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Kekkonens Alleingang

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Mit einer aufsehenerregenden Ansprache an das Volk Finnlands hat der Präsident der Republik, Doktor Urho Kekkonen, noch ‘im Dezember in die festgefahrenen Lohnverhandlungen zwischen den zentralen Organisationen auf dem Arbeitsmiairfkt eingegriffen. Es war nicht nur ein ungewöhnlicher Auftritt to aller Öffentlichkeit, es war auch ein Schritt, der durch keinen Artikel der Verfassung gedeckt war und deshalb leicht als ein Mißbrauch der Präsidentengewalt gedeutet wenden konnte. Die Verfassung Finnlands gibt dem Präsidenten etoe bedeutungsvolle Stellung, und besonders in ausgesprochenen Krisenzeiten ist der Einfluß des Staatspräsidenten sehr groß — sofern es um die Stellung Finnlands gegenüber der Umwelt geht! Doch in aifoeitsmarkt- poiitische und lohnpolitische Fragen hat bisher kein finnlischer Präsident eingegriffen. Wenn Urho Kekkonen — seiner ta dieser Frage schwachen StdMung voll bewußt — dies trotz dem getan hat, dann geschah dies aus einer tiefen Sorge heraus über die wirtschaftliche Entwicklung, und es geschah um den Preis seiner eigenen Autorität, die man nicht ungestraft einmal nach dem andernmal in die Waagschale werfen darf. Doch auch das wußte Urho Kekkonen als er seinen bis ins Detail ausgearbeit.eten Vorschlag für einen Arbeitsfrieden in Finnland vorlegte.

Finnland stand nach dem Scheitern der LOhnverhandlungen vor der Gefahr, to einen zermürbenden Lohn- kampf htoeingeworfen zu werden, der das Land in seiner Entwicklung um Jahre hätte zurückwerfen müssen. Kekkonen wollte den Kampf vermeiden und zugleich den am schlechtesten Gestellten helfen: Er schlug eine Erhöhung der Stundenlöhne um 42 Penni vor, die in zwei Schritten erfolgen soll; im Schnitt bedeutet das eine Lohnerhöhung um 30 Pennt für die nächste Vertragsperiode. Der Mindestlohn soll auf 3 Finnmark pro Stunde festgesetzt werden und der monatliche Mindestlohn auf 516 Finnmark. Es gibt in Finnland 135.000 Arbeitnehmer, die heute weniger als 3 Finnimaihk pro Stunde verdienen und eine ‘halbe Million verdienen weniger als vier Finnmark. Auch ein Einkommen von 4 Finnmark pro Stunde ist jedoch heute in Finnland ein sehr bescheidenes Einkommen, das wahrhaftig keine Luxuskonsumation erlaubt. Dazu kommt noch, daß diese Erhöhung der Stundenlöhne mit einer Erhöhung des Margiartoepreises und der Preise von anderen Lebensmitteln gekoppelt ist, so daß kaum viele Mark für einen Mehrverbrauch übrigbleiben werden. In dem Vorschlag ist auch eine rötroaktive Erhöhung der Gewinnsteuern für die Zellstoffindustrie um 2,5 Prozent enthalten, die dem Staat zusätzliche 135 Millionen Finnmark für Wohnbauten und soziale Zwecke geben soll.

Gegen die KP

Die Kommunisten haben sich mit großer Einmütigkeit gegen den Vorschlag des Präsidenten ausgesprochen; auch der kleine Sozialistische Verband (Simoniten) wandte sich gegen den Präsidenten. Dagegen haben alle sozialdemokratischen Gewerkschaften und der Verband der Arbeitgeber den Vorschlag angenommen. Der stark unter kommunistischem Einfluß stehende Zentnalver- banid der Gewerkschaften FFC konnte den Vorschlag nicht ableihnen, möchte jedoch noch gern einige Verbesserungen erreichen. Der Bauernverband stimmte dem Vorschlag mit 33 gegen 16 Stimmen zu, bringt er den Landwirten doch eine klare seit langem verlangte Verbesserung ihrer Situation. Auch wenn der Vorschlag schließlich angenommen und in Kraft treten wird, muß mit einigen Streikaktionen radikaler Verbände gerechnet werden.

Dabei darf nicht verkannt werden, daß auch die Kommunisten, die sich nun so geschlossen gegen Kekkonen wenden, sich to einer schweren Lage befinden. Die Wiedervereinigung der lange Zeit zerstrittenen Gewerkschaftsbewegung, die mehr als 600.000 Mitglieder zählt, ließ nach der ebenfalls eingetretenen Verbes serung der Wirtschaftslage Finnlands, große Erfolge bei den Lohn- verhandlungen erwarten. Diese großen Erwartungen haben sich nicht erfüllt, obwohl ‘die Leitung des FFC auch zugeben muß, daß man nun das beste Lohnangebot seit vielen Jahren erhalten hat. Die Regie- runigsbeteiligung der Kommunisten erweckte bei ihren Anhängern weitere Hoffnungen, und auch diese erfüllten sich nur zum geringen Teil. Die KP kämpft also gegen eine wachsende Enttäuschung in den Kreisen ihrer Wählerschaft.

Kekkonen wiederum sah, daß die Zahlungsbilanz Finnlands in den ersten neun Monaten 1970 bereits einen Betrag von 443 Millionen Finnmark erreicht hatte, gegenüber einem Überschuß von 99 Millionen Finnmark in der (gleichen Zeit des Vorjahres. Die Exporte konnten in diesem Teil des Jahres um 18,9 Prozent erhöht werden, die Einfuhren aber zogen um 29,2 Prozent an. Es war eine Entwicklung. die gestoppt werden mußte. Der Preis dafür war das Vertrauen, das der Präsident bisher bei den Kommunisten genossen hat, und das ist — bei der Lage Finnlands — sicher ein hoher Preis!

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