, dunkle Felder und nationale Neurosen des „homo Austriacus“ darstellt und damit einer nüchternen, nationalem Pathos abholden Jugend eine brauchbare und zeitgemäße Konfrontation mit der Geschichte ihres Vaterlandes präsentiert. Gewiß bieten sich — allzumal zur Zeitgeschichte der Ersten Republik-Alternativvorstellungen der Betrachtung, doch ist es das gute Recht der Autoren, aus ihren Leitbildern und den daraus abgeleiteten Vorstellungen kein Hehl zu machen. Letzten Endes geht es darum, auch ehrlich sich dem Deutschtum verpflichtet wissenden Österreichern den Weg in die Integration einer gemeinsamen österreichischen Idee zu weisen und sie aus den Verkrampfungen hoffnungslos antiquierter Geschichtsvorstellungen zu lösen, ohne sie wertvoller Sympathien zu berauben. Antideutsche Emotionen sind ebenso vom Bösen wie die Leugnung der österreichischen Nation in der Terminologie des Jahres 1970, die sich sehr wohl vom Vokabular der letzten hundert Jahre unterscheidet. Der Rezensent wünscht dieser repräsentativen österreichischen Geschichte weite Verbreitung.

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