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Baum mit tiefen Wurzeln
„Dipl.-Ing. Dr. Karl Schleinzer 1924 -1975” lautet die Inschrift auf dem schmiedeeisernen Kreuz über seinem Grab auf dem Friedhof von St. Oswald. Das Bild dieses Politikers, von dem zu seinen Lebzeiten manche behaupteten, es sei ein allzu blasses, ist auch nach einem Jahrzehnt nicht verblaßt, ja hat sogar noch an Einprägsamkeit gewonnen.
Der Bauernsohn aus Kärnten, der es in seiner Jugend nicht leicht gehabt und es sich auch später nie leicht gemacht hat, wirkte nur dort als „verschlossener Einzelgänger”, wo man sich bereits mit der Klischeevorstellung des zuerst redenden und bestenfalls im nachhinein denkenden Politikers abgefunden hatte. Die Rolle des Ministers, der die Sache des Ressorts zu der seinen machte, war ihm auf den Leib geschrieben.
In die Rolle eines Oppositionsführers hineinzuwachsen, der den mit spielerischer Leichtigkeit agierenden Regierungschef an die Wand zu spielen vermag, war ihm nicht vergönnt. Doch das lag nicht nur an Schleinzer, der nach der Niederlage seiner Partei noch in der Zeit der Hochkonjunktur einer Gefälligkeitspolitik gegen einen Kreisky in Hochform anzutreten hatte.
Schleinzer konnte zwar seiner Partei keine Wahl gewinnen, hat ihr aber auf dem ungewohnten Prüf stand der Opposition eine innere Festigkeit verliehen, an der vorher viele gezweifelt hatten. Unter seiner Obmannschaft wurde durch das immer noch gültige und international beachtete Salzburger Programm auch das geistige Fundament dazu gelegt.
Es entsprach Schleinzers innerer Uberzeugung, daß „Trennung von Politik und Moral zu einer Gesellschaft führen würde, in der der Egoismus immer größer geschrieben wird, in der schließlich jeder glaubt, er könne sich alles erlauben und habe auf alles Anspruch”.
1973 verlangte Schleinzer in seiner Rede vor der Bodensee-Tagung christlich demokratischer Parteien von einer „Politik aus christlicher Verantwortung”, daß „wir uns bei politischen Entscheidungen auch Fragen stellen, die das Nur-Gegenwärtige und Nur-Materielle überschreiten und uns bei der Beantwortung dieser Fragen von dem inspirieren lassen, was uns das Christentum — von der Bergpredigt bis zu den Sozialenzykliken — zu sagen hat”.
Das Salzburger Programm der ÖVP, ihre Pläne zur Lebensqualität und Schleinzers Plädoyer für eine „Regierung der Sammlung aller demokratischen Kräfte” in seiner letzten Parlamentsrede am 2. Juli 1975 bildeten Bausteine eines Ganzen, von denen heute in der Karriere des Themas Umweltschutz, aber auch in der Diskussion über künftige Regierungsformen Teile, manchmal aber auch nur Bruchstücke wieder sichtbar werden.
Die ihn einen „Cunctator” (lat. f. „Zauderer”, Anm.) nannten, verzeichneten das Bild eines Mannes, der behutsam, besonnen und mit beispielhafter Konsequenz auf das Ziel hinarbeitete, das seine Partei auch nach einem Jahrzehnt immer noch vor sich hat.
Alles andere als eine Spielernatur, aber auch kein bloßer Macher, bescheiden in seiner Lebensführung und vorbildlich als Familienvater glich Karl Schleinzer einem Baum, der erst, wenn er gefällt worden ist, erkennen läßt, wie tief seine Wurzeln reichten.
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