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Toleranz als Bekenntnis

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Die ökumenische Bewegung innerhalb der christlichen Kirchen, aber auch die Begegnung mit den anderen Weltreligionen wirft heute immer wieder von neuem die Frage nach der Toleranz auf. Gewöhnlich verlangt man vom Gegner, er möge toleranter sein, um den eigenen Standpunkt zu konsolidieren. Wird die so verstandene Toleranz nicht geübt, dann pflegen sich die Fronten der Meinungen zu versteifen, wenn nicht der, welcher der Wahrheit ohnehin nähersteht, nachgibt. Aber das ist eine schlecht verstandene Toleranz.

Um das Wesen der Toleranz besser zu verstehen, ist es zukömmlich, zuerst zu fragen, was Toleranz nicht sei. Dabei ist vor allem der weitverbreiteten Meinung entgegenzutreten, Toleranz sei identisch mit der Bereitschaft, in Diskussionen oder beim Fällen von Werturteilen aus Freundlichkeit, Humanität oder um des Friedens willen Zugeständnisse zu machen, die sich mit der eigenen geistigen Situation eigentlich nicht vereinbaren ließen. Auch wenn die Zugeständnisse aus der tieferen Überzeugung heraus gemacht werden, es sei in jedem Fall besser oder doch zumindest wertvoller, nachzugeben, als auf seiner Meinung zu beharren. Das ist eine Art von Toleranz, die dem Menschen zu leichtfällt.

Erbitterte Feindschaft ist auch jenem relativierenden Toleranzbegriff anzusagen, dessen Vertreter sich gegenüber allen Formen der Weltanschauung und des religiösen Glaubens einer besonders großzügigen Nachsicht rühmen. Solche Toleranz für eine höhere Stufe der Menschlichkeit zu halten im Vergleich zu früheren Zeiten, in denen um weltanschaulicher und religiöser Gegensätzlichkeiten willen die Menschen sehr hart aneinandergeraten konnten, wäre ein falscher Schluß. Es ist schon ein Fortschritt zweifelhafter Natur, daß die Menschen kein inneres Drängen mehr verspüren, sich um solche Gegensätzlichkeiten zu kümmern und sich um ihretwillen zu ereifern. Die Toleranzidee, welche hinter dieser Haltung steht, ist vom schlimmsten Feind aller Werte, von der Gleichgültigkeit, angefressen und besagt, daß die Unterschiede der religiösen Bekenntnisse und der Weltanschauungen nichts Wesentliches bedeuten. Hinter dieser Toleranz stehen Gleichgültigkeit, Überheblichkeit, Unsicherheit, Zweckgebundenheit. Sie zerstören die echte Toleranz im Dienste lauterer Suche nach der Wahrheit.

Toleranz richtet sich nicht nach außen, das heißt, sie ist nicht vom anderen zu fordern oder von der Außenwelt, sondern sie richtet sich an uns selbst.

Toleranz heißt im etymologischen Sinne entweder das Ertragen oder das Erdulden von Dingen, Zuständen und Personen, die in den Bereich unserer Persönlichkeit störend eingreifen, wenn das Eingreifen auch nicht objektiv böse, sondern nur andersartig ist. Aber das Wort hat auch noch eine andere Bedeutung, es heißt nämlich: „erhalten, unterstützen, erträglich machen“ . Über das Dulden hinaus greift dann eine Persönlichkeit aktiv und verantwortungsbewußt zugunsten einer anderen ein, so daß die Partner als auf gleicher Ebene stehend und einander gegenseitig helfend erscheinen. So kann der Toleranzbegriff von einer bloßen Zubilligung der Existenzmöglichkeit bis zur Anerkennung der vollen Existenz und Gleichberechtigung ausgebaut werden. Toleranz könnte hiermit definiert werden als „jene gesinnungsmäßige Einstellung des Menschen, welche in jedem ehrlichen Bemühen um die Wahrheit etwas Wertvolles sieht und ihm deshalb volle Anerkennung und Gleichberechtigung einräumt, die selbst dann, wenn ein sich Herantasten an die Wahrheit auf (vielleicht) irrigen Pfaden wandelt.

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