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Hilfe ohne Hintergedanken

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Völlige Absichtslosigkeit — damit aber auch eine völlige Absage an jedes Erfolgsdenken, das sich mitunter des apostolischen Laien bemächtigt und ihn den schnellen, sicheren, sichtbaren und meßbaren Erfolg suchen läßt — gehört also wesentlich zur „grundapostolischen“ Mitmenschlichkeit. Sie sucht im Alltag, im banal-menschlichen Bereich die Begegnung mit dem andern, nicht aus bloßer „Kontaktfreude“, nicht aus Geltungsdrang, sondern im Wissen, daß der andere ein Gott-Geliebter ist, aber nicht mehr daran glaubt; und sie will nichts, als durch die eigene Offenheit und Hingabe den andern zunächst menschlich aufzuschließen und ihm damit vielleicht auch das „religiöse Organ“ zu regenerieren, das ihn erst wieder glaubensfähig macht.

„Apostel mit Hintergedanken …"

Aggressiv wendet sich Heinrich Böll in seinen „Ansichten eines Clowns“ gegen die „Apostel mit Hintergedanken“. Er läßt seinen ungläubigen Helden, dessen Lebensgefährtin gelegentlich den Wunsch hat, „katholische Luft zu atmen“, in einen „Kreis fortschrittlicher Katholiken“ kommen. „Denn“, so sagt der Clown, „es lag ihr daran, mir intelligente Katholiken vorzuführen, und natürlich hatte sie den Hintergedanken, ich könnte eines Ta ges konvertieren — diesen Hintergedanken haben alle Katholiken. Schon die ersten Augenblicke in diesem Kreis waren fürchterlich…“ Und: „Dann fingen sie mit ihrer Augensprache an“ — mit der sie sich gegenseitig ihre Meinung über den Gegenstand ihres Missionseifers sagten, während ihre Münder zwanglos plauderten. Bölls „fortschrittliche Katholiken“ sind Karikaturen jenes Typs, der sich betont weltgewandt, aufgeschlossen und menschlich gibt, der sich eher „eine Verletzung der Moral als des Geschmacks“ nachsagen läßt. Menschen ohne Liebe, aufdringliche Agenten in Heilssachen. Und so kommt er zu dem Schluß, daß „die Kinder dieser Welt nicht nur klüger, sondern auch menschlicher und großzügiger sind als die Kinder des Lichts“.

Was meint eigentlich die heute so viel im Munde geführte „Mündigkeit des Laien?“ Nicht, daß dem Priester Rechte und Verantwortungen weggenommen und dem Laien übertragen würden. Auch nicht, daß er nun beim Gottesdienst durch eifriges Respondie- ren und Singen eine „partnerschaftliche Funktion" im Kirchenraum ausübt, und nicht, daß er nun in der Kirche „mehr zu reden“ hätte. Mündigkeit des Laien meint doch vor allem, daß dieser seinen Platz in der Welt als Mitte seines Lebens einnimmt und seine ur eigene Verantwortung für diesen Platz und seine Möglichkeiten erkennt, hier und jetzt in seinem konkreten profanen Bereich als Glied der Kirche, als getaufter und gefirmter Christ und als „Mittler“ zu Gott für seine Brüder zu lebeii.- Daß Hf dieter-Aiifgäbe" rricht' ins Organisationsengagement ausweicht. Der bösartige Vorwurf, je mehr einer sich im kirchlichen Apparat engagiere, desto fragwürdiger stehe es um seine „Mündigkeit“ als Laie, trifft gelegentlich nicht weit daneben.

Durch eine etwas einseitige Betonung des organisierten Laienapostolats könnte in Vergessenheit geraten, daß es ebenso heilsmächtig sein kann, einen unwillkommenen Gast freundlich aufzunehmen wie Kirchenblätter zu verkaufen, in Geduld die Alltagssorgen einer Nachbarin anzuhören wie eine Frauenrunde zu organisieren, Bücher herzuleihen wie Caritas-Beiträge einzukassieren. Empfängt doch das eine wie das andere seinen „apostolischen Wert“ aus der Gesinnung dessen, der hier handelt.

Die Welt wurde nicht allein durch das dreijährige öffentliche Lehren und Leiden des Herrn, sondern ebenso durch die 30 verborgenen Jahre seines Lebens erlöst, in denen er, wie jeder andere Nazarener, als Handwerker lebte — diese Erkenntnis führte Charles de Foucauld in die Wüste und in ein Leben des Verzichts auf jede direkte Missionierung. Wie der Herr wollte er allein die Brüderlichkeit darleben, die auf jede Proselytenmacherei verzichtet, im Vertrauen darauf, daß die Liebe allein die Welt verwandeln kann.

Etwas von diesem Vertrauen — nämlich Vertrauen darauf, daß Wesentliches mit dem Menschen geschieht, auch wenn sich äußerlich nichts begibt, wenn er nur wirklich und frei von jedem Hintergedanken geliebt wird — gehört zur „Mitmenschlichkeit“ dazu, wenn sie apostolisch sein will.

„Mit Konflikten leben“

Vom Dortmunder Evangelischen Kirchentag berichtete ein Teilnehmer, ein evangelischer Soziologe, im Anschluß an eine Diskussion zum Tagungsthema „Mit Konflikten leben": „Unsere Zeit hat ein elementares Bedürfnis an Menschen, die zuhören können. Dies ist eine Forderung sowohl aus der Wirklichkeit der modernen Welt als auch aus der Nachfolge Jesu. Jesu Reden kam aus dem Hören, Er wußte, was im Menschen war, und damit wußte Er, was ihm nottat. Hören ist nichts Passives, es bedeutet mitdenken, zu verstehen suchen. Es bedeutet, dem andern Raum geben und den eigenen Raum beschränken. Es geht dabei gar nicht nur um ein persönliches Wohltun, sondern um den Bestand unserer Gesellschaft, die tief von Konflikten durchzogen ist. Die Konflikte unserer modernen Gesellschaft lassen sich aber zum Teil nicht grundsätzlich aus der Welt schaffen. Sie müssen verarbeitet werden, und das setzt voraus, daß wir zuhören können. Auf die Sache des anderen hören, der ein Recht hat, mit seiner Sache gegen mich zu stehen. Wenn wir hören lernten, so könnten wir mit den Konflikten so umgehen, daß sie nicht giftig werden. Zuhören können bedeutet, dem Gegner das Recht zu geben, Gegner zu sein. Jesus umfaßte alle Gegnerschaft bis hinein zur Feindschaft mit dem Wissen um noch tiefere Verbundenheit: Liebet eure Feinde!“

Es könnte kaum Besseres über diese Grundhaltungen absichtsloser Brüderlichkeit gesagt werden: das Hinhören und Ernstnehmen des anderen und seiner anderen Meinungen, das Geltenlassen der Gegnerschaft und die Offenheit, in der allein Begegnung möglich ist.

Grundlage: das Gespräch

Damit sind auch schon praktische Möglichkeiten des „Grundapostolats“ angedeutet: das Gespräch, das Zuhören, die Begegnung. Die offene Familie kann der Boden sein, auf dem diese Begegnungen stattfinden. Es geht dabei nicht um die Wiederbelebung .überholter Formen der Geselligkeit oder Gastlichkeit. Vieles ist hier wegen der Be-? rufstätigkeit der Frau, räumlicher Enge, des Zeitdrucks und materieller Beschränktheit nicht mehr möglich. „Ich kann nicht so oft Gäste haben — es kommt zu teuer“, ist ein unnötiger Einwand. Nicht der Aufwand zählt, entscheidend ist — und so wird es auch empfunden — die aufrichtige Freude am Zusammensein, die Bereitschaft, dem andern seine Zeit und seine Aufmerksamkeit zu schenken, offen, Vorurteils- und absichtslos. Selbstverständlich gilt dies nicht nur für die Familie, sondern auch für die Alleinstehenden, die hier ihre „menschliche Auslastung“ finden können. Freier und verfügbarer, kann gerade die berufstätige unverheiratete Frau ihr Heim für ihren menschlichen Umkreis als Ort der Begegnung öffnen. „Das Heim soll ein Raum werden, in dem man sich heiligt, und auch gegenseitig heiligt; ein Raurą, den der Christ zur erweiterten Kirche macht“ (Klostermann).

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