Bares und Wahres oder: Ende der Scheindebatten!

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Statt mit existenziellen Problemen – und ihrem Arbeitsprogramm – befasst sich die Regierung lieber mit Symbolpolitik und „strategisch notwendigem Unsinn“. Eine fatale Unsitte.

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Statt mit existenziellen Problemen – und ihrem Arbeitsprogramm – befasst sich die Regierung lieber mit Symbolpolitik und „strategisch notwendigem Unsinn“. Eine fatale Unsitte.

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Sie werde zunehmend „ratlos und wütend“ angesichts der aktuellen Regierungspolitik, erklärte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger vergangenen Montagabend im ersten ORF-Sommergespräch. Wobei: Eigentlich hatte sie das schon am Freitag davor zu Protokoll gegeben – in einem fensterlosen Kammerl des ansonsten prächtig renovierten Parlaments. Dazwischen lag freilich kein normales Wochenende – was auch immer „normal“ neuerdings bedeuten mag –, sondern eine verheerende Flutkatastrophe: zahllose Existenzen wurden zerstört, Häuser weggeschwemmt, ganze Berge in Bewegung gesetzt. Einst, als Sommergespräche noch live und ansatzweise sommerlich waren, wäre derlei wohl umfassend zur Sprache gekommen. Nun versank das Desaster zwischen Aufzeichnung und Ausstrahlung – wie so mancher Keller im Süden der Steiermark und Kärntens.

Das kann man mit gutem Willen noch als Pech bezeichnen. Dass in einem einstündigen Gespräch anno 2023 das Megathema Klima nicht einmal zur Sprache kam, war hingegen journalistisch nur noch jenseits. Wobei der Lapsus just das zu untermauern schien, was die wortgewaltige Neos-Chefin zuvor mit Recht angeprangert hatte: nämlich das beherzte Verschieben existenzieller Probleme auf den St. Nimmerleinstag – zugunsten umso lustvoller geführter „Scheindebatten“.

Diskursive Nebelgranaten

Bestes Beispiel dafür ist die jüngste Kontroverse um die „Rettung“ des Bargelds in der hiesigen Verfassung. Seit Jahr und Tag hält die FPÖ dieses Emotionalisierungsthema am Köcheln. Nun griff es auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) auf – in einem offenbaren Akt der Verzweiflung angesichts blauer Umfragen. Ein „Bargeldgipfel“ im September soll nun die identitätsstiftenden Münzen und Scheine sichern helfen – wie der jüngste „Autogipfel“ den Verbrenner.

Selbst Martin Selmayr, Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Österreich, gibt zu bedenken, dass eine solche Verankerung in der Verfassung „wenig Neues“ zum Schutz des Bargelds beitragen könne. Und selbst Steiermarks Landeshauptmann Christopher Drexler warnte in der Presse am Sonntag davor, die Verfassung mit „unnötigen Dekorationselementen“ zu befüllen. Seine ÖVP-Amtskollegen in Salzburg und Tirol machten es ihm nach. Doch egal, die diskursive Nebelgranate musste offenbar gezündet werden; ein klassischer Fall von dem, was der alte und neue VP-Pressechef, Gerald Fleischmann, als „strategisch notwendigen Unsinn“ bezeichnet – kurz SNU.

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