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Noch reparabel

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Keine Regierung kann sicher sein, wenn es eine starke, durchschlagskräftige und selbstbewußte Opposition gibt. Die von der Sozialistischen Partei Österreichs gestellte Regierung ist sicher; sicherer vielleicht, als es einer gedeihlichen Entwicklung unseres Landes immer guttut. Aber diese Regierung ist vor allem deshalb so sicher, weil die ÖVP, immer noch eine große Partei, genau so ist, wie sie heute auf die Öffentlichkeit wirkt: von Kopf bis Fuß unsicher.

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Keine Regierung kann sicher sein, wenn es eine starke, durchschlagskräftige und selbstbewußte Opposition gibt. Die von der Sozialistischen Partei Österreichs gestellte Regierung ist sicher; sicherer vielleicht, als es einer gedeihlichen Entwicklung unseres Landes immer guttut. Aber diese Regierung ist vor allem deshalb so sicher, weil die ÖVP, immer noch eine große Partei, genau so ist, wie sie heute auf die Öffentlichkeit wirkt: von Kopf bis Fuß unsicher.

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Vor genau einem Jahr gaben sich rund zwei Drittel der Delegierten zum Parteitag des 4. Juni 1971 der Hoffnung hin, daß mit der Wahl Karl Schleinzers zum Obmann und Herbert Kohlmaiers zum Generalsekretär Ruhe und Sicherheit in die Yolkspartei einkehren werden. Damals glaubten viele, daß nun die große Zeit der harten Konfrontation zwischen Regierung und Opposition kommen werde.

Aber nur einmal hat sich diese Hoffnung tatsächlich erfüllt: Bei der TV-Diskussion zwischen dem Bundeskanzler und dem Parteiobmann wenige Tage vor den Nationalratswahlen im Oktober 1971. Bei allen anderen Gelegenheiten blieb Karl Schleinzer Hintergrund, vor dem die Regierung ihre politischen Zielvorstellungen recht ungehindert durchsetzen konnte. Irgendwo wurde die Rolle Karl Schleinzers in der Öffentlichkeit, aber auch in den Gremien der eigenen Partei als die eines ,;steinernen Gastes“ umschrieben; es läßt sich schwer leugnen,- auch in dieser sicherlich überspitzten Form ist diese Charakterisierung Schleinzers zutreffend. Auch viele jener Delegierten, die Schleinzer am 4. Juni 1971 nicht ihre Stimme gaben, hofften damals und hoffen noch immer, Schleinzer hätte den Sprung über den Schatten seiner Persönilich-keitsstruktur geschafft.

Vor wenigen Tagen berichteten Zeitungen über ernsthafte Differenzen zwischen Klubobmann Koren und Parteiobmann Schleinzer. Der sachliche Hintergrund dieser Differenzen, so hieß es, sei die Entschei-dunigsunfähigkeit Schleinzers und damit verbunden die Wirkungslosigkeit der ÖVP-Parteizentrale. Als Preisgeber dieses jedenfalls parteiöffentlichen Geheimnisses wurde — sicherlich nicht zu Unrecht — Klubobmann Prof. Koren eruiert. Man kann darüber geteilter Meinung sein, ob es tunlich war, in dieser Form und zu diesem Zeitpunkt mit dieser doch recht präzisen Kritik am Füh-rungsstil Schleinzers hervorzubrechen. Über eines aber sollte Klarheit bestehen: Wenn die Wahrheit auch die Waagschale der Parteifreund-schäft ist, dann wurden die kritischen Gewichte richtig placiert. Aug in Aug wurde Kritik an Karl Schleinzer oft genug vorgebracht; auch von Mitgliedern des Parteivorstandes, die über den traurigen Zustand der Partei schon lange besorgt sind.

Vor einem halben Jahr dekretierte die Volkspartei das Jahr 1972 zum Jahr der Arbeit an der Partei. Es ist heute zu befürchten, daß dieses Vorhaben fehlschlagen wird. Man sollte dann die Schuld jedoch nicht auf Funktionäre abwälzen, die nun tatsächlich nichts dafür können, daß es an Initialzündungen, an Impulsen der Parteizentrale gefehlt hat. Die Diskussion über ein Grundsatzprogramm war nur ein Beispiel dafür. Man soll doch in der ÖVP-Zentrale nicht ernsthaft glauben, daß der Funktionärskorps zu den Waffen eilt, wenn der Generalsekretär bei einer Pressekonferenz der Wiener ÖVP (!) den „totalen Krieg“ gegen die SPÖ verkündet.

Die Führungsspitze in der ÖVP-Zentrale reagiert in der Regel recht sensibel — insbesondere auch auf berechtigte Kritik. Damit negiert sie ein altes Prinzip in der Politik, daß derjenige, der in die Öffentlichkeit tritt, keine Nachsicht zu erwarten und keine zu fordern hat. Das mag bitter für jene sein, die dieser Kritik permanent ausgesetzt sind, ist aber noch immer das beste Mittel, eine Situation zu ändern, an der niemand Gefallen finden will. Heute große Hoffnungen zu hegen, daß sich die Situation der Volkspartei bald oder auch mittelfristig ändern werde, kann in Tragik enden, wenn sie noch dazu beiträgt, den traurigen Zustand der Partei ins Ungewisse zu verlängern. Heute heißt es vielmehr, Änderungen, und seien sie auch für sehr bemühte Leute schmerzhaft, ins Auge zu fassen. Noch ist Zeit dazu, noch läßt sich manches reparieren, was schon in einem Jahr irreparabel sein dürfte. Am Anfang der Änderungsmaßnahmen in der Volkspartei müßte die Absicht stehen, eine Einheit zwischen Klub- und Parteiführung herzustellen — stimmt man der Ansicht zu, daß die geeignetste Plattform für oppositionelles Agieren noch immer das Parlament und sicherlich nicht allein der Pressedienst der Parteizentrale ist. Diese Einsicht sollte schon auf dem Parteitag im kommenden November ganz bestimmte Konsequenzen auslösen, wenn sich die Grundstimmung des Parteivolkes durchsetzt: daß mit dem derzeit bekannten Grundsatzprogramm nämlich ohnedies kein Parteitag zu bestreiten ist...

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