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Eine Physiognomie der europäischen Nationen

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„Im Laufe der letzten Jahre haben die europäischen Nationen und besonders Frankreich — nachdem sie unter schwierigsten Bedingungen die Ruinen des Krieges beseitigt hatten — eine Autorität und eine Kapazität wiedergefunden, die sie vor 25 Jahren keineswegs hatten. Wie könnte man unter diesen Bedingungen die Tatsache auch nur ins Auge fassen oder gar akzeptieren, daß Entscheidungen, die einen momentanen Einfluß auf das Schicksal der europäischen Nationen und besonders auf unser Schicksal haben, in einer Art und Weise getroffen würden, bei der wir nicht nur nicht konsultiert werden, sondern bei der wir auch keine Aktivität entfalten könnten?

Das ist die Hauptfrage. Und es war und ist Gegenstand unserer Bemühungen, mit denen wir die französischen Konzeptionen im Hinblick auf unsere Kraft verteidigen, an den Diskussionen und Konsultationen teilzunehmen, die im gegebenen Fall das Vorspiel zum Schicksal Europas und zu ! unserem Schicksal sind.

Was die anderen europäischen Nationen betrifft, so glaube ich ihnen sagen zu können, daß, wenn es ein Land gibt, eine Regierung, einen Mann, die hier und überall Konsultationen gewünscht haben, es Frankreich, die französische Regierung, General de Gaulle sind, indem sie vor einigen Jahren unseren Partnern des Gemeinsamen Marktes angeboten haben, sich zu einer gemeinsamen Politik zusammenzufinden.

Es gibt — das ist wahr, aber das ist am Anfang ganz natürlich — ein Problem: Welche Konzeption dieser europäischen Politik hat man? Handelt es sich einfach darum, zu bestätigen, was im Osten oder Westen beschlossen wird? Oder hat man im Gegenteil den Willen, dahingehend zu wirken, daß diese politische Konzertierung von der Sorge getragen ist, dem Ganzen der europäischen Nationen eine Physiognomie zu geben und von daher eine unabhängige Handlungsfreiheit gegenüber der Physiognomie und den Maßnahmen der Großmächte in Ost oder West? Niemals in der Geschichte hat es zwischen den europäischen Nationen, vor allem im Westen, einen so großen Austausch von Waren, von Menschen, von Ideen gegeben. Seit zehn Jahren hat sich der Außenhandel dieser Nationen innerhalb des Gemeinsamen Marktes, und in kleinerem Maße auch außerhalb, in außerordentlichen Dimensionen entwickelt. Niemals haben die Menschen der verschiedenen Nationen so häufig Reisen gemacht und ihre Ferien in den Nachbarländern verbracht. Die Ideen sind gemeinsam, selbst die Protestadeen bei den Studenten; Und es gibt im Herzen der Europäer etwas, das vor 30 Jahren nicht existierte: das Gefühl, daß ein Krieg zwischen den europäischen Nationen ein Bruderkrieg wäre und unmöglich ist. Daraus ergibt sich, daß die.europäische Situation sich vollständig gewandelt hat.“

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