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Revision der Sdilagworte

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In hunderten Aufsätzen, die im Weih-nachtsfestkreis die Zeitungen weitum bevölkerten, wurde kaum ein Wort so oft abgewandelt wie da vom Humanismus, der Menschlichkeit, zu der diese Zeit aufrufe. Ist aus dem Humanismus nicht ein Schlagwort geworden? Der Faschismus sprach von einem realistischen Humanismus, die Sozialisten verkünden als Idee der Zukunft einen sozialistisch-proletarischen Humanismus, andere wieder rufen nach einem weltoffenen, klassischen, romantischen, dynamischen, metaphysischen, theonomen, christlichen Humanismus und den daraus sich ergebenden Menschenrechten. Die Liste dieser Humanismen ließe sich beliebig fortsetzen, so daß auf der UNESCO ein Diplomat diese Verwirrung der Geister als einen dramatischen und tragischen Humanismus charakterisierte. An.der Zerrissenheit dieser Situation ist das Positive, daß sie den Sehnsuchtsschrei der Menschheit nach Neuordnung ausdrückt.

Das ganze Übermenschentum, das man den Völkern vormachte, hat sich heute eindeutig als ein Untermenschentum erwiesen. Sähe Nietzsche die Epigonen, an denen 6eine Lehre reifte, so müßte er vor Ekel sterben. Haben sich nicht so viele humanistische Deklamationen als Verwirrungen der Begriffe erwiesen, die auf der einen Seite wohl mittelalterliche Folterkammern anprangern, sich aber auf der anderen Seite keineswegs scheuen, mit in und demselben Federstrich die Charta der Menschenrechte zu unterzeichnen, ebenso wie Millionen Unschuldiger bösen Instinkten zur Vertreibung auszuliefern, während andere keine Hemmungen haben, einem kleinen Kreis von öl- und sonstigen Königen eine unübersehbare Schar von Arbeitsklaven zu gestatten, in ihren Lagerhäusern die Ernte von Jahren für Mäuse aufzuspeichern oder gar ins Meer zu schütten, und ganze Länder auf brutale und arrogante Weise auszusaugen und verhungern zu lassen, Hygiene und Eugenik zu propagieren und gleichzeitig mit einem unerhörten Film- und Magazinschmutz die Volksgesundheit zu verseuchen. Das Angesicht der Erde ist während der zwei letzten Jahrtausende das gleiche geblieben, ist man wahrhaftig versucht zu sagen, nur die Mittel und Methoden sind raffinierter geworden, um einen humanen Anstrich zu wahren, der im Grunde nichts anderes bedeutet als die Legalisierung von Folter und Sklaverei. Wahrlich, ein Leon Bloy oder Dostojewski) waren viel mehr im Recht und haben der Menschheit in ihrer sorgenvollen Liebe tiefer auf den Grund der Seele geblickt, wenn sie die Welt als im argen liegend und aus den Fugen geraten schilderten. „Was ist der Mensch?“ rufen wir heute aus, und es ist uns nicht mehr eine abstrakt akademische Frage, ja nicht einmal mehr ein existentielles Problem, sondern ein erschütternder Schrek-kensruf im Angesicht der Trümmer, die jener abendländische Mensch geschaffen, der sich stets rühmte, aus dem Geist der Antike, der Renaissance, des Humanismus geschöpft zu haben.

Will man von Humanismus und Menschenrecht sprechen, was man besser wegen der Vieldeutigkeit dieser Vokabeln nur mit

Vorsicht tun kann, so ist von vorneherein klar, daß davon überhaupt nur im Sinne einer Wesensfrage an den Menschen aus seiner letzten metaphysisch-religiösen Sicht heraus gesprochen werden kann. Damit soll jene Besinnung gekennzeichnet sein, zu der alle Niedergänge und Katastrophen der Geschichte den Menschen anregen, von der vor allem der Christ nicht ausgenommen sein darf. Nur jener Geist von humanen Menschenrechten ist überhaupt berechtigt, der in die allen Zeiten und Völkern gemeinsamen naturrechtlichen Tiefen vorstößt, in jene Tiefen also, die dos Substantielle, Metaphysische und Religiöse, ohne das der Mensch nicht existieren kann, ausmachen. Hermann Rauschning bat in seiner letzten Veröffentlichung „Die Zeit des Deliriums“ diese Besinnung für die, moderne Zeit gründlich und aufrichtig durchgeführt, wenn er den politischen Frieden, um den es heute anscheinend vor allem geht, nur als ein Teilproblem bezeichnet; das Hauptproblem liege beim allgemeinen Verfall der ethisch-metaphysischen Grundlagen, in der totalen ideologischen Ratlosigkeit und totalen Anarchie der Werte, die allein ein Jalta und Potsdam in der Politik, einen Surrealismus in der Kunst zu erklären vermögen. Nicht eine, wie human auch immer sich gebärdende Interpretation des Lebens, noch weniger die Machtmittel einer überlegeneren Politik oder einer schlagkräftigeren Atomwaffenausrüstung, am wenigsten sogenannte Massenaufklärung und propagandistische Überredung schaffen Ordnung, sondern nur eine Regeneration des einzelnen wie der Gesamtheit aus den tieferen spirituellen Wurzeln der menschlichen Existenz, die im Christentum gegeben sind. Aber das Aussprechen solcher Formulierungen von metaphysischen, religiösen und christlichen Grundlagen, zu denen wir zurückzufinden haben, birgt, so wahr sie sind, heute die Gefahr einer geistig selbstgefälligen Phlegmatik in sich, indem man es dabei beläßt, indes das Ganze allzu abstrakt, akademisch und leblos bleibt, weil man sdion zu oft davon gesprodien und gehört hat; es hat viel von einem Ideologieverdacht an sich. Ernst Jünger, der in seinen Büchern unsere Zeit abgeschritten hat, wagt das Eigentliche, worum es jetzt zu gehen hat, deutlich auszusprechen, wenn er in seinen letzten Tagebüchern schreibt, daß der moderne Mensch wieder beten lernen muß, wenn er in dem ihn umgebenden Wirrsal bestehen will. Konkret heißt das, daß sich zuerst eine Menschwerdung im einzelnen Menschen in seiner persönlichen religiösen Tat und Entsdiei-dung zu vollziehen hat. Wir haben nicht eine abstrakte Ideologie einer Religion oder einen akademischen Gott zu erträumen, sondern nur noch an einen lebendigen Gott in einer gelebten Religion zu glauben. Dazu ruft jetzt das Heilige Jahr, dessen feierlidier Eingang die einzigartige ungeheure Entscheidung vor Augen zu führen bestimmt war, vor die sich vor allem die christliche Menschheit gestellt sieht.

Es gibt ine wirkliche Menschwerdung, aber nur auf Grund und unter Führung jener einen in der Geschichte, damals im Mittelpunkt der Zeiten, wo Gott sein

Schöpfung, die sich durch den Abfall von ihrem Urgrund in den Untergang gestürzt hatte, erneuert hat. Nur in der neuen lebendigen Begegnung mit jener Menschwerdung und ihrem Menschensohn begibt sich wahre Humanität, nur die Bergpredigt verkündet die Grundlagen wahrer Menschenrechte, in denen es nicht um ein bloße Ideologie geht. Der Christ glaubt nicht an ein Christentum, sondern an den lebendigen Christus, der in seiner Kirch fortlebt. Sein Buch, dem noch niemand den Rang in der Weltliteratur streitig machen konnte, ist weder ein Paragraphensystem noch ein Konferenzprotokoll, noch ein Parteiprogramm, sondern das Ordnungsgesetz der Menschheit.

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