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An einer neuen Welt für unsere Kinder bauen

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Am Montag, den 12. November wurde in Wien der unter dem Pseudonym Matthias Mander schreibende Autor des Romans „Der Kasuar“ der Öffentlichkeit vorgestellt. In seinem Werk entwirft er ein breit angelegtes Bild unserer Gesellschaft der Nachkriegszeit. In einer leitenden Position in der österreichischen Industrie tätig, setzt er sich wohl ausführlich mit Fragen der Wirtschaft auseinander, stellt sie aber in den Rahmen der Existenzfragen des Menschen. Mit ihm sprach Christof Gaspari.

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Am Montag, den 12. November wurde in Wien der unter dem Pseudonym Matthias Mander schreibende Autor des Romans „Der Kasuar“ der Öffentlichkeit vorgestellt. In seinem Werk entwirft er ein breit angelegtes Bild unserer Gesellschaft der Nachkriegszeit. In einer leitenden Position in der österreichischen Industrie tätig, setzt er sich wohl ausführlich mit Fragen der Wirtschaft auseinander, stellt sie aber in den Rahmen der Existenzfragen des Menschen. Mit ihm sprach Christof Gaspari.

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FURCHE: Obwohl Sie mitten im Getriebe eines Großunternehmens in einer leitenden Position stehen, haben Sie sich nicht den Seins- und Sinnfragen entzogen. Eines der Probleme, mit denen Sie sich auseinandersetzen, ist das der Selbstverwirklichung des Menschen. Haben Sie nicht den Eindruck, daß der Mensch heute zu krampfhaft nach Selbstverwirklichung sucht und dabei gerade dieses Ziel verfehlt, weil er es zu intensiv anstrebt?

MANDER: Das stimmt völlig mit meiner Erfahrung überein. Ich möchte mich hier auf zwei Instanzen berufen: Die erste ist das Evangelium, das sich immer wieder schlagend beweist: Wer die Welt gewinnen will, wird sie verlieren. Die zweite Instanz ist meine eigene Erfahrung: Ich habe eine wirklich extrem schwere Kindheit, ja eine beinahe tragische Jugend hinter mir. Heute bin ich aber so vermessen zu sagen, daß ich seit etwa 10 Jahren das empfinde, was man als Identität bezeichnet und was als eine Definition von Glück verstanden wird. Erreicht habe ich das aber, indem ich eines Tages ganz bewußt die Entscheidung getroffen habe, ein Leben des Dienens und des Gehorsams zu führen, erstens gegenüber meiner Umwelt und zweitens gegenüber den ständig in mir heranwachsenden Gefühlen für irgendeine Verpflichtung.

Nachdem ich diesen totalen physischen und geistigen Einsatz seit Jahrzehnten praktiziere, habe ich in meinem 46, Lebensjahr einen Zustand erreicht, bei dem ich in gewisser Weise Ruhe und inneren Frieden erlebe trotz all der unerhörten Zerrissenheit, die uns der Alltag heute auferlegt.

FURCHE: Das wäre in gewisser Hinsicht Selbstverwirklichung als Nebenprodukt?

MANDER: Ja, genau. Und dieser Zustand der Erfüllung würde mich befähigen - sicher nicht leichten Herzens -, für die Verwirklichung eines sehr hohen Wertes - etwas pathetisch gesagt - mein Leben hinzugeben…

FURCHE: Ein Großteil Ihrer Anstrengungen dient Planungsaufga-nur auf unsere nächste Umgebung blicken. Aber gemessen am Bedarf und an der Not des Restes der Welt müßte ich für meine Person wohl zu anderen Produktionszweigen raten, keineswegs aber zu einem quantitativen Zurücknehmen unserer wirtschaftlichen Leistung ben in einem Großunternehmen. Werden auch hier Einsatz und Opferbereitschaft gefordert?

MANDER: Die Industrie lebt-und das wird in der zeitgenössischen Diskussion gänzlich übersehen - von den Lebensopfem, zu denen sich Tausende von Menschen mehr oder weniger bewußt entscheiden. Sie unterwerfen sich den Regeln der Technik im weitesten Sinn des Wortes und der industriellen Organisation. Das sind, bitte, Opferleistungen, die hier investiert werden. Sie ermöglichen, daß heute so viele Menschen in den hochentwickelten Ländern ernährt werden können, somit frei von materieller Not sind und damit die Freiheit für höhere Aufgaben errungen haben. Es ist mir Anliegen, diesen Zusammenhang zu zeigen.

FURCHE: Sind diese Opfer aber nicht nur solange sinnvoll, als sie dazu dienen, materielle Not zu beseitigen? Werden sie nicht fragwürdig, sobald sie nur mehr vorwiegend der Aufrechterhaltung des Industriesystems dienen?

MANDER: Die Frage könnte man fast als müßig betrachten, da ja in unserer Welt von einer Beseitigung der materiellen Not nicht die Rede sein kann. Richtig ist die Frage, wenn wir

FURCHE: Das würde aber bedeuten, daß wir die Not der Länder der Dritten Welt als unser eigenes Problem ansehen müßten.

MANDER: Ja, und dafür arbeite ich, daß es zur Entwicklung neuer Systeme kommt, in denen die Produkte der industriellen Arbeit der Aufgabe dienen, die Lebensbedingungen auf der ganzen Erde einander anzunähern. Wie ich mir das praktisch verstelle, das beschreibe ich in einem eigenen Kapitel.

FURCHE: Sicher ist dies eine entscheidende Aufgabe unserer Gesell-schäft. Aber gilt es nicht auch die krank machenden Nebeneffekte unseres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems zu beseitigen?

MANDER: Ich glaube, daß nicht die industrielle Produktionsweise krank macht, sondern die vernachlässigten Randbedingungen unserer gesamten Existenz. Krank werden die Leute nicht von der Arbeit, sondern von der Sinnentleerung und von der etwa für jeden dritten zutreffenden wahnhaften Lebensweise.

FURCHE: Glauben Sie nicht, daß Prinzipien wie weit vorangetriebene Spezialisierung und Massenproduktion die große Gefahr mit sich bringen, daß die menschliche Dimension vernachlässigt wird?

MANDER: Ich möchte das verneinen. Der Mensch erträgt alles, worin er einen Sinn sieht. Wenn aber der Zeitgeist verhindert, daß Menschen in ihrem Leben Sinn finden, dann ist es eine sekundäre Erscheinung, daß sie sich an ihren Arbeitsbedingungen reiben.

An dieser Stelle scheinen Überlegungen über die Funktion der Politik angebracht. Es geht mir nicht um eine Abrechnung mit den Politikern, sondern um das Einbringen zukunftsweisender Aspekte. Ich glaube, daß jene Handvoll Politiker, die in jedem Land an der Spitze stehen, eine Verantwortung tragen, die weit über das in der Verfassung vorgesehene Maß hinausgeht. Sie besitzen ein Identifikationsmonopol für einen Großteil der Bevölkerung…

FURCHE: Sie meinen, daß sie die Rolle von Vorbildern haben …

MANDER: Ja, sie können sich nicht auf ihre verfassungsrechtliche Funktion beschränken. Sie können nicht etwa sagen, wenn jemand religiöse Ambitionen hat, dafür sind die Kirchen da, oder wenn jemand künstlerische Ambitionen hat, hier sei der Musikverein zuständig. Das ist ein sehr verführerischer, pragmatischer Standpunkt. Er ist moralisch nicht haltbar.

Es ist leicht einsehbar, daß Politiker real eine Vorbildfunktion haben. Sie können daher nicht in ihren Kommentaren die Gesetze, die sie beschließen, später relativieren und sagen: „Niemand muß das, was erlaubt ist, auch tatsächlich tun, jeder hat seinen freien Willen“. Guten Glaubens können Politiker dies nicht als Regulativ für ihre schlechten Gesetze in Anspruch nehmen.

FURCHE: Damit müßte aber in einem Volk Konsens darüber herrschen, was gut und was böse ist. Nur aus diesem gemeinsamen Verständnis heraus könnte der Politiker dann seine Aufgabe als Vorbild erfüllen.

MANDER: Die Frage nach gut und böse scheint mir für einen Großteil der Fragen, die unter dieser Rubrik aufscheinen, mit Intelligenz lösbar.

FURCHE: Hier bin ich skeptisch. Seit Jahrhunderten versuchen wir doch unsere Existenz nahezu ausschließlich von der Vernunft her zu gestalten. Heute deutet doch alles darauf hin, daß wir mit diesem einseitigen Ansatz Schiffbruch erleiden.

MANDER: Das akzeptiere ich; der deutsche Existentialphilosoph Peter Wust weist darauf hin, daß eine gewisse personale „Reinheit“ Voraussetzung für höhere Intelligenzleistung ist. Ob Vernunft oder Ethos zuerst zu kommen hat, kann ich nicht entscheiden. Wissentlich wirkt in mir stärker die Intelligenzleistung. Ich versuche stets zu klären, welche Entscheidung jedem empfohlen werden kann und welche langfristig haltbar ist.

FURCHE: Aber stellen wir denn nicht gerade in letzter Zeit immer häufiger fest, daß wir die langfristigen Auswirkungen unserer Entscheidungen überhaupt nicht mehr erkennen können, weil die Zusammenhänge stets vielfältiger werden? Bei der Kernenergiedebatte wurde dies deutlich. Hier erfahren wir doch, daß der Mensch grundsätzlich begrenzt ist.

MANDER: Dazu ein letztes Credo: Ich glaube, daß es überhaupt keinen Ansatz gibt, der das Tragische unserer Existenz aufhebt, auch nicht den christlichen. Aber das, was wir verhindern können, sind die simplen Denkkatastrophen, die auf wissentliche persönliche Schuld und Fehlleistung zurückzuführen sind.

Es ist richtig, daß auch obige Gedanken die Unlösbarkeiten, die bestehen, nicht lösbar machen. Das muß ich einbekennen.

FURCHE: Sie sprechen an einer Stelle des Buches von „Mikroperfektion im Makrochaos“. Was verstehen Sie darunter?

MANDER: Lassen Sie mich als Antwort eine Stelle aus den „Briefen“ zitieren, in der der Held des Romans seinen Kindern folgendes schreibt: „Die Epoche kann uns nicht relativieren. Indem wir das täglich bewältigen, haben wir Anteil am unbekannten Letztziel. Kurzum, ob unser Leben, euer Leben, einen Sinn hat, möchte ich hiermit schlicht bejahen.“

Das Gegenteil wäre für mich unerträglich und auch intellektuell nicht haltbar. Es kann nur so sein.

Auch nicht der restlos alleingestellte Einzelne muß Opfer seiner Umwelt sein. Es gibt leuchtende Beispiele dafür, Menschen, die nicht korrumpiert worden sind, trotz schrecklichster Umgebung.

FURCHE: Maximilian Kolbe ist ein solches leuchtendes Beispiel. Aber ist dieser Weg nicht nur für den Erwachsenen, der bereits mit beiden Beinen in der Welt steht, offen? Wie sieht das Problem für die Kinder aus? Ist nicht die Kinderfeindlichkeit, die Sie ja auch in ihrem Roman anprangern, eines der wesentlichen Probleme unserer Zeit?

MANDER: Die Wiedereinführung des Themas „Kind“ in die geistige Auseinandersetzung ist - wenn ich mich so anfechtbar ausdrücken will- eines der Anliegen meines Buches. Hier ist eine Korrektur der öffentlichen Meinung dringend geboten.

FURCHE: Wo sehen Sie die Schwerpunkte für erfolgreiche Ansätze zur Bewältigung dieses Problems?

MANDER: Es ist das Aufmerksammachen auf die geradezu sündhafte Verdrängung eines Themas, das von so naheliegender menschlicher Bedeutung ist. Statistiken weisen Österreich als negativen Spitzenreiter bei der Geburtenrate aus. Welcher Mechanismus in einer Bevölkerung zerstört worden sein muß, daß es soweit kommen konnte, daß der Grundquell des Lebens nicht Gegenstand ihrer vollen Aufmerksamkeit ist, kann ich nür erahnen aber nicht beschreiben. Es wäre meiner Ansicht nach einer lang anhaltenden Großaktion der besten Kräfte Österreichswert, hier das Steuer herumzureißen.

Die Ehetragödien, bei denen Österreich auch eine Spitzenposition einnimmt, gehören zu diesem Problem. Sie gehen zum Großteil auf die Identitätskrise der Frau zurück.

FURCHE: Kommt hier nicht deutlich die Überbetonung des nur funktionalen Zugangs zum Ausdruck? Wird hier nicht erkennbar, daß wir immer weniger imstande sind, uns anderen Menschen zuzuwenden?

MANDER: Unser Gesprächsthema beginnt sich zu schließen. Wir kehren wieder zu unserem Anfangsthema, der Verführung zur perversen Art der Selbstverwirklichung zurück. Die legitime Selbstverwirklichung ist nur im Dienst am anderen und in der Selbsthingabe erzielbar: Das Opfer, das sicher damit verbunden ist, sich mit voller Hingabe einem Kind zu widmen, wird durch unaussprechliche Glückserlebnisse, die auch mit den Bildern eines Dichters nicht eingefangen werden können, die man aber erleben kann, wenn man sich in dieses Meer an Aufgaben und Pflichterfüllung stürzt, belohnt. Aus dieser Sicht sind alle die Zehntausende, die sich dieser Aufgabe nicht mehr zuwenden, von Herzen zu beklagen.

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