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Wort vom Land

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Gestatten Sie, daß zu Ihrem Artikel „Religion im Wahlkampf“ auch ein Landgeistlicher aus Tirol Stellung nimmt und gleich einige Fragen stellt: Wie erklärt es sich, daß bei Wahlkämpfen, die in England und anderswo nicht weniger hart geführt werden als bei uns, von Religion überhaupt nicht gesprochen wird? Einfach deshalb, weil die sozialistischen Parteien dieser Länder sich eben genau an das halten, was im Wiener Programm, das der Artikel zitiert, festgelegt ist. Wer daher als gläubiger Katholik zugleich überzeugter Vertreter der Planwirtschaft ist, tut der sozialistischen Bewegung den größten Dienst, wenn er dafür sorgt, daß man sich auch in Österreich endlich von dieser austromarxistischen Ladenhütermentalität trennt und einen klaren Strich unter diese Vergangenheit zieht. Kein politisch Besonnener will heute ein Einparteiensystem, eine Rückkehr der Kirche zur Tagespolitik oder eine Partei, für welche die Kirche mitverantwortlich wäre. Niemand hat etwas gegen eine sozialistische Partei, wenn sie genauso geführt wird, wie sich dies in den nordischen Ländern als durchaus praktikabel erwiesen hat, auch wenn es dabei harte wirtschaftliche Auseinandersetzungen geben mag wie in England. Und für mehr interessiert sich der größte Teil der Wählerschaft der SP auch in Österreich nicht. Es geht ihnen wirklich nicht um Marx (wer hat ihn denn schon gelesen?!), auch nicht um den Austromarxismus, sondern einzig und allein um den Ertragsanteil im Wirtschaftsleben, den sie in anderen Ländern eben auch haben. Was die Kontaktlosig keit der entlegenen Dörfer zu den großen Ereignissen anlangt, dürfte der Artikelschreiber wohl noch ein Bild aus seiner eigenen Jugendzeit vor seinem geistigen Auge haben. Denn heute ist es doch so, daß man in 'unseren Bergdörfern im Sommer mehr Fremde als Einheimische sieht, daß in jeder Trafik alle großen ausländischen Zeitungen und Bildzeitschriften zu finden sind und verkauft werden, und daß mit dem Fremdenverkehr auch viel Fremdgeist in das Dorf einzieht, so daß man viel eher von einer mentalen Diaspora sprechen kann. Und wehe dem Katecheten, der noch keinen Fernseher besitzt; immer wieder muß er es erleben, daß er nicht ganz ,,up to date“ ist und sich von seinen Schülern belehren lassen muß! Daß die Schüler und Schülerinnen unserer Volksschulen zu 95 Prozent auch in den entlegensten Bauerngemeinden alle neuzeitlichen Jazzschlager kennen und singen, dürfte gerade für einen Schulmann nicht uninteressant sein.

Und Was endlich die Meinungsbildner anlangt, wurden wir am Land einschließlich der Pfarrhöfe von allen Seiten genauso berieselt wie die Wohnparteien in der Wiener Innenstadt. Es tut mir direkt leid, daß ich die letzte Zusendung der SPÖ, die ein technisch fabelhaftes Bild einer zusammenstürzenden Brücke gebracht hat, mit der verzweifelten Bitte, ja die Zusammenarbeit nicht aufzugeben, nicht aufbewahrt habe! Für den gewaltigen Erdrutsch in Wien können weder Vorarlberg noch Tirol noch auch andere westliche Bundesländer verantwortlich gemacht werden. Der tiefere Grund muß wohl in den

Wiener Verhältnissen selbst zu suchen sein.

In den Jahren nach dem Zusammenbruch wurden auch in Tirol die sozialen Fragen stark diskutiert. Der Schreiber erinnert sich noch daran, daß damals im Haus einer führenden CV-Verbindung in Innsbruck unter Stabführung des bekannten kürzlich verstorbenen sozialistischen Planwirtschaftlers Professor Doktor Hans Bayer regelmäßige Ausspracherunden gehalten wurden, zu denen eigens sozialistische Studenten der Universität eingeladen wurden, mit gutem und befruchtendem Erfolg für beide Seiten. Also Dialog zu einer Zeit, wo dieses Wort überhaupt noch nicht in Verwendung stand. Wenn die SPÖ- Strategen diese einfachen Ratschläge befolgen, werden sie verläßlich viele jener Leute zurückgewinnen, die ihnen diesmal davongelaufen sind, und das wünschen wir ihnen im Sinn einer echten demokratischen Toleranz von Herzen!

Name und Anschrift des Autors sind der Redaktion bekannt.

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