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Wohin — Badenerland?

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In der ersten Wahlperiode des Deutschen Bundestages hatte 1949 die Fraktion der Freien Demokratischen Partei einen Gesetzentwurf eingebracht, der eine Neugliederung der die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzol-1 e r n umfassenden Gebiete vorsah. Nach dem 1 sollten die drei Ländergebiete zu einem Lande vereinigt werden. Zufolge 2 hängt die Rechtswirksamkeit dieses Gesetzes von einer Volksbefragung ab, welche die Regierungen der drei Länder in ihren Ländern durchzuführen haben. Die Frage lautet: „Wollen Sie die Vereinigung der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg - Hohenzollern zu einem Land?“ Abstimmungsberechtigt sind Landtagswähler dieser Gebiete. Lautet die Mehrheit der in den drei Ländern durchgezählt gültigen Ja- oder Nein-Stimmen auf Ja, so wird mit amtlicher Verkündigung des Abstimmungsergebnisses das Gesetz rechtswirksam. Lautet die Mehrheit auf Nein, so verliert das Gesetz seine Wirkung.

Am 24. September 1950 soll nun diese Abstimmung stattfinden. Je näher der Termin dieser „Volksbefragung“ über den „namenlosen“ Südweststaat heranrückt, desto deutlicher zeichnen sich die gegnerischen Lager ab. Besonders im Gebiet des ehemaligen Großherzogtums Baden, das in seiner großen Mehrheit eine bis zu der derzeitigen amerikanisch-französischen Zonengrenze reichende alemannische Bevölkerung hat, die sich weit mehr zu ihren alemannischen Stammesbrüdern im Elsaß, in der Schweiz und Vorarlberg hingezogen fühlt als zu den württembergischen Schwaben, ist ein heißer Streit ausgebrochen. „Hie Südweststaat!“ und „hie Baden!“ lauten die Parolen. Doch scheinen die Aussichten für den kuriosen Südweststaat, der aus den wirtschaftlich und kulturell stark verschiedenartigen Ländern Baden und Württemberg gebildet werden soll, nicht übermäßig groß zu sein. Ging der Widerstand bisher hauptsächlich von Südbaden aus, so mehren sich neuerdings auch die württembergischen Stimmen gegen den Zusammenschluß dieser Länder.

Es handelt sich keineswegs um ein parteipolitisches Problem. Der Riß für und wider geht sowohl durch die SPD als auch durch die CDU. In diesem süddeutschen Familienstreit stehen Fragen der Tradition, der Heimatliebe und des kulturellen, jahrhundertealten Erbes voran. Wäre 1945, nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches, nicht mitten durch beide Länder, Baden und Württemberg, die unglückselige militärische Zonengrenze gelegt worden, so würde heute kein Mensch von einem „Südweststaat“ reden. Die Amerikaner legten aber damals großen Wert auf den Besitz der Reichsautobahnstrecke Heidelberg — Karlsruhe — Stuttgart — Ulm. Und nur dieses Interesse hat jene Grenzziehung veranlaßt und nichts anderes. So wurde Baden und Württemberg mit dem Lineal auseinandergeschnitten, Karlsruhe, Badens Landeshauptstadt, und Stuttgart, die schwäbische Metropole, den Amerikanern vorbehalten und die Franzosen nach Freiburg und Tübingen verwiesen. Um die Verwirrung vollständig zu machen, wurde in der amerikanischen Zone das abgerissene Nordbaden mit Nordwürttemberg mit der Hauptstadt Stuttgart zu einem künstlichen Staatswesen zusammengefaßt. Die föderalistischer denkenden Franzosen jedoch haben Südbaden und Südwürttemberg mit Hohenzollern als selbständige Länder nebeneinander belassen. Diese Zoneneinteilung hat also zu den unmöglichen Staatsgebilden geführt:

Württemberg - Baden mit 3,6 Millionen Einwohner,

Württemberg - Hohenzollern, Regierungssitz Tübingen, mit 1,05 Millionen Einwohner und

Baden (Südbaden), Regierungssitz Freiburg, mit 1,19 Millionen Einwohner.

Nun ist es klar, daß das kein Dauerzustand sein kann. Nichts lag näher, als die Wiederherstellung der beiden alten Länder Baden und Württemberg. Hier setzte aber die Stuttgarter Politik ein. Vor allem wirtschaftliche Gründe und die angeblichen Vorteile aus einer Verbindung mit Württemberg sollten die Badener veranlassen, ihre Eigenstaatlichkeit zugunsten einer südwestdeutschen Großraumpolitik aufzugeben. Dem derzeitigen Stuttgarter Regierungschef Doktor Maier von der Freien Demokratischen Partei scheint, wie es seine Kanal- und Verkehrspolitik zeigt, das wirtschaftlich stärkere Nordbaden mit Mannheim und Heidelberg eine sehr wichtige Ergänzung für das Industriezentrum Stuttgart-Cannstatt darzustellen. Man hat auch in Württemberg den hohen Wert der badischen Naturschätze kennengelernt. Richtig ist, daß Baden in seinem umfangreichen Domänenbesitz, in der schiffbaren badischen Neckarstrecke, die um 300 Millionen Mark höher bewertet wird als die württembergische, und nicht zuletzt in seinen Wasserkräften Werte besitzt, die von klugen schwäbischen Verschmelzungsfreunden besser bewertet werden als von den Badenern. Im Grunde würde wohl die Vereinigung Badens mit Württemberg ein Aufgehen Badensin Württemberg bedeuten.

Eine Zusammenlegung der beiden Wirtschaftsgebiete, deren Interessen nicht identisch sind, würde schwerlich zu einer guten Ehe führen. Die durch die Zusammenlegung möglichen pekuniären Einsparungen, die von den Anhängern des Südweststaates geltend gemacht werden, erscheinen gering gegenüber den sicheren Verlusten beider Teile, die liebgewordene und ihm unentbehrliche kulturelle und wirtschaftliche Einrichtungen diesem Zusammenschluß zum Opfer bringen müßten.

Altkanzler Dr. Josef W i r t h, einer der Wortführer der Altbadener, der nach 16 Jahren aus dem Exil wieder in seine Heimat zurückgekehrt ist, ruft seinen Landsleuten zu: „Wohin, wohin Badnerland!“ und sagt: „Früher ging durch Baden eine Welle gegen die Verpreußung. Heute geht es gegen die drohende Verschwäbelung. — Die Alemannen und Schwaben sind wohl stammesmäßig Vettern. Sie können und sollen gut miteinander stehen, wenn sie gegenseitig ihre Position verstehen. Wenn ein Streit über das Erbe der politisch einst freien Väter entsteht, so gibt es beiderseits einen leichten Schauder mit Gänsehaut, der die Freundschaft dauernd untergraben kann. — Keiner kann des andern Ausbeuter sein und keiner kann den andern endgültig in Obhut nehmen. Beide sind mündig. Weder Württemberg noch Baden dürfen passives Objekt werden. Jeder will seine Sicherheit haben. — Stuttgart-Cannstatt ist ein Kraftfeld eigener Art und Prägung. Als Anhängsel passen wir nicht hinein. Der Rhein und die oberrheinische Tiefebene erzeugen unser Kraftfeld, das durch den Staat Baden glücklich überwölbt wird. — Die Propaganda Stuttgarts hat uns gekränkt und aufgestachelt. Baden ist kein passives Objekt, das in Entzücken vor Schwaben dahinschmilzt. Der Quadratschuhimperialismus des Stuttgarter Kalifen imponiert uns nicht. Seine eisige Berechnung und sein sehr raffiniertes Kalkül verdienen schärfsten Spott.“

Jetzt vor dem Entscheid hört man auch die Behauptung, die badische Wirtschaft vermöge nicht, einen ausreichenden Lebensstandard auf die Dauer zu sichern. Im Jahre 1936 ergab sich, daß die Ausfuhrquote des ganzen damaligen Reichsgebietes 4,5 Prozent betrug. Die Ausfuhr des Landes Baden ergab aber die erheblich höhere Quote von 5,6 Prozent. Baden stand damit in der Reihe der 23 Oberfinanzbezirke des Reiches an sechster Stelle, während der Oberfinanzbezirk

Württemberg (Stuttgart) mit 4,9 Prozent erst an zehnter Stelle folgte.

Interessant ist der in den letzten Wochen von beiden Seiten aufgezogene Plakatkrieg. Lange bevor die Propaganda der Altbadener einsetzte, prangte an allen Litfaßsäulen und Plakatwänden ein Plakat der Südweststaatler: Ein trutziger schwarzer Geharnischter mit der Unterschrift: „Der deutschen Zwietracht ins Herz.“ Ein anderes Plakat zeigt die Umrisse des Südweststaates und darunter die Worte: „Dein Lebensraum — der Südweststaat.“ Die Altbadener waren jedoch auch nicht “faul. Sie brachten ein in goldgelber Farbe gehaltenes Plakat heraus, das die Grenzen des wiedervereinigten Nord- und Südbaden zeigt, gekrönt mit dem alten badischen Staatswappen in den Farben gelbrotgelb und darüber den Spruch: „Vom See bis an des Maines Strand“, darunter fortgesetzt, „die Stimme dir, mein Badnerland.“ — In Erwiderung auf das „Lebensraumplakat“ der Südweststaatler brachten die Badener ein Plakat heraus, das die Zeichnung „Großschwabens“ wiedergibt und mit einem roten Kreuz durchgestrichen ist, und darüber steht groß: „Baden, unsere Heimat“, unten aber, in noch größeren Buchstaben: „Deutschland unser Lebensraum!“ —

Mutig und konsequent hat sich der badische Staatspräsident Wohleb in Freiburg für das alte Baden eingesetzt. Gegen diesen rechtlichen, in allen politischen Lagern hochgeachteten Mann hat ein Krieg eingesetzt, dessen Häßlichkeit kennzeichnend ist, wie weit sich deutsche Stammesnachbarn schon auseinandergeredet haben. Der Stuttgarter Minister Dr. Veit, SPD, spottete in einer Karlsruher Südweststaatversammlung, daß Wohleb „seinen Einzug in Karlsruhe im Gefolge der französischen Truppen halten werde“. Der „Franzosenschreck“ ist das beliebte Mittel, auf die zum amerikanischen Besatzungsgebiet gehörende nord-badische Bevölkerung einen Druck auszuüben, damit sie für den Südweststaat stimme, obwohl Hochkommissar Francois Poncet wiederholt versichert hat, daß die Zonengrenze nicht geändert werde, falle die Abstimmung aus, wie sie wolle.

Würde Baden als selbständiges Land gestrichen, dann wird in der Tiefe der Volksseele Süddeutschland nicht zur Ruhe kommen. Es ist zu wünschen, daß wieder vereinigt werde, was militärischer Befehl getrennt hat, und daß Nord- und Südbaden, Alemannen und Franken, wieder zusammenfinden in dem einen Bundeslande Baden, so wie in den anderthalb Jahrhunderten zuvor.

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