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Kreisky? Wer sonst!

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„Da es nach der Verfassung dem Bundeskanzler obliegt, dem Bundespräsidenten die Mitglieder der Bundesregierung vorzuschlagen, glaube ich, daß es eine moralische Verpflichtung jedes Regierungsmitglieds ist, so lange mit voller Verantwortung in der Regierung zu verbleiben, als ich dies für wünschenswert erachte.” Mit dieser Rechtsansicht schloß der Bundeskanzler seinen Bericht an die Sondersitzung des Nationalrates.

Diese Rechtsansicht ist obskur, weil es bislang noch niemandem eingefallen ist, jemals das Recht eines Regierungsmitgliedes in Frage zu stellen, auch gegen den Willen des Regierungschefs zurückzutreten. Das ergibt sich aus der Ministerverantwortlichkeit. Wenn ein Ressortchef glaubt, aus Gewissensgründen diese Verantwortung nicht mehr länger tragen zu können, so kann ihm dies nicht weiterhin zugemutet werden. Es sind in der Regel nicht die Schlechtesten, die eine solche Konsequenz gezogen haben. Josef Klaus als Finanzminister und Theodor Piffl-Perčevič sind Beispiele der Nachkriegszeit.

Der Bundeskanzler hat aus der Zitierung des Artikels 70 der Bundesverfassung den falschen Schluß gezogen: da er dem Bundespräsidenten die Mitglieder der Bundesregierung zur Ernennung vorschlägt - so ergibt sich schlüssig! - trägt er allein die volle Verantwortung für ihre Auswahl! Das hat denn auch die Parlamentsdebatte klar ergeben. Es standen zwei Ebenen der politischen Verantwortlichkeit zur Diskussion: jene des Ministers für sein Ressort und jene des Regierungschefs für die Auswahl der Mitglieder seines Teams.

Kenner der Szenerie haben seit der Ernennung Lütgendorfs zum Verteidigungsminister befürchtet, daß dies nicht gut ausgehen werde. Sie haben sehr bald recht behalten. Der Bundeskanzler hat dennoch durch sechs Jahre hindurch - entgegen allen politischen Gravitätsgesetzen - geglaubt, den vom selbst mitverschuldeten Mißgeschick Verfolgten unbedingt halten zu sollen. Was zunächst als geniale Kunst des politischen Spieles die Bewunderer dieses Regierungsstils beeindruckte, erwies sich bald als Ersatz für eine verantwortungsbewußte Landesverteidigungspolitik zugunsten einer vordergründigen Regierungstaktik. Nun ist das Kartenhaus dieses Hasardspiels über dem Kopf des Regierungschefs zusammengestürzt.

Daß ein Regierungschef nicht gerne auf Druck von Opposition und öffentlicher Meinung ein Regierungsmitglied entläßt, ist verständlich. Wer aber hat ihn denn in diese offenbar ausweglose Situation hineinmanövriert? Doch wohl niemand anderer als er selbst! Was an sich verständlich ist, wird damit aber nicht entschuldbar, wenn damit ein wichtiges und sensibles Ressort weitere zwei volle Monate faktisch ohne Führung bleibt, ja schlimmer noch: fehlbesetzt bleibt.

Aber an obskuren Standpunkten fehlt es im Zusammenhang dieser Affäre wirklich nicht. Da wird ein Minister öffentlich als Lügner bezeichnet, ohne daß ein Aufschrei der Empörung durch die Regierungsbank und die Reihen der SPÖ-Fraktion geht. Laut AZ soll Kreisky in der Regierungsklausur gesagt haben, daß die ganze Affäre für die SPÖ keine politische Belastung sei: „Die genannten Personen erfreuen sich nicht unserer Sympathie.”

Ein Mißgriff des Parteivorsitzenden bei der Auswahl seiner Regierungsmannschaft belastet natürlich auch die Regierungspartei, deren oberstes Gremium seinerzeit die Ministerliste Fortsetzung genehmigt hat. Daß sich die Parteipresse neben die unabhängige Presse gegen den Minister gestellt hat, ändert daran nichts, es läßt nur die in der Regierungspartei weit verbreitete Mißstimmung erkennen. Das krampfhafte Bemühen des Bundeskanzlers, den Eindruck zu erwecken, das Heft doch noch fest in der Hand zu haben, hat manchem aufrechten Sozialisten Unzumutbares abgefordert.

Wie peinlich, wenn der Bundeskanzler noch dazu andeutete, der beschuldigte Minister müsse im Amt bleiben, da er sonst ins Ausland gehen könnte! „Soll das heißen”, fragte prompt öVP-Chef Taus, „ein Minister muß auf der Regierungsbank bleiben, da er sonst vor der Verantwortung flüchten könnte?”

Die Affäre Lütgendorf ist die Affäre eines apolitischen Menschen, eines offenbar von Anfang an überforderten, eine persönliche Tragödie. Die wirklich politische Affäre ist die seinerzeitige Nominierung und die anhaltende Pression auf weiteres Verbleiben im Amt - und das ist eine Affäre Kreisky. Die Abgeordneten der ÖVP waren daher nur konsequent, wenn sie das Mißtrauen nicht nur dem Verteidigungsminister, sondern auch dem Bundeskanzler ausgesprochen haben. Sie können sich dabei der Sympathie wachsender Bevölkerungskreise sicher sein.

Die Ereignisse um den Verteidigungsminister sind nur das Symptom eines raschen Abbaues des potemkin- schen Dorfes, das ein Regierungsstil der Finten und der Gags vor den eigentlichen Problemen aufgebaut hat. Auf vielen Gebieten schon rächt sich das politische Häsardieren, auch auf solchen, die den Verantwortlichen größtes Verantwortungsbewußtsein abfordern.

Eine gigantische Budgetkrise als Folge einer jahrelangen falschen Finanzpolitik, eine schockierende Zahlungsbilanz als Folge der Fehlkonzeptionen der Wirtschafts- und Währungspolitik - das alles sind längst keine Probleme der zuständigen Ressorts mehr, zu “oft war es die gesamte Bundesregierung, die Fehlentscheidungen getroffen hat. Das fallt alles unter die Verantwortung des Regierungschefs.

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