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Umdenken — aber radikal!

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Mit dem Versprechen, mehr Woh- sen gekostet hat, was auf eine ad- nungen zu bauen, waren die Sozia- äquate Modernisierung eines gleich listen in die Wahlkämpfe 1970 und großen Althausbestandes entfallen 1971 gezogen. Tatsächlich ist aber wäre.

unter den folgenden sozialistischen • Es kam zu einer Fehlentwicklung Regierungen die Wohnhauleistung der Städte, da die Neusiedlungen an zurückgegangen. In den ersten Jah- der Peripherie in verkehrsungünsti- ren stieg freilich noch die Zahl der ger Lage entstanden, während fertiggestellten Wohnungen an, da gleichzeitig die Stadtkerne „Verfaul- es sich um solche handelte, deren ten“.

Bau noch unter der vorangegange- • Raumordnungsmäßig kam und nen Regierung begonnen worden kommt es zur Zersiedelung der Er- war: 1972 wurde die Spitze mit holungsgebiete, der Zerstörung wert- 50.373 fertiggestellten Wohnungen voller urbaner Ensembles und zu erreicht, was nur wenig unter dem ökologischen Schäden. Das zahnlose bisherigen Rekord liegt, der 1967 mit Denkmalschutzgesetz und das viel zu 52.744 Wohnungen erzielt worden spät erlassene, ebenfalls ungenü- war. Seither ging es aber steil berg- gende Altstadterhaltungsgesetz (et- ab. 1973 wurden nur noch 44.050 wa in Wien) können weder die schon Wohnungen fertiggestellt, im abge- begangenen Bausünden reparieren laufenen Jahr waren es ihrer noch noch sind sie imstande, weiterem weniger. Vandalismus wirksam Paroli zu bie-

Nun mag zwar die Opposition auf ten. die Nichteinhaltung des Wahlver- • Auf wirtschaftlichem Gebiet wer- sprechens hinweisen; aber eine neu- den mit diesem Konzept die Bäuerliche Steigerung der Wohnbaulei- landpreise hinaufgetrieben. Dem stungen zu fordern, wie dies diverse versuchte man zwar durch Enteig- Abgeordnete immer wieder mit for- nungs- und Eintrittsbestimmungen schem Lizitatiomselan tun, ist ein im Bodenbeschaffungs- und Assa- entscheidender Fehler und kann nur nierungsgesetz Herr zu werden, wo-

dazu führen, daß die Opposition, sollte sie wieder auf die Regierungsbank gelangen, ihre Versprechen ebensowenig wird einhalten können wie das derzeitige Kabinett.

Die Sozialisten sind Opfer ihrer eigenen Demagogie geworden, sie mußten erleben, daß sogar eine hemmungslose Ausgabenpolitik nicht unbegrenzte Mittel für den Wohnbau freimachen kann, und daß mehr Mittel — in eine bis in die letzte Zeit gut beschäftigte Bauwirtschaft gepumpt — nur überproportionale Preissteigerungen auslösen. Die Opposition sollte sich im bevorstehenden Wahlkampf hüten, sich mit ähnlich großsprecherischen Zusagen zu vergaloppieren.

Das Wohnbaudebakel ist — wenigstens primär — nicht auf wirtsehafts- politische. Fehler der gegenwärtigen Regierung zurückzuführen, sondern auf eine falsche Grundkonzeption, die seit Jahrzehnten — mehr oder minder intensiv von allen Parteien gepflegt — in den meisten Staaten grassiert. Sie wurde in Österreich besonders stur verfolgt und wir verdanken es einem in diesem Fall segensreichen Kapitalmangel, daß nicht noch ärgere Schäden angerichtet wurden: Es handelt sich um die fixe Idee, sämtliche Wohnungsprobleme durch Neubauten lösen zu können, eine Idee, die man in Österreich konsequenter denn sonstwo durch systematische Aushungerung des Aithausbestandes vervollständigte. Die Folgen dieser verfehlten Wohnunigspolitik sind:

• Eine maßlose Verschwendung von Arbeitskraft, Material, Energie und Steuermitteln, da der Neubau in den meisten Fällen ein Vielfaches des-

bei nun durch Zwangsgesetze zugunsten der öffentlichen Hand das repariert werden soll, was die öffentliche Hand durch eine falsche Politik selbst verschuldet hat.

• Von viel gravierenderem Einfluß auf die Gesamtkosten ist aber der exorbitante Anstieg der Baukosten, der •— die inflationäre Gesamtent- wioklung weit überholend — in den letzten Jahren bei durchschnittlich 20 Prozent lag. Hiefür gibt es noch keine Remedur.

• Das Konzept der Totalerneuerung zwang zu möglichst großer Quantität beim Neubau unter Hintanstellung der Qualität. So kam es zu dem Unsinn, daß oft hochwertige Althaussubstanz niedergerissen wurde, um an ihrer Stelle die Slums von morgen zu errichten.

• Die Satelliten Stätte an der Peripherie wurden zumeist ohne die entsprechende Infrastruktur aufgestellt, die nun mit enormen zusätzlichen und nirgends einkalkulierten Kosten nachgeliefert werden muß.

Was wir in Zukunft brauchen, ist nicht eine weitere Forcierung des Neubaus, sondern eine Abkehr von der bisherigen Fehlkonzeption. Zugegebenermaßen hat die Macht der Tatsachen einige Ansätze einer Neukonzipierung in der Mietengesetz- novelle 1974, sowie in den Entwürfen für Novellen des Wohnunigsver- besserungsgesetzes und des Wohnbauförderungsgesetzes erzwungen. Aber die Ansätze sind viel zu schwach und zu verklausuliert, um wirklich Abhilfe schaffen zu können. Somit dürfte die Wohnungsund Städtebaumisere auf unabsehbare Zeit prolongiert sein.

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