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Nur Absage an Rapallo?

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Am 23. April fanden in Baden-Württemberg Landtagswahlen statt. Die Wahl brachte der CDU, SPD und FDP allesamt einen Stimmenzuwachs ein. Dies geht sicherlich in erster Linie auf die Aufteilung der Stimmen der nicht kandidierenden NDP zurück. Die CDU errang von allen drei Parteien den größten Vorsprung: sie erhielt mehr als 53 Prozent aller wahlberechtigten Stimmen und damit die absolute Mehrheit im baden-württembergischen Landtag.

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Am 23. April fanden in Baden-Württemberg Landtagswahlen statt. Die Wahl brachte der CDU, SPD und FDP allesamt einen Stimmenzuwachs ein. Dies geht sicherlich in erster Linie auf die Aufteilung der Stimmen der nicht kandidierenden NDP zurück. Die CDU errang von allen drei Parteien den größten Vorsprung: sie erhielt mehr als 53 Prozent aller wahlberechtigten Stimmen und damit die absolute Mehrheit im baden-württembergischen Landtag.

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Die Wahl war von allem Anfang an als eine Testwahl für die Regierung Brandt aufgezogen worden. Nicht so sehr von den Parteien in Baden-Württemberg selbst, wie von Brandt und seinen Ministerkollegen. Immer wieder wurden hiebei von Brandt die Ostverträge als ein Kernpunkt seiner Politik hochgespielt und ein negatives Votum gegen seine Partei mit einer Ablehnung der Ostverträge gleichgesetzt.

Der Ausgang der Wahlen in Baden-Württemberg geht, wie alle Wahlen, auf viele Komponenten zurück. In dieser südwestlichen Ecke Deutschlands, die seit jeher als sehr liberal galt, haben sich seit 1945 viele Vertriebene aus den Ostgebieten niedergelassen: Sudetendeutsche, Schlesier, Menschen aus Ost- und Westpreußen. Wenn auch keiner dieser Vertriebenen, die heute alle wieder zu Besitz und Wohlstand gekommen sind, jemals in ihre alte Heimat zurückkehren möchten, um dort von vorne zu beginnen, so haben sie doch die schrecklichen Tage ihrer Vertreibung nicht vergessen. Es ist selbstverständlich, daß diese Menschen keine Freunde der Ostverträge sind und lang zurückgestauten Affekten ein Ventil in der Ablehnung der SPD, die sich ja hauptsächlich für die Ostverträge einsetzt, gaben.

Aber diese Ostvertriebenen bilden nur einen geringen Teil der Bevölkerung von Baden-Württemberg und sie allein bewirkten nicht dieses Wahlergebnis. Und es hat tatsächlich noch andere Hintergründe. Da ist einmal die nicht sehr günstige wirtschaftliche Lage, in der sich Deutschland befindet. Wohl konnte die Vollbeschäftigung beibehalten werden, aber die anderen drei wirtschaftspolitischen Ziele jeder Wirtschaftspolitik, nämlich Preisstabilität, Wachstum und außenwirtschaftliches Gleichgewicht, konnten nicht annähernd erreicht werden. Arn meisten setzte den Wählern der Verlust der Preisstabilität zu. Die schleichende Inflation, die immer stärker steigenden Preise, denen nicht annähernd gleichermaßen steigende Löhne gegenüberstehen, gehen den Leuten einfach auf die Nerven.

Die schleichende Inflation brachte auch eine Vermögensverschiebung in der Bundesrepublik hervor. Das Nettoanlagevermögen der Wirtschaft wird auf 2,5 Billionen DM geschätzt. Zwar ist landwirtschaftliches Vermögen und Hausbesitz bei dieser Schätzung breit getrennt, aber die Bundesbank stellt in einem Bericht ausdrücklich fest, daß der überwiegende Teil sich in Wirtschaftsunternehmen aller Art konzentriert. Infolge Wertsteigerung durch Inflation ist der Nominalwert des gesamten Sachvermögens um 125 Milliarden DM gestiegen. Dem gegenüber können jene Bevölkerungskreise, die keine Sachwerte besitzen, selbst wenn sie verstärkt sparen, kaum erreichen, daß ihr Anteil am gesamten Volksvermögen aufrechtbleibt, das heißt, daß der kleine Mann zusehen muß, wie auf der einen Seite die Vermögen sich zusammenballen und er, trotz Fleiß und Sparen, immer ärmer wird. Solche Politik geht natürlich den Menschen auf die Nerven und sie machen eine Regierung vielleicht mehr dafür verantwortlich als sie es oft wirklich ist. Die Regierung, unter der solches jetzt in Deutschland geschieht, ist eben die Regierung Brandt. Und die Wahl in Baden-Württemberg, einem besonders fleißigen und sparsamen Winkel Deutschlands, war die Antwort auf diese nationalökonomischen Phänomene.

Zu dem Wahlausgang trugen sicherlich auch die Ereignisse bei, die in München der extremen Linken zur Macht verhalfen, den Jusos und ihren Gesellen. Die Regierung Brandt ist links, und deshalb wird ihr so gut wie alles in die Schuhe geschoben, was Linke heute in Deutschland tun. Im Unterbewußtsein der Wähler sitzt nur zu tief die Überzeugung, daß eine linke Regierung nicht eindeutig genug gegen Bewegungen einer extremen Linken auftreten wird. Der Wähler gibt seine Stimme lieber einer Partei, die er von solchen Versuchungen frei sieht. Eine solche Partei ist für viele die CDU.

Natürlich spielten auch die Ostverträge eine Rolle bei diesen Wahlen. Aber lange nicht mit solcher Bedeutung, wie es Brandt selbst betonte. Gewiß will heute das deutsche Volk endlich auch Frieden mit dem Osten haben. Allerdings vielfach nicht ganz in der Weise, wie Brandt diesen Frieden präsentiert. Das deutsche Volk möchte, zumindest in seiner Mehrzahl, bessere Bedingungen bei diesen Ost vertragen sehen, es möchte vor allem mehr Sicherheit für Berlin, es möchte nicht, daß — vielleicht auf Grund von Geheimklauseln — die DDR irgendwelche Aktionen gegen die Bundesrepublik unternehmen darf, es möchte auch

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