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Dem Cello eine Chance!

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Täglich um vier Uhr früh, so berichtete jüngst die Londoner „Times", rückt in Sarajewo der Cellist Vedran Smalovic mit seinem Instrument und einem Sessel aus, um in menschenleeren Straßen zu spielen: für die Opfer des grauenvollsten Verbrechens in Europa seit Weltkriegsende und zum Wachhalten der Hoffnung.

Wie groß darf die Hoffnung sein, die sich auf die internationale Jugoslawien-Konferenz konzentriert? Mittwoch dieser Woche wird sie in London unter der Patronanz der UNO und der EG beginnen. Auch Österreichs Außenminister wird dabei sein. Die Vorschußerwartungen sind gerjng, es fehlt nicht an Zynismus. Wer nicht von vornherein verzweifeln möchte, muß sich erinnern, was nach dem Ersten Weltkrieg falsch gemacht worden ist.

Damals schufen die Siegermächte vier Konglomerate, um vermeintlich Deutschland ebenso wie Rußland von politischer und militärischer Expansion abzuhalten: Polen, Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien. Weder wurde damit das geschilderte Ziel noch die innere Befriedung gewaltsam gemischter Völker erreicht. Slowaken und Kroaten paktierten alsbald mit Hitler, um zu eigenen Staaten zu kommen, ungarische Minderheiten in der Slowakei und in Rumänien entwickelten sich zu neuen Problemherden. Jetzt brennt Südslawien.

Die politische Antwort von morgen kann nicht eine Legitimierung des Faustrechts sein, das serbische Machtpolitiker derzeit praktizieren und damit auch kroatische und moslemische Verantwortungsträger zu barbarischen Exzessen verführen. Zweieinhalb Millionen Vertriebene, 130.000 bosnische Nichtserben in Anhaltelagern, 850.000 belagerte Stadtbewohner, 75.000 von Hungersnot bedrohte Zivilisten müßten gewisse Grundsätze unumstritten machen, von denen die Londoner Konferenz auszugehen hätte. Beispiele:

1. Serbien muß klargemacht werden, daß eine politische Zukunftslösung nicht von den Grenzen ausgehen wird, die jezt mit Militärgewalt markiert werden. 2. „Reine" Nationalstaaten können in einer Region mit derart verschachtelter Gemengelage der Völker keine Lösung sein, die „ethnische Säuberung" weiter Gebiete ist ein krimineller Verstoß gegen Menschenrechte. 3. Innerhalb künftiger Grenzen müssen Staatengebilde gefestigt werden, die ethnischen Minderheiten Sonderrechte und allen Bürgern alle Menschenrechte zugestehen. 4. Die Moslems dürfen dabei unter keinen Umständen unter die Räder kommen: erstens aus Menschenrechtsgründen und zweitens, weil wir nichts weniger als die Intervention islamischer Staaten in Europa brauchen. 5. Die künftige politische Ordnung auf dem Balkan muß international ausgehandelt werden: glaubwürdige Makler sind gesucht!

Die Stimme des Cellos in den Straßen von Sarajewo ist dünn. Aber sie muß eine Chance gegen das Tosen der Granaten erhalten.

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