6800360-1971_31_06.jpg
Digital In Arbeit

Miserables für die Dummen?

19451960198020002020

Das politische Plakat: es hängt in Wahlzeiten — die uns wieder einmal bevorstehen — an jeder Litfaßsäule, es ziert Tafeln und Ständer entlang der Straßen, verunstaltet Gartenzäune, Transformatorenhäuschen, Mauern aller Art. Kann man darauf verzichten? Oder ist es das „Salz der Demokratie“, das dem einfachen Bürger jene Signale vermittelt, die ihn zu den Wahlurnen treiben?

19451960198020002020

Das politische Plakat: es hängt in Wahlzeiten — die uns wieder einmal bevorstehen — an jeder Litfaßsäule, es ziert Tafeln und Ständer entlang der Straßen, verunstaltet Gartenzäune, Transformatorenhäuschen, Mauern aller Art. Kann man darauf verzichten? Oder ist es das „Salz der Demokratie“, das dem einfachen Bürger jene Signale vermittelt, die ihn zu den Wahlurnen treiben?

Werbung
Werbung
Werbung

Der Bruckmann-Verlag, München, legte kürzlich einen Bildband mit interessanten Analysen der Plakatwerbung vor und bringt Beispiele aus aller Welt.

Zuerst ist das Plakat ein Medium der Information. Ausdruck eines Sich-mitteilen-Wollens, mitunter Ergebnis rationaler Überlegung, mitunter Produkt spontaner Emotion. Sieht man von den alten Anschlägen, die uns schon aus dem pompeja- nischen Rom bekannt sind, ab, taucht das Plakat vor allem als anonymer Maueranschlag auf. Es ist ein Medium der Revolution, ein Medium des Widerstandes, heute da und dort des Protestes (Prag 1968) — vor allem ein Stimulans zur Aktion. Das gilt auch für den friedvollen demokratischen Wahlkampf, wo es um den Bürger geht, der vor allem überhaupt erst durch das Plakat — so die Parteistrategen — zum Engagement, sprich Wahlakt, gebracht wird. (Daß das schon nicht mehr ganz stimmt, erwies sich im Vorjahr in England, wo im Wahlkampf bereits auf jede öffentliche Plakatie- rung verzichtet wurde.)

Jedenfalls soll das Plakat (was auch sonst?) Reflexionen vermitteln, die sich in der Sympathie für die Partei, für den Politiker ausdrücken. Reflexion und Engagement: Ist das Plakat also tatsächlich — hic et nunc — noch das Medium mit dem Massenappeal? Als klassisches politisches Kampfinstrument scheint es nicht wegdenkbar aus der Palette, die uns die Parteien vorsetzen. Und doch ist die Frage gestattet, welche Qualifikation es haben muß, um nicht allein einen ästhetischen, sondern auch einen ethischen Anspruch zu erfüllen.

„Werbung soll und darf verführen“, meint Johannes Hampel; sie befriedigt die Concupiscentia ocu- lorum, die natürliche Schaulust des Menschen, und soll zum Lernen, zum Nachdenken verführen. So wäre das Plakat zuallererst auch politische Bildung im weiteren Sinn. Aber wie steht es da um die Manipulation? Die Geschichte des politischen Plakates ist ja eine Geschichte der Manipulation. Oder besser: des Versuches, zu manipulieren.

Manipulation, so definiert sie Hans Kuh, will die wesentlichen politischen Ziele des Beeinflussenden über das Plakat gar nicht vermitteln; vielmehr soll das Plakat durch Techniken, die der Beschauer gar nicht durchschaut, ein Gefühl vermitteln, Information zu sein.

Aber geht das — zumindest heute — wirklich so einfach? Tatsächlich richtet sich in demokratischen Wahlkämpfen jede Art von Wahlpropaganda ja nur an jenen kleinen Kreis von Bürgern, die zwischen den Parteien stehen, unterschiedlich wählen oder schwanken, ob sie überhaupt wählen sollen. In Österreich meint man daher traditionell, daß das Plakat jenes Medium sei, das so „schreien“ muß, um überhaupt zur Wahl zu animieren. Und dazu beitragen soll, ein „Klima“ zu erzeugen, dem sich niemand entziehen kann; vor allem aber soll es auch dem eigenen Parteifunktionär das Gbfühl: geben, bei der Mann-zu-Mann-Agita- tion nicht allein zu stehen.

Zum anderen kann man praktisch niemanden gegen seine eigenen Interessen durch das Medium zu einem politischen „Frontwechsel“ bewegen. Erst bei Initeressenidentität — die aber das Ergebnis der Information ist, zu der sich das Plakat höchst selten eignet — kann die Bereitschaft zum „Switchen“, wie die Politikwissenschaftler sagen, erzeugt werden. Vielmehr ist es mit der hausbackenen Propaganda so, daß sie nur vorhandene Trends verstärken, Aversionen und Vorurteile im Menschen verfestigen oder abschwächen kann. Fast bei jedem Menschen aber gibt es eine Schwelle, von der an die Propaganda wirkungslos abprallt,

ja sich ins Gegenteil für den Propagandisten verkehrt.

Allerdings: das Image kann man korrigieren, das äußere Erscheinungsbild der Partei verändern. Der Mantel, in den sich Parteien zu hüllen pflegen, kann gewechselt werden. Er macht das aus, was Stimmungen evoziert, die öffentlich werden. Und hier sehen die Parteistrategen auch das eigentliche Ziel der Plakatwer-

bung: den „Look“ zu präsentieren, die Worthülsen „jung, modern, dynamisch“ bildhaft umzusetzen.

Ist aber nicht das gerade die übelste Manipulation? Der „Mantel“ ist zwar glänzend, neuerdings sogar „sexy“, aber der Träger bleibt der alte, sich versteckend, verbergend, Schein als Sein verbreitend. Trotz alledem: glaubt man in den Partei-

zentralen wirklich, Plakate nur für die Dummen, und qualitativ miserabel, gestalten zu müssen? Oder hätte nicht doch auch hier der Künstler eine Aufgabe zu erfüllen, die massenbildend, geschmacksformend ist? Im Ausland gibt es Beispiele genug. Gute politische Werbung muß nicht gegen die Gesetze der Ästhetik verstoßen. Vor allem aber auch nicht gegen die Gesetze der Logik und jener Spur an Wahrhaftigkeit, die sich

Von Johannes Hampel und Walter Grulich, Bruckmann- Verlag, München, 156 Seiten, DM 26.—.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung